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Kopenhagen: Der andere Blick auf die lebenswerteste Stadt der Welt

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14 min
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©Getty Images

Kopenhagen ist die lebenswerteste und glücklichste Stadt der Welt - und eine der teuersten Europas. Besonders der Wohnungsmarkt ist ein teures Pflaster, trotz der großen Anzahl an Sozialbauten. Was macht die Lebensqualität tatsächlich aus? Und was verbirgt sich im Schatten der dänischen Wohlstandsgesellschaft?

Lange galt Wien als lebenswerteste Stadt der Welt. Seit 2025 aber hat Kopenhagen die Spitzenposition übernommen – ebenso im Happy-City-Ranking. Saubere Straßen, verlässliche Öffis und die Kanäle so sauber, dass man darin schwimmen kann. Es gibt Sozialbauten, eine gesetzliche Krankenversicherung und Arbeitslosengeld – die dänische Hauptstadt wirkt wie ein urbanes Paradies. Und doch: Die 23-jährige Nora musste sich drei Jahre lang aus einem Gemeinschaftskühlschrank ernähren.

Money, money, money ...

Nora Kopp ist 23 Jahre alt, als sie für das Schauspielstudium von Deutschland nach Kopenhagen zieht. Aufgrund ihrer recht überstürzten Entscheidung wird ihr erst vor Ort bewusst, wie herausfordernd die Wohnungssuche ist. Nach einigen Wochen des Couchsurfens findet sie schließlich über Facebook ein Zimmer bei einem älteren Herrn im Stadtteil Nørrebro*. Mit 500 Euro Miete ist es für Kopenhagen äußerst moderat. Sie schätzt aber nicht nur den Preis, sondern auch den Austausch mit ihm und so wird aus einer Übergangslösung ein dauerhafter Wohnort. Doch auch im Alltag wird sie rasch mit dem Preisniveau Kopenhagens konfrontiert.

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Nørrebro wirkt lebendiger als der Rest der Stadt: Man sieht Graffiti, bunte Häuser und Jazzbands spielen im Freien.

 © shuttertstock

Die Plattform Numbeo hat errechnet, dass eine Einzelperson in der dänischen Hauptstadt im Schnitt monatlich 1.180 Euro für Lebensunterhaltskosten ausgibt. Vor allem die Lebensmittel sind sehr teuer. Durch Zufall stieß Nora auf den Community Fridge, ein studentisch initiiertes Projekt gegen Lebensmittelverschwendung.

Im Folkets Park wurden zwei Kühlschränke aufgestellt, in denen Freiwillige mit Lastenrädern überschüssige Lebensmittel aus Supermärkten und Restaurants sammelten und kostenlos zugänglich machten. Während ihres Studiums ernährte sich Nora größtenteils aus diesem Angebot und half im Gegenzug bei der Instandhaltung der Kühlschränke.

Zurückhaltung und Bewusstsein

Um mit den hohen Preisen zurechtzukommen, sei das Einkaufsverhalten vieler Däninnen und Dänen bewusster und reduzierter, erzählt Nora. Man gehe beispielsweise gezielt in unterschiedliche Supermärkte für verschiedene Lebensmittel – je nachdem, wo sie billiger sind.

„Kopenhagen hat ein tiefes Misstrauen gegenüber dem Exzess. Emotion und Ekstase wirken hier schnell irrational“, sagt sie. Man gehe nicht zufällig an einem Mittwoch essen, das Leben spiele sich mehr zu Hause ab. Unter anderem liegt das auch an den Kosten.

Introvertiert und strukturiert

Kopenhagen ist immer eine seltsame Melange aus Komfort und Kälte“, sagt Kopp, womit sie nicht unbedingt das Wetter meint. Man müsse sich alles selbst erschaffen, besonders das soziale Netz. Dänische Freundschaften bestehen meist seit der Schulzeit, da man zehn Jahre mit denselben Menschen in der Klasse ist. Für zugezogene Personen ist es schwierig, dasselbe Vertrauensverhältnis aufzubauen, erklärt Catarina Lachmund, Forscherin beim Happiness Research Institute. Zudem seien die Dänen eher introvertierte Menschen, was wiederum auch dem langen Winter geschuldet ist. Deshalb das Sprichwort: „Im Sommer die Menschen kennenlernen, damit du im Winter nicht alleine bist.“

Den Komfort erklärt sich Nora Kopp auch mit dem gut funktionierenden Sozialsystem. Man werde aufgefangen, müsse aber weniger riskieren und verharre in einer gewissen Zurückhaltung. So werde man leiser, ruhiger, mehr in sich gekehrt – das habe selbst sie bemerkt, obwohl sie eigentlich eine extrovertierte Person ist, ständig auf der Suche nach Unvorhersehbarkeit und Widersprüchlichkeit.

Der Wohnungsmarkt

Ebenso kostspielig ist der Wohnungsmarkt. In Dänemark gehören rund 69 Prozent der Wohnungen Privatpersonen, 20 Prozent sind öffentlich und mit Gemeindebauten vergleichbar, sieben Prozent entfallen auf Genossenschaften – der Rest besteht aus anderen Besitzverhältnissen. Ein Großteil der Wohnungen in Kopenhagen wird vermietet.

Die Gehälter sind zwar entsprechend hoch, doch leichter macht das die Wohnungssuche nicht. Laut dänischem Statistikinstitut liegt das durchschnittliche Bruttojahreseinkommen bei rund 53.000 Euro, in Kopenhagen sogar bei etwa 83.500. Zum Vergleich: In Wien sind es laut Statistik Austria 51.500 Euro. Allerdings sind die Steuern in Dänemark deutlich höher. In Kopenhagen setzen sie sich aus staatlichen und kommunalen Abgaben, Beiträgen für das Gesundheitssystem und in manchen Fällen auch aus der Kirchensteuer zusammen. Insgesamt bleiben so nur 47 bis 63 Prozent des Einkommens übrig.

Die hohen Wohnungspreise sind auch politisch bedingt. Liv Jørgensen, Entwicklungsberaterin beim dänischen Verband für gemeinnütziges Wohnen, erklärt: Liberale Regierungen hätten in der Vergangenheit den privaten Wohnungsmarkt geöffnet – mit der Folge stark steigender Mieten. Laut Numbeo kostet eine Einzimmerwohnung im Zentrum Kopenhagens heute rund 1.749 Euro, in Wien 1.086. Außerhalb des Zentrums sind es 1.238 Euro, in Wien 780. Vor allem Modernisierungen und Renovierungen haben die Preise zusätzlich nach oben getrieben.

Der soziale Wohnungsmarkt

Im Laufe der Jahre hat die Politik mehrfach versucht, den Wohnungsmarkt zu regulieren. Dafür gibt es im dänischen Parlament das „National Housing Committee“ – vergleichbar mit den Ausschüssen im österreichischen Nationalrat, in dem alle Parteien vertreten sind. Es erlässt Gesetzesvorschläge und überprüft die bestehenden Gesetze. Darüber hinaus gibt es auch Mietzuschüsse, die unter bestimmten Auflagen gewährt werden. Im Dezember 2024 nahmen 587.077 Menschen in ganz Dänemark diese Hilfe in Anspruch.

Kopenhagen setzt – ähnlich wie Wien – stark auf den sozialen Wohnbau: Rund 20 Prozent der Wohnungen gehören dazu. Eine der Organisationen, die sich für bezahlbaren Wohnraum einsetzt, ist BL, wo auch Jørgensen arbeitet. Dabei handelt es sich um einen Branchenverband bzw. Interessenvertretung für gemeinnützige Wohnungsunternehmen, der vor allem politische Arbeit leistet. Er garantiert einen Mietpreis, der lediglich die Baukosten deckt. Das Modell funktioniert nach einem fixen Rückzahlungsmodell: Beim Einzug zahlen Mieterinnen und Mieter zwei Prozent der Baukosten und über die Jahre hinweg einen fixen Zinssatz von 2,8 Prozent.

Lange Wartelisten

Um in einem Sozialbau wohnen zu können, reicht offiziell eine Aufenthaltsbescheinigung. In der Praxis ist es jedoch deutlich komplizierter: Die Vergabe erfolgt nach dem Prinzip „first come, first serve“ – und wer zu spät kommt, landet auf einer Warteliste, die oft über zehn Jahre reicht. Einer der Gründe dafür ist die steigende Urbanisierung. Deshalb rät Jørgensen Eltern, ihre Kinder möglichst früh registrieren zu lassen: Einmal im System, fällt der Zugang zu neuen Wohnungen wesentlich leichter.

Das heißt auch: Wer in Dänemark geboren ist, hat es leichter; wer erst später herzieht, deutlich schwerer. Wer sich die hohen Mieten in Kopenhagen nicht leisten kann, weicht in günstigere Viertel aus. Doch genau dort entstand lange Zeit das, was die dänische Regierung selbst als ‚Ghettos‘ bezeichnete – ein Begriff, den sie mit fragwürdigen Maßnahmen bekämpfen wollte. Inzwischen beschäftigt dieser Umgang sogar den Europäischen Gerichtshof.

Dänemark ist eines der Länder, das in Europa einen harten Migrationskurs fährt. Nora Kopp spürt das in ihrem täglichen Leben auch: „Ich bewege mich hier in einem System, das sich immer mehr sozial abschottet und gleichzeitig in den Himmel gelobt wird.“ Seit 2004 gibt es die sogenannte Ghetto-Strategie*, die die vermeintliche Förderung von Integration zum Ziel hat. Betroffen ist davon auch der Wohnbau. Steht ein Viertel seit fünf Jahren auf der „Ghetto-Liste“ – das Wort wird seit 2021 übrigens nicht mehr verwendet, auch wenn es die Listen weiterhin gibt – so müssen die Sozialbauten auf 40 Prozent verringert werden.

Entwicklungsberaterin Liv Jørgensen erklärt, dass es mehrere Optionen gibt: Häuser können zu Studenten- oder Altersheimen umgebaut, verkauft oder sogar abgerissen werden. Die Kehrseite: Viele Bewohner wurden dadurch zwangsweise umgesiedelt. „Es gibt keine Beweise, dass der Abriss von Gebäuden die Situation verbessert“, sagt Jørgensen.

Abriss vs. Renovierung

Tatsächlich ist der Abriss von Gebäuden in Dänemark nicht unüblich. Laut dem Ministerium für Soziales und Wohnungswesen werden jährlich etwa 2,2 Millionen Quadratmeter abgerissen, fünf bis sechs aber neu gebaut. Damit steigen auch die CO2-Emissionen. Deshalb wurde bereits 2022 von Vertretern der Branche die „Reduktions-Roadmap“ entwickelt. Sie legte fest, dass bis 2032 die Emissionen um 96 Prozent reduziert werden müssen, damit sich Dänemark an das Pariser Klima-Abkommen halten kann.

Bis 2025 sollten die Emissionen pro gebaute Quadratmeter im Land halbiert werden. Mehr als 630 dänische Bauunternehmen unterzeichneten das Abkommen. Doch bald zeigte sich: Trotz der vorgeschriebenen 33-prozentigen Reduktion lagen die Emissionen noch immer deutlich zu hoch.

So entstand dieses Jahr die Non-Profit-Organisation ByggestopBevægelsen – die „Baustopp-Bewegung“. Ihr Ziel: den Neubau von Gebäuden um 80 Prozent zu reduzieren. Dafür sucht sie den Dialog mit der Branche sowie mit lokalen und nationalen Politikern, um eine gesetzliche Verankerung zu erreichen. Bauingenieur Nicolai Nørrekær Mortensen engagiert sich in seiner Freizeit in der Bewegung. Für ihn liegen die Chancen nicht nur im Nachhaltigen, sondern auch im Sozialen: „Statt Wände niederzureißen und unsere Wohnungen größer zu machen, können wir Wände aufstellen, um näher beieinander zu wohnen. So würden wir auch kulturell und sozial näher beieinander sein.“

Auch Jørgensen sieht viel soziales Potenzial im Bausektor: „Wir stellen nicht nur Wohnungen zur Verfügung, wir befassen uns auch mit sozialen Themen und Klimaaspekten. Der Grundsatz lautet immer, wie können wir einen konstruktiven Part bei der Entwicklung der Wohlfahrtsgesellschaft spielen?“

Mehr Befragungen

Im Großen und Ganzen geht es den Menschen in Kopenhagen gut – nicht zuletzt, weil regelmäßig Volksbefragungen zur Zufriedenheit stattfinden. Ein Modell, das sich auch für Wien anbieten würde, meint Lachmund. Und auch Nora Kopp fühlt sich hier weiterhin zu Hause, wünscht sich jedoch, dass die Menschen stärker aufeinander zugehen und die Unvorhersehbarkeit mehr schätzen lernen.

Wichtig für die Lebensqualität sei auch das Schaffen von sogenannten ‚third places‘, erklärt Lachmund – Orte, an denen man sich trifft, ohne Geld ausgeben zu müssen. In Kopenhagen etwa floss Steuergeld in die Reinigung der Kanäle und Häfen, sodass man dort gratis schwimmen kann. Für Lachmund steckt darin noch ein anderes Potenzial: „Gerade beim Schwimmen trägt man kaum Textilien, legt also alle sichtbaren Statussymbole ab. Im Bikini oder in der Badehose sind alle Menschen gleich.“

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 40/2025 erschienen.

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