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KI made in Austria: Wie Österreichs Start-ups mit Künstlicher Intelligenz global durchstarten

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Alexandra Ebert, Chief Trust Officer bei Mostly AI

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Künstliche Intelligenz verändert nicht nur die Welt –, sondern auch Österreichs Start-up-Szene. Ein Blick auf eine Gründergeneration zwischen Förderung, Bürokratie und globalem Anspruch.

Über einem Feld in Niederösterreich kreist eine unscheinbare Drohne. Sie analysiert das Grün mit Sensoren, erkennt Wassermangel, Schädlingsbefall oder Überdüngung – und liefert per KI-gestützter Auswertung konkrete Empfehlungen für den Landwirt. Was wie ein Versuchslabor klingt, ist längst gelebte Praxis: In der Landwirtschaft, in Kliniken, auf Baustellen oder in der Logistik. Künstliche Intelligenz hält in nahezu allen Bereichen Einzug – und verändert Abläufe, Geschäftsmodelle und Wertschöpfungsketten grundlegend.

„Es gab nie eine bessere Zeit, um zu gründen“, meint Vlad Gozman, der bereits einige Unternehmen gegründet hat und bei seiner jüngsten Firma involve. me selbst KI einsetzt. „Und Start-ups können heute rasch einen globalen Markt ansprechen.“ Die heimische Gründerszene hat einen solchen Schub auch nötig, denn wegen der insgesamt dürftigen Wirtschaftslage im Land sind die Investitionen in junge Firmen auf einem niedrigen Stand.

Es gibt etliche Beispiele aus Österreich, wie KI in unterschiedlichen Branchen genutzt werden kann. Die Frage, wie man die KI trainieren kann, ohne dafür echte Daten – also etwa Details zu Personen – zu verwenden, beschäftigt viele Firmen. Eine Antwort darauf will das junge Wiener Unternehmen Mostly AI geben, 2017 vom Mathematiker Michael Platzer und den Datenwissenschaftlern Klaudius Kalcher und Roland Boubela gegründet. Damals war der große KI-Hype noch weit entfernt, und doch erkannten die drei bereits den Bedarf an synthetischen Daten – diese können etwa echten Personen nicht zugeordnet werden, die Aussagekraft soll aber erhalten bleiben.

Es ist wichtig, dass KI-Innovation nicht nur von den großen Tech-Giganten kommt

Alexandra Ebert

Weltmarktführer aus Österreich

Dafür setzt Mostly AI eben KI ein. Einsatzgebiete sind unter anderem Analysen des Kundenverhaltens und nun in steigendem Ausmaß die Schulung von KI. „Wir ermöglichen mit unseren synthetischen Daten die gesellschaftliche Nutzung, das Datenpotenzial kann gehoben werden, ohne dass es zu ethischen Fragen kommt“, erläutert Datenschutz-Expertin Alexandra Ebert, bei Mostly AI in der Funktion als Chief Trust Officer für die ethische Umsetzung der KI und Datenschutz verantwortlich. „Es ist auch wichtig, dass KI-Innovation nicht nur von den großen Tech-Giganten kommt – da leisten wir unseren Beitrag.“

Bei internationalen Investoren ist Mostly AI sehr gefragt; so gab es 2022 eine Finanzierungsrunde über 25 Millionen US-Dollar. Es sei gut denkbar, dass das Unternehmen irgendwann von einem der Großen übernommen werde, meint Ebert. „Wir bieten spezialisierte Lösungen in einem Reifegrad, den andere noch nicht haben. In unserem Bereich sind wir Weltmarktführer.“

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Datenpower. Kickscale-Mitbegründer Gerald Zankl (li.) entwickelt KI-Lösungen, die Vertriebsmitarbeitern täglich Stunden an Routinearbeit abnehmen sollen.

 © Michael Stabentheiner

Ein anderes Beispiel ist Kickscale, das mithilfe von KI die Vertriebsaktivitäten von Unternehmen optimieren möchte. Gerald Zankl, einer der Gründer, erläutert den Hintergrund: „Im Vertrieb gibt es erstens zu viele administrative Tätigkeiten, da geht bis zu zwei Drittel der Arbeitszeit drauf. Und zweitens gehen 95 Prozent aller Daten verloren. Da bleibt viel Potenzial liegen.“ Kickscale gibt es zwar schon seit fünf Jahren, doch mit dem jetzigen Geschäftsmodell ist das Unternehmen vor eineinhalb Jahren neu gestartet – und kann inzwischen 20 Mitarbeiter sowie Investments von Investoren wie Angels United aufweisen.

Das Kernthema von Kickscale ist Unterstützung im Sales-Bereich für Unternehmen ab fünf Vertriebsmitarbeitern; die Software kann aber auch von einzelnen Vertriebsspezialisten genutzt werden. Konkret soll den Mitarbeitern im Vertrieb zwei bis drei Stunden Arbeit pro Tag abgenommen werden, indem unter anderem die Einträge ins CRM-System übernommen werden. „Als zweiten Schwerpunkt liefern wir Markteinblicke, etwa welche Konkurrenten immer wieder vorkommen, welche Einwände oder Wünsche die Kunden haben“, sagt Zankl. Das System analysiert die Daten auf Potenziale und Probleme.

Als dritten Punkt wird Coaching angeboten: Was können Mitarbeiter im Vertrieb besser machen? Dabei kommt KI zum Einsatz – diese macht es möglich, dass alle Gespräche direkt transkribiert werden und wichtige Fragen gestellt werden können, etwa: Was passiert im Sales-Prozess und bei der Kundenbetreuung im Unternehmen? „Dafür werden große Datenmengen analysiert“, erläutert Zankl. Die Kickscale-Lösungen bauen auf bestehenden KI-Modellen von Open AI und Microsoft auf, nutzen aber europäische Server. „Ein eigenes Large Language Model ist nicht nötig, bestehende Modelle können für unsere Zwecke von uns adaptiert werden.“

Lernen vom Fadenwurm

Österreichische Wurzeln hat ein KI-Unternehmen, das weltweit für Furore sorgt: Liquid AI entwickelt KI-Modelle, die deutlich effizienter und ressourcenschonender arbeiten als andere Lösungen. Die dafür verwendete Technologie namens Liquid Foundation Model (LFM) orientiert sich nicht am menschlichen Gehirn, sondern am Nervensystem des Fadenwurms. CEO Ramin Hasani war bis 2021 als Machine-Learning-Forscher an der TU Wien tätig. Der CTO des Unternehmens ist ein Österreicher: Mathias Lechner hat am Institute of Science and Technology Austria studiert.

„Viele Organisationen erkennen zunehmend selbst, wie schwierig es ist, große, allgemein einsetzbare KI-Modelle auf ihre Organisation oder ihre Produkte und Dienstleistungen zu skalieren“, erläutert Hasani. Bei der Skalierung von KI-Technologien können unvorhersehbare Kosten oder datenschutzrechtliche Bedenken erhebliche Hürden darstellen. Die ressourcenschonende Struktur von Liquid zielt genau darauf ab: Sie soll skalierbare KI ermöglichen, ohne dabei Kompromisse bei der Leistungsfähigkeit einzugehen. „Das steigert unsere Beliebtheit in Branchen von Unterhaltungselektronik über Bildung bis hin zum Gesundheitswesen“, betont Hasani. Derzeit laufen mehrere Projekte mit Unternehmen, die leistungsstarke, aufgabenspezifische KI-Modelle in ihren Produkten und Dienstleistungen skalieren wollen.

Wien als EU-Hauptsitz im Fokus

Das Interesse der Investoren ist groß, vor Kurzem wurden bei einer Finanzierungsrunde 250 Millionen US-Dollar hereingeholt. „Die Investition stärkt unsere Fähigkeit, erfolgreiche Lösungen zu entwickeln“, sagt Hasani. Außerdem kann die Geschwindigkeit der Modellentwicklung durch neue Rechenressourcen erhöhte werden. Hasani will in Europa eine Niederlassung errichten. „Wir prüfen derzeit aktiv die Möglichkeit, in die EU zu expandieren, und führen Gespräche mit verschiedenen Regierungen“, sagt er. Wien zähle definitiv zu den Kandidaten für den EU-Hauptsitz.

Clickwise, ein Spin-off der Universität Wien, zählt ebenfalls zu den jungen, aufstrebenden KI-Unternehmen in Österreich. Die Geschäftsidee der Gründer Christian Orlowski, Felix Marcial und Christoph Hemmelmayr: Mitarbeiter von Unternehmen auf mögliche Cyberangriffe vorbereiten. Entsprechende Lösungen gibt es bereits, doch diese sind vor allem für größere Unternehmen gedacht und werden dort intern aufbereitet. „Wir drehen den Spieß um und sehen uns von außen an, welche Daten der jeweiligen Firma verfügbar sind, etwa über die Homepage oder soziale ­Medien“, erläutert Orlowski. Unter Einsatz von KI werden diese Daten analysiert und potenzielle Schwachstellen aufgezeigt; darauf basierend werden dann fingierte Angriffe erstellt – also genau so, wie das Cyberkriminelle dank KI heute im großen Stil machen können.

Sogenannte Phishing-Angriffe werden immer häufiger und gefährlicher, weil falsche Mails kaum mehr erkannt werden können. „Der Mensch bleibt bei Cybersecurity der wichtigste Faktor, denn trotz technischer Maßnahmen werden Links geklickt oder Downloads durchgeführt“, sagt Orlowski. Clickwise versucht, mit seinen KI-Angriffen die Firmen dafür zu sensibilisieren und Mitarbeiter entsprechend vorzubereiten.

Die generierten Angriffe, die das Verhalten von Mitarbeitern testen sollen, kommen laut Orlowski auf Klickraten von 50 bis 60 Prozent – das ist mehr als vergleichbare Tools. „Wir wollen sozusagen die menschliche Firewall trainieren.“ Kunden sind Klein- und Mittelbetriebe in Österreich, eine Expansion nach Deutschland und in die Schweiz ist geplant. Motivation für die Gründung war für Orlowski, dass er als Jugendlicher selbst auf falsche Mails hereingefallen ist. „Ich habe nach dem Studium bei einer Beratungsfirma gearbeitet, aber da ist man ein kleines Zahnrad, ich wollte selbst meine Ideen umsetzen.“

Wirtschaft trifft KI

Österreichs Start-up-Landschaft ist längst kein weißer Fleck mehr, wenn es um KI geht. Hier einige weitere spannende Beispiele:

  • Agri Spectra AI: Das Wiener Start-up will Landwirten helfen, Ernteverluste zu reduzieren. Dazu werden mithilfe von KI und unterschiedlicher Hardware wie Drohnen schädliche Pflanzenkrankheiten früh erkannt.

  • NXAI: Das Linzer KI-Start-up wurde Ende 2023 von Sepp Hochreiter (Informatik-Professor an der JKU Linz und einer der führenden KI-Experten in Europa) und Albert Ortig gegründet, finanzielle Unterstützung gibt es von Stefan Pierer. Es konzentriert sich auf Zeitreihenmodelle, die in industriellen Anwendungen wie der Automobilindustrie und Robotik eingesetzt werden können. Konkret wird eines der NXAI-Modelle in der Automobilindustrie zur Vorhersage von Ladezuständen eingesetzt. Die Simulationssparte wurde als eigenständiges Unternehmen gegründet, nämlich:

  • Emmi AI: Das Spin-off von NXAI hat heuer im April die bisher größte Frühphasen-Finanzierungsrunde (Seed-Finanzierung) eines österreichischen Start-ups abgeschlossen: 15 Millionen Euro haben diverse Risikokapitalfonds in das Unternehmen gesteckt, das mithilfe von KI Simulationsmodelle für physikalische Prozesse entwickelt. Statt wie sonst mehrere Tage dauert es damit nur einige Sekunden, bis die Ergebnisse fertig sind. Das ist etwa für Kunden aus der Raumfahrt und dem Energiebereich wichtig, weil es die Entwicklungszeiten reduziert.

  • Propcorn AI: Dieses Wiener Start-up hat eine KI-gestützte Software zur Analyse von Immobiliendaten und zur Identifizierung von Potenzial für Neubauten bzw. eine Nachverdichtung entwickelt. Das 2024 von Niki Stadler, Benjamin Buchta und Bertty Contreras gegründete Unternehmen richtet sich an Projektentwickler, Architekten, Städte, Banken und Investoren.

  • Prewave: Das Wiener Unternehmen identifiziert mithilfe von KI potenzielle Schwierigkeiten in Lieferketten, indem diverse Datenquellen – darunter auch Beiträge in sozialen Medien – ausgewertet werden. Zu den Kunden zählen u. a. Ferrari und Lufthansa; Prewave will in Europa Marktführer bei der Software für Absicherung des Lieferkettenmanagements werden.

  • Cortecs: Das Spin-off der Universität Wien hat eine Plattform für eine sichere Nutzung von Large-Language-Models (LLM) entwickelt. LLMs sind KI-Modelle, die auf große Mengen von Textdaten trainiert wurden und menschliche Sprache verstehen sowie generieren können; bekanntestes Beispiel ist ChatGPT. Das Angebot von Cortecs soll vor allem für Unternehmen interessant sein, die aus Sicherheitsgründen auf Angebote der großen US-Konzerne verzichten müssen. Anbieter wie Microsoft müssen nämlich alle Daten mit der US-Regierung teilen – ein Umstand, der vielen europäischen KI-Nutzern Kopfzerbrechen macht. Stattdessen können die KI-Sprachmodelle über Cortecs in einer europäischen Infrastruktur genutzt werden.

  • Optimind: Das Jungunternehmen mit Sitz in Seewalchen am Attersee nutzt KI, um Landingpages – Webseiten, die speziell für Marketingzwecke eingerichtet werden – zu testen und zu optimieren; dafür werden u. a. Zielgruppe und Markenauftritt analysiert. Unternehmen können so ihre Zielgruppe besser ansprechen bzw. zum Kaufen animieren. Vor Kurzem hat Optimind eine Forschungsförderung der FFG erhalten.

Auch im Silicon Valley wird nur mit Wasser gekocht. Aber dort läuft der Austausch von Wissen einfach etwas besser

Gerald Zankl

Förderung trifft Bürokratie

Wie sieht es generell mit dem Standort Österreich für Start-ups und speziell für solche im KI-Bereich aus? „Das Umfeld in Österreich ist sehr gut, es gibt gute Förderungen“, meint Gerald Zankl von Kickscale. Als Herausforderung sieht er aber die Bürokratisierung, es sei beispielsweise nicht so einfach, Mitarbeiter innerhalb der EU anzustellen.

„Doch auch im Silicon Valley wird nur mit Wasser gekocht. Aber dort läuft der Austausch von Wissen einfach etwas besser.“ Für Seriengründer Vlad Gozman, einer der Kuratoren der TEDAI-Konferenz im September in Wien, könnte Wien als Drehscheibe in Europa genutzt werden. „Es wird aber nicht leicht werden, mit Standorten wie Paris, Cambridge oder Zürich mitzuhalten.“

Gezielte Förderung

Ramin Hasani, CEO von Liquid AI, der bis 2021 an der TU Wien forschte, sieht Österreich vor allem in der Frühphase der Gründung als hervorragenden Standort für Start-ups. „Die Regierung arbeitet gezielt daran, das unternehmerische Ökosystem mit neuen Förderungen und Steueranreizen zu stärken. Zudem gibt es in Österreich eine starke Community im Bereich des maschinellen Lernens, wodurch ein exzellenter Talentpool zur Verfügung steht.“

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Ramin Hasini ist CEO von Liquid AI, einem Spin-off des MIT mit Hauptsitz in Cambridge (USA). Hasani forscht bis 2021 an der TU Wien.

 © JOHN WERNER

Europa wiederum übernimmt für ihn eine führende Rolle beim Aufbau von Sicherheitsvorkehrungen für KI. Das wirtschaftliche Potenzial von Daten und KI-Modellen – insbesondere in Bereichen wie Gesundheit, Cybersicherheit und Verteidigung – wurde rechtzeitig erkannt. „Durch Forschung, verstärkte Investitionen in KI-Initiativen und den Aufbau öffentlich-privater Partnerschaften kann Europa sowohl finanzielle als auch menschliche Ressourcen anziehen und zu einem ernst zu nehmenden globalen Wettbewerber werden“, ist Hasani überzeugt.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 32/25 erschienen.

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