Sein Bruder weckt das Land auf. Er sorgt dafür, dass die Menschen wach bleiben – im Kopf. Thomas Kratky, einer der erfolgreichsten Werber des Landes, hat den neuen Claim für News entwickelt: „Wir haben da noch eine Frage.“ Im Interview spricht er ein bisschen über sich. Vor allem aber über Marken mit Haltung, Kommunikation mit Substanz und warum Neugier wichtig ist.
Sie sagen über sich selbst: „Ich habe mehrere Leben in kürzerer Zeit erlebt.“ Welche Stationen haben Sie besonders geprägt?
Nach dem Tod meines Vaters war ich mit 17 Jahren der jüngste Unternehmer Salzburgs und habe die von meinem Vater aufgebaute Firma mit der großen Hilfe seines besten Freundes übernommen. Als ich das Unternehmen nach drei Jahren erfolgreich verkaufte, um studieren zu können, war ich der freieste Mensch der Welt. Und mit Sicherheit der glücklichste WU-Student aller Zeiten. Ich liebte es, alles zu lernen, alles aufzusaugen. Als ich während des Studiums ein halbes Jahr nach Spanien ging und später in Mexiko Diplomarbeit schrieb, kam zu meinem unglaublichen Freiheitsgefühl noch die schiere Lebensfreude hinzu. Gleich nach dem Studium verkaufte ich alles, was ich hatte, und wanderte nach Brasilien aus, nach Olinda, Bahia. Ich lebte in einem einfachen Haus am Strand, spielte Saxofon und schrieb Gedichte. Seit damals wusste ich, ich muss schreiben.
Was hat Sie in Ihrer Laufbahn stärker fasziniert: die strategische Planung oder die kreative Inszenierung?
Das wird von vielen verwechselt. Sich einfach nur Lustiges einfallen zu lassen – obwohl viele das glauben –, das hat nicht viel mit Kommunikation und Werbung zu tun. Marken zu verstehen, ist ein harter, langjähriger Lernprozess. Mein Agenturkompagnon Andreas Berger und ich hatten das Glück, in den größten Agenturen der Welt arbeiten zu dürfen, von New York bis London, von Prag bis Paris, und konnten so über viele Jahre unser eigenes Markenstrategie-Instrument entwickeln: der ‚enterbranding‘ Markenprozess ist speziell und unterscheidet sich von vielen anderen durch ein besonderes Augenmerk auf das Emotionale einer Marke.
Immer erst nachdem wir eine Marke genauestens analysiert haben, kann man feststellen, wo Stärken und Chancen in Zukunft liegen, danach beginnt erst die kreative Phase. Offen gesagt, 50 Prozent der Agenturen haben von all dem keine Ahnung. Und nicht überall, wo Strategie draufsteht, ist Strategie drinnen. Von den verbleibenden 50 Prozent der Agenturen gibt es vielleicht 20 Prozent, die da in derselben Liga spielen wie wir. Doch der Markt widerspiegelt diese Situation nicht. Immer noch werden Agenturen über langweilige Wettbewerbe engagiert, die meist nicht die Qualität einer Agentur zeigen, sondern nur eine Momentaufnahme. Wie soll man auch in einer dreiwöchigen Wettbewerbsphase einen Kunden so gut kennenlernen, wie wir das tun in einem drei- oder sechsmonatigen Strategie-Prozess? Darum ziehen wir es vor, Kunden, die offenkundig ein Qualitäts- und Markenbewusstsein haben, zu finden, auszusuchen, anzusprechen. Und manchmal hat man das Glück, jemanden zu entdecken, der selbst auf der Suche ist.
Wie wichtig ist Ihnen Humor in der Kommunikation, besonders wenn es um politische oder gesellschaftliche Themen geht?
Wer Politik mag, muss lachen können. Ja, wir mögen Humor. Weil es ein wunderbarer Türöffner zu den Herzen von Menschen ist. Was uns allerdings von Anfang an immer wichtig war, ist, mit jeder Kampagne aus unserem Haus einen positiven Aspekt für Gesellschaft, Land oder Zukunft zu finden, zusätzlich zu den definierten Werbezielen. Darum heißen Kampagnen von uns auch: ‚Vermehrt Schönes!‘, ‚In jeder Beziehung zählen die Menschen.‘, ‚Öffnet neue Türen!‘, ‚Das Glück, helfen zu können.‘, ‚Politik braucht ein Gewissen.‘, ‚Zum Finden erfunden.‘, ‚Zu wissen mit gutem Gewissen.‘ Oder eben: ‚Wir haben da noch eine Frage.‘ für das neue News. Denn auch Neugierde, Wissensdrang und eine gewisse Hartnäckigkeit machen unser aller Leben besser, schöner, klüger.
Was war Ihre ungewöhnlichste Produktion und welche Erfahrungen haben Sie daraus mitgenommen?
Da gibt es einige. In Marokko haben wir eine Woche lang in einem Kloster einen Zorro-Fecht-Film gedreht, in Costa Rica einen ‚King Kong Spot‘ an einem krokodilverseuchten Fluss, auf Kuba ein ‚James-Bond‘-Commercial, in Südafrika eine wilde Alpenromanze. Insgesamt haben wir auf vier Kontinenten und in 17 Ländern produziert. Warum? Weil es meist günstiger war, aber das Resultat immer besser. Kunden schätzen, wenn es günstiger wird. Und wir schätzen es, wenn man mit dem ganzen Team gemeinsam über Tage und Abende in einem Stück zusammenarbeiten kann.
‚Wir haben da noch eine Frage.‘ ist eine mentale Keule gegen alle, die denken, sie wissen bereits alles.
Wie hat sich die Werbewelt seit Ihren Anfängen verändert und was ist zeitlos gültig geblieben?
Großartig, dass sich etwas verändert – und oberflächlich betrachtet hat sich viel verändert. Aber in Wirklichkeit ist die Qualität der Ideen immer schon entscheidend gewesen und wird es in aller Zukunft auch bleiben. Kreativitiät ist der Treibstoff von morgen. Damit werden sogar Autos fliegen können. Vieles in der Digitalwelt, oft nichts anderes als bloße Mediakanäle, ist noch Jahrzehnte von einem intelligenten Markenverständnis entfernt. Man produziert billigsten Aufmerksamkeitsschrott und glaubt, nur weil man eine Million Follower hat, hat man einen Eindruck hinterlassen. Auch ein ziemliches Problem der Politik: Anstatt Ideen zu entwickeln, setzt man auf simplen Informationsüberfluss. Und nein, Eierpecken und Vespafahren sind keine politischen Kategorien. Übrigens, da für die meisten Menschen, Qualität zu beurteilen eine fast noch schwierigere Aufgabe ist, als Qualität zu produzieren, haben wir für Kunden ein völlig neues Tool entwickelt, das noch heuer auf den Markt kommt. Da kann man schon neugierig sein!
Wodurch zeichnet sich eine starke Marke aus, und woran erkennt man, ob eine Kampagne Substanz hat oder bloß auf Aufmerksamkeit aus ist?
Sagen, was man tut. Sagen, warum man es tut. Und am wichtigsten: sagen, was man davon hat. So einfach ist es im Grunde. Aber alles, was einfach klingt, ist ja harte Arbeit, wie wir wissen.
Sie haben sowohl Joghurt als auch Bundespräsidenten inszeniert. Wie unterscheidet sich politische Markenführung von Produktwerbung?
Ein Bundespräsident ist auch nur ein Joghurt mit Vision und gesellschaftlicher Verantwortung.
Wie neutral muss – oder darf – ein Werber in der Politik sein?
Das steht in unserer Agentur-Verfassung: Neutralität ist ein immerwährender Schatz. Wir haben ja nicht nur viele Bundespräsidentenwahlen gewonnen, sondern auch Nationalratswahlen. Wir haben Kanzler, Minister, Landeshauptleute beraten oder betreut. Doch da wir uns unsere Kunden genau aussuchen, haben wir im Lauf der Jahre weitaus mehr mögliche politische Aufträge abgelehnt als zugesagt, auch hochdotierte Etats, sobald wir uns über Ziele und Werte nicht einigen konnten. Wir lehnen zudem Dirty Campaigning und Negativwerbung immer vertraglich ab. Insofern können wir sagen: Wir sind nie neutral, sondern immer von den gemeinsam definierten politischen Zielen der Kandidaten überzeugt. Dass die Neutralität – genauso wie die Kulturmacht unseres Landes – eine der zwei Schätze ist, die natürlich bewahrt werden müssen, schließt für uns bestimmte Parteien oder Politiker momentan wieder einmal aus.
Und was kann die Politik sich von der Wirtschaft abschauen, wenn es um Kommunikation geht?
Vorteile für den einzelnen kommunizieren. Meinungsforschung ist bei dem Gesamtgericht Werbung nicht mehr als ein Gewürz und nicht die ganze Speise wie oft in der Politik: da verirrt man sich allzu oft in der anspruchslosen Beantwortung von Befindlichkeiten der Menschen, anstatt Visionen, Konzepte, Ideen für die Zukunft zu entwickeln und den zukünftigen Vorteil daraus zu bewerben. Darum ist politische Werbung heute so schwach, so mittelmäßig, so langweilig. Die gute Nachricht: Im Zeitalter der Mittelmäßigkeit sind visionär denkende Menschen seltener und umso gefragter!


Geplante Irritation. Der Slogan „News. Wir haben da noch eine Frage.“ regt mit einer bewusst irritierenden Kombination aus Bild und Botschaft zum Innehalten an.
© Bild: iStock, Bild: Shutterstock, kratky.net, Kling AIUnsere Branchen – die Kreativbranche, die Medienbranche – stecken mitten in einem Umbruch. Wie navigiert man als Kreativer durch so einen Umbruch?
Wer die Veränderung nicht liebt, hat sie nicht verstanden. Es geht nie darum, dass es so bleibt, wie es eh nie war, sondern darum, welche positiven Dinge die Veränderung bringen kann. Ich habe jede Veränderung bisher als Genuss und Gewinn betrachten dürfen. Und noch nie hat uns Kreativsein so viel Spaß und Freude gemacht wie in diesen Zeiten!
Was braucht ein Printmagazin heute, um relevant zu bleiben und welche Rolle spielt Kreativität dabei?
Klingt jetzt banal, aber um relevant zu bleiben, braucht es nur Relevanz. Sonst nichts. Die muss man aber erst einmal finden. Klammer auf: Relevanz im Kundenangebot zu finden, ist auch Aufgabe unseres Jobs, Klammer zu.
Die Quintessenz von gutem Journalismus ist: Fragen zu stellen. Oder noch besser gesagt: nicht aufhören, Fragen zu stellen. Das macht News für seine Leserschaft. Denn wenn niemand anderer mehr eine Frage stellt, dann wird es ja eigentlich erst interessant.
Ist Print tatsächlich ein Auslaufmodell, oder fehlt es einfach an neuen Denkansätzen?
Nach zwei Stunden TikTok sehnt sich jeder Mensch nach einem Stück Papier. Print ist wieder im Kommen, aber anders. Man muss sich viel mehr konzeptiv überlegen, neue Dinge anbieten, die das Netz nicht kann. Nacktes Fleisch und KI-generierte Bilder kann man getrost weiter dem Internet überlassen. Wir haben zum Beispiel den erfolgreichsten Sachbuchverlag Österreichs (Ecowin Verlag – Anm. d. Red.) mit aufgebaut, wo fast jedes Buch ein Bestseller wurde. Aber wir haben fast jedem Autor den Titel weggenommen und für jedes Coverbild gekämpft. Ein Printcover wie ein Buch ist wie ein Versprechen aufs Gelobte Land. Man muss schon neugierig machen, was einen erwartet.
Wie ist der Claim „Wir haben da noch eine Frage“ entstanden?
Wenn in der TV-Serie Peter Falk als Inspektor Columbo schon bis Filmende alle Fragen beantwortet bekommen hat und der Fall ziemlich klar schien, genau dann kam er immer noch einmal zurück und stellte noch eine allerletzte Frage – die dann den Unterschied machte zur Lösung des Falls. Genial oder?
Was transportiert dieser Claim über unser Magazin und was soll er bei den Leserinnen und Lesern von News auslösen?
Die Quintessenz von gutem Journalismus ist: Fragen zu stellen. Oder noch besser gesagt: nicht aufhören, Fragen zu stellen. Das macht News für seine Leserschaft. Zu allen möglichen, unterschiedlichen Themen. Das ist die Leistung. Denn wenn niemand anderer mehr eine Frage stellt, dann wird es ja eigentlich erst interessant.
Inwiefern versteht sich der Claim auch als Kommentar zur heutigen Medienlandschaft – zum schnellen Meinungsmachen und zur zunehmenden Polarisierung?
In Coronazeiten hat man täglich erleben können, wie viele in der Politik und auch in den Medien den Menschen weismachen wollten, es gäbe nur eine Erkenntnis, nur eine Meinung, nur eine Wissenschaft, nur eine ‚Wahrheit‘. Als hätten Falsifikation und Verifikation an den Universitäten nie existiert. In dieser Zeit haben sich viele Intellektuelle vom Mainstream verabschiedet. Es war unglaublich, als Leitmedien wie der ORF plötzlich Objektivität vermissen ließen und darum an Glaubwürdigkeit stark verloren haben. Bis heute. Aus Angst, Gegenmeinungen zuzulassen und zu vertrauen, dass Menschen ein gesundes Urteilsvermögen selbst besitzen, hat man jegliche kritische Stimme stummgemacht. Jegliche Aufarbeitungsversuche waren bis heute stümperhaft. ‚Wir haben da noch eine Frage.‘ ist eine mentale Keule gegen alle, die denken, sie wissen bereits alles.
Was muss ein starker Claim heute leisten – in einer Zeit, in der Inhalte im Sekundentakt vorbeiziehen?
Das ist einfach: Er sollte aus unserem Haus kommen. Wir sind ja nicht zufällig am Kohlmarkt daheim. Sondern weil wir die beste Adresse sind. Ich weiß schon, Arroganz macht nicht sympathisch. Aber es ist nicht Arroganz. Wenn man mehrmals gegen den besten Kreativdirektor der Welt gewonnen hat, wird man so. Und man muss nicht uns lieben. Nur unsere Werbung.
Über Thomas Kratky
Thomas Kratky ist ein österreichischer Markenexperte mit über 20 Jahren Erfahrung in Strategie und Kommunikation für internationale Marken. Er war Kreativdirektor und Geschäftsführer führender Werbeagenturen wie McCann-Erickson und Young & Rubicam. Seit 2007 leitet er gemeinsam mit Andreas Berger die Agentur „kratkys.net“ in Wien. Kratky hat an der WU Wien Handelswissenschaften studiert.
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 18/25 erschienen.