Als KTM ins Straucheln geriet, kam Hilfe aus einer Ecke, mit der kaum jemand rechnete: Der indische Mobilitätsriese Bajaj rettete den Motorradhersteller mit 600 Millionen Euro. Ein Hinweis darauf, welche Dynamik in den aufstrebenden Märkten im Indopazifik steckt – und welche Chancen sich daraus für Österreich ergeben.
Von Christian Neuhold
Welche hierzulande nahezu unbekannte Wirtschaftskraft im fernen Osten existiert, haben Belegschaft und Management des ins Trudeln geratenen Motorradherstellers KTM direkt miterlebt. Ihr Unternehmen wurde nicht zuletzt dank einer Finanzspritze von 600 Millionen Euro durch den indischen Mobilitätskonzern Bajaj Auto international vor dem drohenden Konkurs gerettet.
Ein zarter Hinweis, dass im bevölkerungsreichsten Land der Welt einige wirtschaftliche Schwergewichte nur darauf lauern, neue Märkte zu erobern. Denn mit einem Anstieg des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 6,3 Prozent ist Indien der derzeit am stärksten wachsende G20-Staat. Und für Österreich ein zunehmend immer wichtiger werdender Wirtschaftspartner.
Rising Star Indien
2024 erreichten Österreichs Exporte nach Indien mit über 1,43 Milliarden Euro einen neuen Höchststand – ein Plus von 2,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Und das trotz weltweit angespannter Wirtschaftslage. Maschinen und Fahrzeuge – darunter auch Schienenfahrzeuge – zählen zu den wichtigsten Exportgütern nach Indien. Gerade in diesem Bereich sieht Danai Budas, stellvertretende Bereichsleiterin für Internationale Beziehungen in der Industriellenvereinigung, auch künftig das größte Wachstumspotenzial: „Die industrielle Produktion hat in den vergangenen Jahren in Indien und Südostasien stetig zugenommen. Das Thema Industriemodernisierung nimmt hier eine wichtige Rolle ein.“
Genau in diesem Bereich sei Österreichs Wirtschaft sehr fortgeschritten und könne ihr Know-how, etwa im Bereich der Automatisierung, zur Verfügung stellen. Budas: „Auch in der pharmazeutischen Industrie oder im Infrastrukturbereich sind heimische Unternehmen am indischen Markt gefragt.“
Infrastruktur im XXL-Format
Mit inzwischen 1,4 Milliarden Menschen hat die größte Demokratie der Welt China als bevölkerungsreichstes Land abgelöst. Um mit diesem Tempo Schritt zu halten, investiert Indien jährlich rund 130 Milliarden US-Dollar in seine Infrastruktur – das sind 3,4 Prozent des BIPs. Derzeit entstehen landesweit 34 Metro-Projekte, darunter Mega-Vorhaben wie die Delhi Metro mit 353 Kilometern Länge oder neue U-Bahnen in Mumbai, Bangalore und Chennai. Jeden Tag kommen 15 Kilometer neue Bahnstrecken und 35 Kilometer Autobahn hinzu. In den nächsten fünf Jahren sollen außerdem 50 neue Flughäfen und elf urbane Seilbahnprojekte entstehen – ein gewaltiger Modernisierungsschub.
Nach fast einem Jahrzehnt Stillstand hat die EU 2022 die Verhandlungen über ein umfassendes Freihandelsabkommen mit Indien wieder aufgenommen. „Ein baldiger Abschluss würde einen dringen notwendigen Impuls für die exportorientierte österreichische Industrie darstellen“, sagt Budas. Seit 2007 laufen auch die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit den ASEAN-Staaten. Mit Vietnam konnte inzwischen ein Abkommen abgeschlossen werden, die Gespräche mit Malaysia wurden erst heuer wieder aufgenommen. Stefan Stantejsky, Regionalmanager Asien/Ozeanien in der Wirtschaftskammer Österreich, befürwortet den möglichst raschen Abschluss der in Aussicht genommenen EU-Freihandelsabkommen: „Angesichts der geopolitischen Änderungen und Problematiken wäre eine Diversifizierung unserer Handelspartner bzw. Absatzmärkte in Asien sehr wichtig.“
Good Morning, Vietnam
Kaum ein asiatischer Markt hat in den letzten Jahren im Indopazifik so stark zugelegt wie Vietnam. Das Handelsvolumen mit Österreich erreichte 2024 den Rekordwert von 1,94 Milliarden Euro. Vor allem Vietnams Integration in globale Lieferketten, das seit 2020 bestehende EU-Handelsabkommen und die stetig steigende Produktqualität sorgen für kräftige Impulse. Die Einfuhren aus Vietnam stiegen auf 1,68 Milliarden Euro, womit das Land für Österreich nach China und Japan bereits die drittwichtigste Importquelle in Asien ist.
Gleichzeitig legten die österreichischen Exporte nach Vietnam auf 258,1 Millionen Euro zu – ebenfalls ein Allzeithoch. 55 heimische Firmen sind bereits mit Niederlassungen und Produktionsstandorten vor Ort vertreten. Und der Trend hält an: Für 2025 wird ein Wirtschaftswachstum von 5,2 Prozent erwartet – besonders im Bereich erneuerbare Energien eröffnen sich neue Chancen für Österreichs Exportwirtschaft.
Exportziel Malaysia
Nach Indien ist Malaysia Österreichs zweitwichtigster Exportmarkt in Südasien bzw. Südostasien. 2024 legten die heimischen Ausfuhren um beeindruckende 24,4 Prozent zu und erreichten 737 Millionen Euro. Der Großteil entfällt auf die Halbleiterindustrie – allen voran liefert das Kärntner Vorzeigeunternehmen Infineon Dioden Transistoren und integrierte Schaltkreise in die boomende malaysische Elektronikproduktion. Bemerkenswert: Anders als bei den meisten anderen Ländern der Region exportiert Österreich deutlich mehr nach Malaysia, als es von dort importiert.


Hoffnungsmarkt Thailand
Thailand rückt zunehmend ins Visier heimischer Exporteure. 2024 stiegen Österreichs Ausfuhren um 5,8 Prozent auf 296 Millionen Euro, vor allem dank elektrischer und produktionsbezogener Maschinen für die modernisierende Industrie des Landes. Auch die Importe zogen leicht an und lagen bei 852 Millionen Euro – das Handelsbilanzdefizit bleibt, ist aber rückläufig. Neben dem Warenhandel intensiviert sich auch die Zusammenarbeit bei Technologie und Investitionen, etwa in Umwelt- und Energielösungen. Über 100 österreichische Firmen sind bereits vor Ort aktiv – viele davon mit eigener Produktion. Österreichische Unternehmen sind beispielsweise an mehreren Infrastrukturprojekten in Thailand beteiligt.
Die erratische Zollpolitik von Donald Trump und die Unsicherheit am US-Markt – Österreichs zweitwichtigstem Exportziel nach Deutschland – erhöhen den Druck zur Diversifizierung. Gerade Indien und Südostasien bieten wachsendes Potenzial. Ersetzen kann die Region die USA jedoch nicht: 2024 exportierte Österreich Waren im Wert von über 16 Milliarden Euro in die Vereinigten Staaten – ein Plus von zehn Prozent. Kurzfristig ist das kaum zu kompensieren, langfristig aber kann eine gezielte Diversifikationsstrategie stabilisierend wirken.
Auch als Investoren gewinnen Unternehmen aus der Indopazifik-Region an Bedeutung. Während österreichische Investitionen in den südostasiatischen Staaten noch sehr deutlich über den Investments dieser Länder in Österreich liegen, hat sich der Trend für Indien bereits umgekehrt. Budas: „Die indischen Investitionen in Österreich betragen aktuell 1,2 Milliarden Euro, die österreichischen in Indien 762 Millionen Euro.“ Indische Firmen werden damit zunehmend zu relevanten Geldgebern auf dem heimischen Markt.


Gastkommentar: Indo-Pazifik – mehr als dynamischer Absatzmarkt


Oliver Thurin, Rechtsanwalt & Gründungspartner von Partner® Rechtsanwälte, berät Unternehmen zu rechtlichen Strategien und M&A-Transaktionen im Indo-Pazifik
© BeigestelltRechtliche Erfolgsfaktoren für nachhaltige Partnerschaften
Der Einstieg von Bajaj bei KTM zeigt: Der Indo-Pazifik ist längst nicht mehr nur Werkbank und Beschaffungsmarkt, sondern Investitionsquelle, Kooperationsplattform und Zukunftslabor. Immer stärker rückt die Region auch als wachstumsstarker Absatzmarkt in den Fokus – mit wachsendem Bedarf an Technologie, Infrastruktur und hochwertigen Industriegütern. Doch wer diese Chancen nutzen will, muss rechtlich vorbereitet sein. Joint Ventures, Beteiligungen und Technologietransfer erfordern präzise Vertragswerke, kulturelles Verständnis und steuerlich tragfähige Strukturen.</p>
In vielen Ländern der Region – etwa Indien, Vietnam oder Malaysia – gelten sektorale Investitionsbeschränkungen. Beteiligungen an lokalen Unternehmen setzen daher nicht nur spezifische Genehmigungen voraus, sondern oft auch die Einbindung regionaler Partner, Joint-Venture-Strukturen oder eigens gegründeter Tochtergesellschaften. Nur durch tragfähige rechtliche Modelle lassen sich Kontrolle, Wertschöpfung und Know-how-Schutz dauerhaft sichern.
Rechtliche Planung muss heute zunehmend auch geopolitische Rahmenbedingungen berücksichtigen. Gefragt ist die Verbindung juristischer Expertise – insbesondere bei grenzüberschreitenden M&A-Transaktionen, gesellschafts- und steuerrechtlichen Strukturierungen sowie Investitionsschutz – mit strategischer Voraussicht. In enger Abstimmung mit Prof. Dr. Alfred Gerstl, einem der führenden Indo-Pazifik-Experten im deutschsprachigen Raum, fließen dabei auch geoökonomische und geostrategische Einschätzungen ein. Ob erste Schritte in den Markt oder die rechtliche Absicherung und Weiterentwicklung bestehender Engagements – wir unterstützen österreichische Familienunternehmen und Industriebetriebe bei der rechtlich fundierten und operativ tragfähigen Gestaltung nachhaltiger Partnerschaften.
In Kooperation mit Partner® Rechtsanwälte
Kontakt: oliver.thurin@partner.law
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr.35/2025 erschienen.