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Julian Jäger: „Wir werden das Fliegen nicht verbieten können“

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Julian Jäger

©Bild: News/Ricardo Herrgott

32 Millionen Passagiere – so viele wie nie zuvor. Der Flughafen Wien steuert auf ein Rekordjahr zu. CEO Julian Jäger spricht über Reiselust, globale Konkurrenz, den Einfluss der Billigflieger und die Frage, warum trotz Klimadebatte kaum jemand auf das Fliegen verzichtet

Österreich verabschiedet sich in die Ferien. Am Flughafen Wien herrscht Hochbetrieb. Wie läuft der Sommerstart?

Am ersten Feriensamstag sind wir immer mit mehr Personal im Einsatz. Auch das Management ist vor Ort. Es ist wichtig, dass der erste Feriensamstag gut über die Bühne geht.

Wer viel fliegt, weiß, dass der Wiener Flughafen bestens funktioniert. Warum schafft das Wien und warum Berlin nicht, wo man auch mal 45 Minuten bei der Security ansteht?

Wir haben fast die gesamte Prozesskette selbst in der Hand und wickeln die Security, die Bodenabfertigung und für etwa 30 Prozent der Passagiere auch den Check-in selbst ab. So können wir Abläufe selbst beeinflussen und damit auch Ergebnis bzw. Kosten versus Qualität gut abwägen und steuern. Auch die gute Zusammenarbeit mit den Behörden ist dabei sehr wichtig und hilfreich. Wir sind in den letzten Jahren immer unter den pünktlichsten großen Flughäfen Europas gewesen. Wir sind ein sehr großer Arbeitgeber in der Region mit rund 5.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Und wir sind mit Abstand der pünktlichste Hub der ­Lufthansa-Gruppe. Das ist ein Asset im harten Konkurrenzkampf der Flughäfen.

Was bringt es, der Beste zu sein?

Die Lufthansa hat mit Frankfurt, München, Zürich, Wien, Brüssel sowie künftig auch Rom sechs Hubs, die untereinander konkurrieren. Da geht es darum, wer wie viel Kapazität, sprich: Flugzeuge – bekommt. Bei den Flughafengebühren sind wir etwa 15 bis 30 Prozent günstiger als Frankfurt, München, Zürich. Dafür ist Österreich kein Finanzplatz wie die Schweiz und wir haben dementsprechend weniger Business-Class-Passagiere und das wirkt sich auf die durchschnittlichen Ticketerlöse aus. Deshalb ist es wichtig, dass wir auf unsere Kosten schauen und eine hohe Qualität anbieten.

Heuer soll es mit 32 Millionen Passagieren einen neuen Rekord geben?

Ja, das ist die Hoffnung. Aber in diesen Tagen ist jeder Tag anders. Aktuell kostet uns die Situation im Nahen Osten (Das Interview wurde am 25. 6. geführt; Anm. d. Red.) viele Passagiere. Ende Mai waren wir auf Kurs. Jetzt muss man schauen, wie sich der Sommer entwickelt. Wenn punktuell Tel Aviv, Amman und der Iran wegfallen, spüren wir das. Das dämpft auch die Nachfrage in Richtung Ägypten. Der Nahe Osten ist eine sehr wichtige Region für uns.

Ist es wichtig, von Rekord zu Rekord zu eilen?

Die Passagierzahlen sind mit Abstand der wichtigste Treiber, was das gesamtwirtschaftliche Ergebnis betrifft. Mit Corona hatten wir die größte Delle in der Geschichte der Luftfahrt. Letztes Jahr ist es uns gelungen, schon wieder einen neuen Rekordwert zu erreichen – knapp über dem Vor-Corona-Niveau. Wir sind der größte Wirtschafts- und Jobmotor in der Ostregion. Und als börsenotiertes Unternehmen sind unsere Aktionäre natürlich an attraktiven Dividenden interessiert. Aber wir haben die wirtschaftliche Stärke, auch mal ein schwächeres Jahr durchzustehen.

Wie viel Wachstum ist für den Flughafen Wien noch möglich?

Das Ende ist noch lange nicht erreicht. Wir rechnen mit durchschnittlich zwei bis drei Prozent in den nächsten Jahren und Jahrzehnten. Mehr als 80 Prozent der Weltbevölkerung sind noch nie in einem Flugzeug gesessen. In Indien haben gerade Air India und Indigo jeweils 500 neue Flugzeuge bestellt. China wächst massiv. Das wird bei uns abgeschwächt ankommen. Auch nach Deutschland haben wir noch Wachstumspotenzial.

Wie lässt sich das heben?

In Deutschland gibt es eine sehr hohe Ticketsteuer. Die neue deutsche Regierung will das reformieren. Wenn das passiert, wird es mehr Angebot geben. Deutschland ist mit Abstand unser größter Markt.

Der Flughafen ist voll. Gefühlt alle fliegen, obwohl die Wirtschaft schwächelt. Ein Widerspruch?

Auf den ersten Blick vielleicht, aber dann doch wieder nicht. Wir sind ein stabiles Land mit hohem Wohlstand und Lebensqualität. Mein Eindruck ist, dass sich die Werte-Hierarchie verändert hat. Vor allem bei den Jungen. Das Auto ist weniger wichtig, Klimaschutz dafür mehr. Aber Reisen ist den Leuten weiterhin wichtig. Im letzten Jahr hatten wir 50 Prozent Urlaubs- und Freizeitreisen, 26 Prozent private Anlässe und nur mehr 25 Prozent Geschäftsreisen. In den Sommermonaten haben wir rund drei Millionen Passagiere pro Monat am Flughafen.

Inwieweit brauchen Sie die Politik?

Grundsätzlich hilft es, wenn man Unterstützung hat, um Airlines nach Wien zu holen. Deswegen sind wir auch ab und zu bei Staatsbesuchen dabei. Die Politik ist quasi der Door-Opener.

In Dubai entsteht der größte Flughafen der Welt – für 260 Millionen Passagiere. Was löst das bei Ihnen aus? Kopfschütteln? Neid?

Ich muss akzeptieren, dass die Rahmenbedingungen völlig andere sind. In Europa ist über die letzten Jahre die Luftfahrt tendenziell nur noch unter dem Aspekt des CO2-Ausstoßes gesehen worden. Dabei hat man vergessen, welche Wohlstandsbringer Luftfahrt und Tourismus sind. In fast allen anderen Teilen der Welt sieht man die Luftfahrt als etwas, das die Wirtschaft voranbringt. Ich war neulich bei der IATA-Konferenz in Delhi. Dort ist das ein Top-Projekt der Regierung, mehr Flughäfen zu bauen, Indien besser zu vernetzen. So muss man auch diese Mega-Flughäfen in Istanbul und in Dubai sehen. Es ist ein politisches Projekt: Wir wollen führend in der Luftfahrt sein. Wir sehen uns als Mittelpunkt der Welt. Wir verbinden die Kontinente. Jetzt wird der Flughafen Wien keine 100 oder 200 Millionen Passagiere haben. Aber eine grundsätzlich positivere Haltung zur Luftfahrt und ein Wertschätzen dessen, wie viele Arbeitsplätze geschaffen werden und wie wesentlich das für die wirtschaftliche Entwicklung ist, würde uns auch in Europa bzw. Österreich helfen. Ich sehe dafür sehr positive Signale von der neuen Bundesregierung.

Flughafen und Flugverkehr sind unmittelbar mit der Wirtschaft verbunden und zahlen auf unser aller Wohlstandskonto ein

Julian Jäger

Ohne den Umweltaspekt geht es ja auch nicht. Was kann ein Flughafenbetreiber überhaupt beeinflussen?

Wir beeinflussen das, was wir können, das ist der Bodenbetrieb des Flughafens. Seit letztem Jahr führen wir unseren Flughafenbetrieb CO2-neutral. Ich stehe auch dazu, dass wir als Branche bis 2050 CO2-neutral werden müssen. Das geht über die Sustainable Aviation Fuels, die CO2-neutralen Kraftstoffe. Man muss schauen, dass Dekarbonisierung nicht auf Kosten der Wettbewerbsfähigkeit geht. Die Abstimmung über Flugscham findet jeden Tag bei uns am Flughafen statt – und geht ganz stark zugunsten des Fliegens aus. Die Herausforderung der Politik ist, dass alles unter einen Hut zu bringen. Aber wir werden das Fliegen nicht verbieten oder künstlich reduzieren können. Es muss auch um das Thema gehen, dass Flughafen und Flugverkehr unmittelbar mit Wirtschaft verbunden sind und auf unser aller Wohlstandskonto einzahlen.

Das fällt oft unter den Tisch …

Global gesehen ist die Luftfahrt nur für 2,6 Prozent des CO2-Ausstoßes verantwortlich. Natürlich können wir uns nicht zurücklehnen. Mein Eindruck ist, dass sich in Europa und auch Österreich der Fokus auf die Luftfahrt diesbezüglich positiv geändert hat. Es geht ja nicht nur um Airlines und Flughäfen, sondern um den Produktionszweig an sich. Es gibt ganz wenige Industriezweige, wo Europa führend ist. In der Flugzeugproduktion sind wir mit Airbus führend. Mit Abstand. Österreichische Firmen gehören zu den größten Zulieferern an Airbus. Das sollte man nicht übersehen.

Welche Airline würden Sie sich wünschen? Sei es aus wirtschaftlichen Gründen oder aus Prestige?

Ich bin glücklich, dass wir mit Austrian eine Top-Airline als Homecarrier haben. Ich freue mich, dass wir Low-Cost-Carrier wie Ryanair und Wizz am Standort haben. Vor allem auf der Langstrecke gibt es Airlines, die wir gerne nach Wien holen würden. Die Hainan Airline ist zurück. Die ANA hat letztes Jahr Tokio wieder ganzjährig angebunden. Wir haben gerade die Scoot mit einer Direktverbindung nach Singapur begrüßt. Wien wird touristisch, geschäftlich, als Diplomatenstandort und als Kongressstandort noch unterschätzt.

Infrastrukturminister Peter Hanke wünscht sich Indien als Destination. Ein frommer Wunsch?

Nein, wir sind intensiv dran. Aktuell haben sie zu wenig Kapazität. Wir hatten vier Flüge der Air India nach Wien. Die haben sie aufgrund des Unglücks vor Kurzem auf drei reduziert. Delhi verträgt locker einen täglichen Flug. Es hat auch die Wizz Air angekündigt, dass sie von Wien nach Indien fliegen will. Ich bin optimistisch. Bei der AUA bemühen wir uns, gemeinsam Rahmenbedingungen zu schaffen, dass sie mehr Flugzeuge und vor allem mehr Langstreckenflugzeuge bekommen. Da gibt es Potenzial, etwa in Richtung Osten.

Vor einigen Jahren haben vor allem die Billig-Airlines das Wachstum getrieben. Wie ist das heute?

Die Low Cost-Carrier liegen die letzten Jahre stabil bei rund 30 Prozent. Ich erwarte nicht, dass sie in den nächsten Jahren weiter so dynamisch wachsen. Ich wäre ganz froh, wenn die AUA wächst, wenn der Low-Cost-Sektor auch etwas zulegt und wenn wir vor allem auf der Langstrecke neue Airlines bekommen. Wenn alle ein bisschen wachsen, ist das eine gute Basis.

Mit Scoot ist ein Billig-Carrier zwischen Wien und Singapur unterwegs. Ist das ein Beweis, dass Low-Cost und Langstrecke kein Widerspruch mehr ist?

Absolut. Scoot ist die Tochter der Singapore Airlines. Da geht jetzt viel Verkehr über Singapur Richtung Australien, aber auch aus Australien zu uns. Die Wizz will mit Low-Cost auch die Langstrecke bedienen. Da werden einige Märkte erschlossen, die für mittelgroße Flughäfen wie den Flughafen Wien interessant sein können. Wir sind kein Finanzplatz wie Zürich und Frankfurt, das merkt man auch daran, dass die AUA eben keine First Class braucht. Aber wir haben das Einzugsgebiet Slowakei, Ungarn und Tschechien.

Die Abstimmung über Flugscham findet jeden Tag bei uns am Flughafen statt – und geht ganz stark zugunsten des Fliegens aus

Julian Jäger

Der Flughafen wird um 70.000 Quadratmeter erweitert. Was wird sich für Passagiere ändern?

Das Bild des Flughafens wird sich ändern. Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass wir dann in der ersten Liga der europäischen Terminals mitspielen – mit London, Zürich, München. Was uns bis jetzt fehlt ist die Großzügigkeit. Wir haben wenig Gastronomieflächen, zu kleine Loungen, zu wenig Shopping. Es wird neue Loungen, großzügige Warteflächen und 10.000 Quadratmeter neue Shopping- und Gastronomieflächen geben. Wir sind mit Top-Marken im Gespräch, die Interesse haben, Restaurants bei uns zu öffnen. Ursprünglich hätten wir im Juni 2020 zu bauen begonnen, dann wären wir 2023 fertig gewesen. Dann kam die Pandemie, nun wird es 2027.

Neue Scanner kommen auch, damit Flüssigkeiten und Laptops bei der Security in der Tasche bleiben können?

Wir haben gerade die Ausschreibung beendet. Das wird schrittweise ausgerollt. In spätestens zwei Jahren wird der gesamte Flughafen mit den neuen CT-Scannern ausgerüstet sein.

Was lässt man sich das kosten?

Rund 25 Millionen Euro.

KI, Gesichtserkennung, biometrischer Check-in – was davon ist schon Realität, was noch Zukunftsmusik?

Das wird immer mehr Thema werden. In Europa ist der Datenschutz hier ein Thema. Es gibt schon Flughäfen, da wird beim Einchecken des Gepäcks vom Passagier ein Foto gemacht. Ab diesem Zeitpunkt ist die Bordkarte mit dem Gesicht des Passagiers verknüpft. Das dürfen wir nicht. Dementsprechend wird das noch ein bisschen dauern.

Hätten Sie es gerne, wenn Sie könnten, wie Sie wollten?

Ja, natürlich. Da werden wir auch hinkommen. Gerade als Vielflieger muss es das Ziel sein, dass das Gesicht reicht, um zu erkennen, der Herr Jäger fliegt heute da und dorthin und es die Bordkarte gar nicht mehr braucht. Ob es jetzt in zwei oder in sechs Jahren kommt, kann ich nicht beurteilen. Aber das wird gegen Ende dieses Jahrzehnts möglich sein.

Sie reisen viel. Sie sehen viel. Gibt es einen digitalen Trend, wo Sie nicht mitgehen wollen?

Unser Prinzip ist, Smart-Follower zu sein. Wir beobachten sehr viel. Aber wir wollen nicht die Ersten sein, die es ausprobieren, weil das in der Regel sehr kostenintensiv ist. Ich bin überzeugt, dass wir in den nächsten Jahren große Revolutionen sehen werden. Es wird nicht mehr ewig dauern, bis wir Busse am Flughafen haben, wo es keinen Fahrer mehr braucht. Wir werden erleben, dass die Gepäckwagen selbstständig zum Flugzeug fahren. Es wird sich viel bei der Biometrie tun. Die automatisierte Beladung und Entladung von Flugzeugen wird noch dauern. Da ist die Robotik noch nicht so weit.

Was ist das nächste große Ding?

Ziel ist es immer, viele Projekte in der Schublade zu haben, damit wir – wenn der Zeitpunkt günstig ist und das Wachstum da ist – auch rasch Dinge umsetzen können. Wir wollen mehr Pier-Positionen schaffen, damit man direkt in den Flieger einsteigen kann und nicht mit dem Bus fahren muss. Es gibt Pläne, die Ankunftshalle zu vergrößern. Da reden wir schon von den 2030er-Jahren. Aber wir haben auch in den nächsten fünf bis 15 Jahren einiges vor.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 28+29/25 erschienen.

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