Verbund-Chef Michael Strugl mahnt den Finanzminister: Dafür, dass die Energiewirtschaft eine Milliarde Euro Krisenbeitrag leiste und künftig einen Sozialtarif ermögliche, müssten die Konsumenten entlastet werden. Das Geld dafür lasse sich im Budget durch Strukturreformen finden. Zudem fordert der Verbund-Chef einen zügigeren Ausbau erneuerbarer Energien.
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Trotz Juli-Regens – es ist zu trocken. Wird der Wasserkraft ihr Rohstoff knapp? Müssten Sie als Verbund-Chef nicht täglich für den Klimaschutz auf die Barrikaden gehen?
Tun wir ja. Es ist eine der großen Herausforderungen der Zeit, wie wir mit der Klimaveränderung umgehen. Sie verursacht hohe Kosten – für Anpassungsmaßnahmen und durch Schäden, die entstehen. Das Klima ist aber nicht der einzige Grund, die Transformation des Energiesystems voranzutreiben. Es gibt schlicht wirtschaftliche Gründe. Ein großer Teil der Energie, die wir verbrauchen, ist importiert. Österreich bezahlt pro Jahr etwa zehn Milliarden Euro für hauptsächlich fossile importierte Energie. Das ist etwas mehr als die Hälfte des Energieendverbrauchs. Wir müssen unabhängiger werden von diesen Importen. Der Ukraine-Krieg hat gezeigt, wie verwundbar sie uns machen. Wir haben wenig Gas und Öl in Europa, aber wir können sehr viel Strom erzeugen, hauptsächlich aus erneuerbaren Quellen. Es wäre klug, diese Erzeugung rasch auszubauen. Mehr Strom am Markt heißt zudem niedrigere Preise. Wir brauchen eine angebotsorientierte Energiepolitik, durch attraktive Rahmenbedingungen soll investiert werden, um das Angebot zu erhöhen. Und: Die Versorgungssicherheit ist höher, je resilienter wir sind. Das alles kommt nicht von selbst. Es kostet Geld – für den Ausbau von Erzeugung, Netzen und Speichern. Es wäre nicht klug, diesen Ausbau zu hemmen.
Wird er gehemmt?
Wir brauchen nur die Verfahrensdauer anzuschauen. Wenn das nicht schneller geht, wird es länger dauern und teurer. Ganz einfach.
Es gibt eine Spezialisierung auf die Verhinderung von Projekten, mit Prozessfinanzierern im Hintergrund

Die Kritik lautet oft, Einsprüche von NGOs würden alles verzögern. Aber die Bürokratie und fehlende Projektunterlagen tun das ihrige.
Das ist schon richtig. Wir brauchen einfachere Rahmenbedingungen. Gesetze, die so klar sind, dass man sie auch umsetzen kann. Ich habe größtes Verständnis für die Interessen Betroffener, aber es gibt mittlerweile eine Spezialisierung auf die Verhinderung von Projekten, mit Prozessfinanzierern im Hintergrund. Das ist ein eigenes Geschäftsmodell geworden für Anwälte und Gutachter. Wir treffen bei jedem Projekt, ob das ein Windparkprojekt in Oberösterreich ist oder ein Wasserkraftprojekt in Salzburg, dieselben Leute. Das können nicht immer dieselben Betroffenen sein. Daher ist es wichtig, Verfahren zu konzentrieren und Fristen zu setzen.
Die Politik soll ein berechtigtes öffentliches Interesse beim Ausbau erneuerbarer Energie gesetzlich festlegen, das in Genehmigungsverfahren wirken soll. Wo ist der Grat zwischen Ausbau-Interesse und Interessen des Naturschutzes?
Das ist überhaupt nicht schwierig. Auch ein Unternehmen muss bei seinen Entscheidungen Vor- und Nachteile abwägen. Ich kenne keine Entscheidung, die nur Vorteile hat. So muss das auch die Politik machen. Zu sagen, das soll ein Richter entscheiden oder irgendein Gutachter, das führt zu diesen Verzögerungen.
Sie wünschen sich also mehr Mut?
Politik heißt entscheiden, und ich werde nicht jeden Tag von allen Applaus bekommen. Wenn ich das will, bin ich in der Politik fehl am Platz.
Mittlerweile kommt Widerstand gegen Windparks nicht mehr nur von Anrainern, sondern von der Politik, namentlich der FPÖ, selbst. Die Auswirkungen sieht man in Oberösterreich und Kärnten.
Natürlich gibt es auch Populismus in dieser Debatte. Das heißt, dass die Debatte nicht immer sachlich verläuft. Ich sage nicht, dass es leicht ist für die Politik. Ich war selbst Politiker und weiß, wie sich das anfühlt, in Bürgerversammlungen für Stromleitungen zu argumentieren. Aber es gilt Entscheidungen zu treffen, auch wenn es Kritik gibt.
Interessant, dass Sie und andere zwar den Grünen Ideologie bei deren Energiepolitik vorwerfen, die FPÖ aber außen vor lassen.
Ich würde mir wünschen, dass wir von dieser ideologischen und populistischen Debatte wegkommen, hin zu einer faktenbasierten und sachlichen Diskussion. Wir brauchen einen rot-weiß-roten Schulterschluss, es müssen alle an einem Strang ziehen – in die gleiche Richtung.
Milliarden für Energie
Der Verbund plant für den Zeitraum 2025 bis 2027 Investitionen von 5,9 Milliarden Euro. Knapp 2 Mrd. fließen in den Ausbau und die Instandhaltung des Strom- und Gasnetzes, 1,7 Mrd. in den Ausbau erneuerbarer Energien, 1,3 Mrd. Euro in Wasserkraftwerksprojekte. 400 Millionen Euro will man für Renaturierung, Artenschutz und Fischwanderhilfen ausgeben.
Der Ausbau der Netze hinkt dem Ausbau der erneuerbaren Energien hinterher. Schlechte Planung?
Die Dinge werden isoliert voneinander gemacht. Der Fotovoltaik-Ausbau war nicht zielgerichtet gefördert. Die Leute hätten wahrscheinlich auch so begonnen, ihren Strom selbst zu erzeugen, weil die Preise so hoch waren. Die Förderung war ein Mitnahmeeffekt. Aus systemischer Sicht wäre es besser gewesen, Speicher zu fördern, dann wäre mehr erzeugte Energie auf den unteren Netzebenen gehalten worden. Darauf haben wir damals hingewiesen. Der Netzausbau selbst muss vom Regulator genehmigt wurden. Da wurde uns lange gesagt: „Ihr baut zu viel.“ Die Kosten dafür trägt der Kunde über die Netztarife, es wurde darauf geschaut, dass diese möglichst niedrig sind. Mit dem gigantischen PV-Ausbau – bis zu 2,5 Gigawatt pro Jahr – hat das dann nicht mehr zusammengepasst. Es fehlt ein systemischer, integrierter Planungsansatz. Als Branche hätten wir gerne jemanden, bei dem die Fäden zusammenlaufen. So mussten wir mit drei Ministerien reden. Wenn man den Systemumbau gut plant, kann man ihn kosteneffizient gestalten. Wenn man ihn schlecht macht, ist es wie beim Hausbauen: es wird 30 bis 40 Prozent teurer.
Einer der Aufreger beim ElWG ist, dass Einspeiser – etwa private PV-Anlagen – mehr Netzkosten tragen sollen. Wäre das nicht fair?
Unter Fairness versteht jeder etwas anderes . Es wäre verursachergerecht, weil der starke PV-Ausbau einen Netzausbau bedingt. Mein Punkt ist ein anderer: Ist es klug, die Stromerzeugung zusätzlich zu belasten? Das ist nichts anderes als eine Kostenverschiebung von der Netzseite auf die Erzeugerseite. Am Ende macht es den Strompreis höher und das kommt erst recht wieder beim Kunden an. Der große Nachteil ist, dass das unsere Kraftwerke gegenüber Deutschland teurer macht. Das ist ein Wettbewerbsnachteil. Wir müssen das Gegenteil tun: Wir müssen die Erzeugung im eigenen Land attraktiver machen und ausbauen.
Inspire Energy Summit
Von 8. bis 10. Oktober findet am Wolfgangsee ein Experten- und Expertinnentreffen zum Thema Transformation des Energiesystems statt. Es geht um Nachhaltigkeit, Versorgungssicherheit und Leistbarkeit. Als Speaker erwartet werden u. a. Auto-Experte Ferdinand Dudenhöffer und Wirtschaftsphilosoph Anders Indset.
Die Bundesregierung verspricht, dass die Stromrechnung günstiger wird. Wann wird das sein?
Ich glaube, das ist kurzfristig nicht einlösbar. Was treibt die Strompreise? Derzeit der Gaspreis und der CO2-Preis. Den CO2-Preis macht die Politik, der Gaspreis ist ein Weltmarktpreis, der nicht von uns beeinflussbar ist. Daher: Wir brauchen mehr eigene Erzeugung, um die Energiekosten zu senken. Die System- und Infrastrukturkosten muss man durch kluge Maßnahmen dämpfen. Wenn ich Netze ausbauen muss, werden die Kosten steigen. Dagegen gibt es im ElWG mit Spitzenkappung und Digitalisierung richtige Ansätze. Wichtig ist aber: Ich brauche eine breite Basis an Netznutzern, dann werden die Kosten für den Einzelnen geringer. Wenn ich aber einzelne Akteure privilegiere und damit aus der Sozialisierung der Kosten herausnehme, wie Energiegemeinschaften oder Direktleitungen, zahlen alle anderen mehr. Man darf nicht kontraproduktive Akzente setzen, indem man Partikularinteressen nachgibt.
Die Politik könnte ihr Versprechen erfüllen, indem sie Steuern und Abgaben auf Energie senkt.
Das wäre eigentlich das Naheliegendste. Meine Stromrechnung besteht aus Energiekosten, Netzkosten und Steuern und Abgaben. Der jüngste Anstieg der Inflation ist diesen Steuern und Abgaben geschuldet. Man kann tun, was die Deutschen machen und auch die EU-Kommission den Mitgliedstaaten empfohlen hat: Steuern senken, einen Industriestrompreis machen, ein Zuschuss zu den Netzkosten, um Industrie und Haushalte zu entlasten, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Kann Österreich das auch? Ja, natürlich. Warum machen wir das nicht? Weil die Regierung sagt, wir können uns das nicht leisten. Ich sage, wir könnten es, wenn wir die Spielräume durch Strukturreformen schaffen. Der Finanzminister ist gefordert. Die Energiewirtschaft zahlt eine Milliarde Energiekrisenbeitrag in den kommenden fünf Jahren in das Budget ein. Und wir sollen auch den Sozialtarif zahlen, den das neue ElWG vorsieht. Wir wollen, dass unsere Kundinnen und Kunden dafür entlastet werden. Wir wollen nicht, dass das Geld im Budget versickert und Löcher gestopft werden.
Und die Gegenfinanzierung geht sich aus?
Machen Sie eine einfache Daumen-Rechnung: Deutschland zahlt für seine Maßnahmen etwa zwölf Milliarden Euro. Heruntergerechnet mit dem Faktor 10 wären das 1,2 Milliarden Euro für Österreich. Wir leisten bereits unseren Beitrag, dazu braucht es Maßnahmen auf der Ausgabenseite und Reformen. Im Budget gibt Österreich 123 Milliarden Euro aus. Ich glaube, dort lässt sich eine Milliarde finden.
Michael Strugl, 61
Der Oberösterreicher hat Rechtswissenschaften und Wirtschaft in Linz und Toronto studiert. Er war Pressesprecher der ÖVP Oberösterreich, später Landesparteisekretär und Landtagsabgeordneter. 2013 wechselte er in die Landesregierung. 2019 verließ Strugl die Politik und kam in den Vorstand der Verbund AG. Seit 2021 ist er dort Vorstandsvorsitzender.
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 32/25 erschienen