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Zukunftsmacher: Schule für alle

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Schul-Reportage
©Bild: News/Matt Observe
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Die Schule in der Anton-Krieger-Gasse in Wien-Liesing ist eine kleine Welt, in der die umstrittene Idee der Gesamtschule ihre Probe hält: Jedes Jahr werden auch Schülerinnen und Schüler aufgenommen, deren Noten eigentlich nicht gut genug für das Gymnasium sind. Schulleiter Michel Fleck findet: Man sollte alle Schulen in AHS umwandeln – und sie allen Kindern öffnen

Von außen sieht die Schule in der Anton-Krieger-Gasse im 23. Wiener Gemeindebezirk aus wie viele andere auch. Das Schulgebäude aus den 70er-Jahren, grün gestrichen, zerbröckelt an ein paar Ecken schon ein wenig. Viel Glas. Helle Korridore. Bunte Bilder an den Wänden. Ausdünstungen von Halbwüchsigen in einem ungelüfteten Klassenzimmer. Schule halt. Wie überall.

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Fotokünstler Matt Observe streifte einen Nachmittag lang durch das Schulhaus der WMS-RG-ORG Anton-Krieger-Gasse und fotografierte. Sie sehen seine Eindrücke auf den folgenden Bildern

 © News/Matt Observe

Und doch nicht: Hier, in der WMS/RG/ORG Anton-Krieger-Gasse, läuft seit 50 Jahren ein Modellversuch, der die Antwort auf ein großes – und immer größer werdendes – Problem des österreichischen Schulsystems geben könnte.

Bildung ist in Österreich in hohem Maße erblich. Die Kinder gebildeter Leute kommen im Alter von zehn Jahren ins Gymnasium, mit guten Aussichten, irgendwann zu maturieren und ein Studium zu absolvieren. Die anderen bleiben – zumindest in den städtischen Ballungsräumen – übrig. Eine Schere, die immer weiter auseinandergeht. Wer kann, rettet sich ins Gymnasium. Das Niveau in den städtischen Mittelschulen sinkt. Viele Kinder verlassen die Pflichtschule ohne grundlegende Kenntnisse. An manchen Schulen kommt es regelmäßig zu Mobbing und Gewalt. Keine Woche, in der nicht eine grelle Boulevard-Schlagzeile Licht auf "die Zustände" in irgendeiner Mittelschule wirft.

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Anna Gasteiger im Gespräch mit Schulleiter Michel Fleck

 © News/Matt Observe

Was ist AHS-Reife?

Nur 1er und 2er. Voraussetzung für die Aufnahme in eine Allgemeinbildende Höhere Schule ist, dass die Schüler im Jahreszeugnis der 4. Klasse Volksschule in Deutsch, Lesen und Mathematik keine schlechtere Note als "Gut" und alle anderen Pflichtgegenstände positiv abgeschlossen haben. Das setzt die Kinder, aber auch die Volksschulpädagogen, enorm unter Druck. Manchmal versuchen auch Eltern, Einfluss zu nehmen. Dadurch entsprechen die Noten oft nicht der tatsächlichen Leistung – und Lehrer in der AHS sehen sich mit Kindern konfrontiert, die zwar alle einen Einser im Zeugnis haben, aber höchst unterschiedlich viel können.

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 © News/Matt Observe

Der Weg ist vorgezeichnet

Bildungsexperten und Pädagogen erklären seit vielen Jahren, dass sie die frühe Entscheidung, ob ein Kind ins Gymnasium oder in die Mittelschule kommt, für problematisch halten. Die Bildungspsychologin Christiane Spiel erklärt warum: Gebildete Eltern tun alles, um ihre Kinder frühzeitig ins Gymnasium zu bringen, weil sie wissen, wie wichtig diese Weichenstellung ist. Ein späterer Wechsel von der Mittelschule ins Gymnasium ist zwar theoretisch möglich, findet in der Praxis aber selten statt. "Das heißt", resümmiert Spiel, "der Bildungsweg ist in gewisser Weise schon vorgezeichnet."

Die Schule in der Anton-Krieger-Gasse unterläuft dieses System, und das schon seit 50 Jahren. Im Rahmen eines Modellversuchs werden immer auch rund 25 Prozent Kinder ohne AHS-Reife aufgenommen. De facto also: eine Gesamtschule.

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 © News/Matt Observe

Schuldirektor Michel Fleck erklärt, wie er sich die Zusammensetzung der Klassen an seiner Schule vorstellt: "Wir nehmen hochbegabte Kinder auf, Kinder aus bildungsnahen Elternhäusern, die wirklich leicht lernen, aber auch Kinder aus bildungsfernen Familien und Kinder mit Beeinträchtigungen. So wie die ganze österreichische Gesellschaft ist, so wollen wir auch unsere Klassen zusammensetzen."

Benotet werden die Kinder auf zwei Leistungsniveaus, ein "Nicht Genügend" im AHS-Standard entspricht dabei bestenfalls einem "Befriedigend" im Leistungsniveau Standard. Das Ziel sei dabei nicht, alle Kinder auf dasselbe Niveau zu bringen, sagt Schulleiter Fleck. "Dafür sind die Unterschiede zu groß. Aber wir haben das vor einigen Jahre gemessen: Wir hatten mit ungefähr einem Viertel Nicht-AHS-Reife begonnen, nach der vierten Klasse waren 90 Prozent oberstufenreif."

In anderen Worten: Die Mehrheit der Kinder, die ohne AHS-Reife an die Schule gekommen waren, qualifizierte sich vier Jahre später für den Aufstieg in die Oberstufe. Eine beeindruckende Zahl. Die im Umkehrschluss nahelegt, wie viele Talente verloren gehen, weil sie nicht gefördert werden.

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 © News/Matt Observe

3 Fragen an Christiane Spiel

Warum ist die frühe Trennung ein Problem?
Eltern können ihre Kinder aufgrund ihres Bildungshintergrunds, ihrer finanziellen Möglichkeiten usw. sehr unterschiedlich unterstützen. Gebildete Eltern wissen, wie wichtig es ist, ins Gymnasium zu kommen, und tun alles, um ihre Kinder dabei zu unterstützen. Und dann? Man muss nur im Nationalen Bildungsbericht nachlesen. Kinder, die schon in der Unterstufe im Gymnasium sind, haben eine wesentlich größere Chance, in die Oberstufe eines Gymnasiums zu kommen, als Kinder, die zuvor in der Mittelschule waren.

Wäre die Gesamtschule eine Lösung?
Sie wäre grundsätzlich gut, aber nur unter bestimmten Bedingungen. In der Gesellschaft müsste es Akzeptanz geben, sonst gibt es dauernd Widerstände. Und die Gesamtschulen müssten eine hohe Qualität haben. Dazu braucht es mehr Personal.

Bleiben die Mittelschulen derzeit übrig?
Ohne Zweifel gibt es diese Segregation, dass genau diejenigen, die am meisten Schwierigkeiten haben, gemeinsam in den Mittelschulen sind. Wenn aber viele Kinder mit einem gewissen Risiko, das Minimum in den Fächern nicht zu schaffen, gemeinsam in einer Klasse sitzen, steigt dieses Risiko noch einmal an.

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 © News/Matt Observe

AHS für alle

Das Modell Anton-Krieger-Gasse auf andere Schulen umzulegen, das würde nicht funktionieren, räumt Fleck ein. Es gäbe zu wenig Schulplätze für Kinder mit AHS-Reife, wenn jedes Gymnasium auch Kinder ohne AHS-Reife aufnimmt. Wie sonst könnte ein Weg zu mehr Chancengleichheit aussehen? "Im bestehenden System sehe ich leider keinen. Ich würde alle Schulen zu AHS machen und darin alle Schüler aufnehmen. Mit dem Ziel, dass leistungsstarke und leistungsschwache Kinder gemeinsam in einer Klasse sitzen und voneinander lernen." Nachsatz: "Ich weiß, es ist visionär und wird nicht passieren." Denn die Ängste vieler Eltern vor einer Nivellierung nach unten seien zu groß.

So, wie die Gesellschaft ist, so wollen wir unsere Klassen zusammensetzen
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Michel Fleck, Direktor der WMS/RG/ORG Anton-Krieger-Gasse im 23. Wiener Gemeindebezirk

 © News/Matt Observe

Fleck hält sie für unbegründet. "Die Super-Einser-Kinder machen sowieso ihr Ding, denen ist im schlimmsten Fall manchmal fad. Und was Faktenwissen betrifft: Dessen Bedeutung ist begrenzt. Wer erinnert sich noch an Details aus dem Unterricht in der Unterstufe? Ich glaube, wenn Kinder lernen, wie sie einem anderen Kind helfen oder ein Integrationskind unterstützen können, ist das viel mehr wert als noch ein paar Gleichungen in Mathe."

Projektförderung

Bildungsmillion. Die MEGA Bildungsstiftung vergibt heuer zum fünften Mal eine Million Euro für Bildungsprojekte in Österreich. In diesem Jahr werden u. a. Projekte und Initiativen gefördert, die sich erfolgreich für Chancen-Fairness im Bildungssystem einsetzen. Einreichungen bis zum 3. Mai möglich.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 11/2024 erschienen.

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