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EU-Umweltminister liefern abgeschwächtes Klimaziel für 2040

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Eintreffen der Teilnehmenden in Brüssel
©AFP, APA, NICOLAS TUCAT
Die EU hat sich kurz vor dem UNO-Klimagipfel auf ein verbindliches Klimaziel für 2040 geeinigt, dieses aber in letzter Minute abgeschwächt. Die EU-Umweltminister beschlossen am Mittwoch in Brüssel einen in der Nacht nach mehr als 18-stündigen Verhandlungen erzielten Kompromiss. Demnach soll der Ausstoß von Treibhausgasen um 90 Prozent im Vergleich zu 1990 sinken. Davon können jedoch bis zu fünf Prozentpunkte durch den Klimazertifikate-Kauf in Drittstaaten erbracht werden.

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Damit müssten die Emissionen in der EU in Summe faktisch nur um 85 Prozent verringert werden. Zudem einigten sich die Minister auf ein Zwischenziel für 2035, das eine Emissionsminderung in einer Spanne von 66,25 bis 72,5 Prozent vorsieht. Der Start des neuen Emissionshandels für Verkehr und Gebäude (ETS2) wird um ein Jahr auf 2028 verschoben.

Dem Beschluss waren monatelange Verhandlungen vorausgegangen. Ursprünglich hatte die EU-Kommission eine Senkung um 90 Prozent mit einem Anteil von maximal drei Prozent an Zertifikaten aus Drittstaaten vorgeschlagen. Das Ziel soll die Lücke zwischen den bereits gesetzlich verankerten EU-Zielen für 2030 (minus 55 Prozent) und 2050 (Null-Emissionen) schließen. Dafür hatte sich zu Beginn der Beratungen auch Deutschland eingesetzt. Länder wie Polen, Ungarn und die Slowakei stimmten am Ende gegen den Kompromiss, konnten die für einen Beschluss nötige qualifizierte Mehrheit jedoch nicht verhindern.

Die EU stand unter Zeitdruck für ihr neues Klimaziel, um nicht mit leeren Händen zum Weltklimagipfel in Brasilien zu fahren. Dort trifft EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am 6. November andere Staats- und Regierungschefs. "Wir haben viel zu verlieren. Wir riskieren unsere internationale Führungsrolle, die in diesem außerordentlich komplizierten Kontext von grundlegender Bedeutung ist", hatte Spaniens Umweltministerin Sara Aagesen am Dienstag gesagt.

Umweltminister Norbert Totschnig (ÖVP) begrüßte eine klare Perspektive für die produzierende Industrie in Österreich durch eine längere Verfügbarkeit von Gratiszertifikaten und Flexibilitäten. Außerdem werde die Ernährungsfrage im Klimagesetz verankert. Die EU habe einen klimapolitischen Pfad vorgelegt, der gleichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit in Europa sicherstelle und die Abhängigkeit von fossilen Energieimporten reduziere. "Aus meiner Sicht ist das ein ganz klares und starkes Signal, das Europa bei der COP30 in Belem einbringen wird. Wir stehen für eine Reduktion der Treibhausgase global", sagte Totschnig.

Zu dem Klimaziel für 2035 gebe es einen einstimmigen Beschluss. "Wir haben eine Bandbreite beschlossen zwischen 66,25 und 72,5 Prozent Reduktion", sagte der Umweltminister. Totschnig verteidigte die Abschwächung der bisherigen EU-Klimaambitionen. "Das Klima kennt keine Grenzen." Wenn man alles zusammenzähle, ergebe sich eine Reduktion um 90 Prozent, "das ist entscheidend". Nicht nur die Reduktion der Treibhausgase in Europa sei wichtig, "wir brauchen auch global ganz klare Signale".

Die vorgesehene Flexibilität verschaffe auch die Möglichkeit, europäische Klimaschutztechnologie zu exportieren, so Totschnig. Ein Auslaufen der Gratiszertifikate im Jahr 2034 hätte bedeutet, dass Unternehmen wie die Voest riesige Beträge in den Zukauf von Zertifikaten investieren hätten müssen. Seine Position beim Rat sei klar abgestimmt in der Bundesregierung.

"Entscheidend war für uns, dass ökologische Verantwortung und wirtschaftliche Stärke Hand in Hand gehen - sonst gewinnen am Ende nur jene, die weniger strenge Regeln haben", kommentierte Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer (ÖVP) den Kompromiss. "Wenn sich Europa gegenüber dem Rest der Welt schwächt, hilft das weder dem Planeten und schon gar nicht unserer Industrie, die tausende Arbeitsplätze schafft", ergänzte der Minister. Jedenfalls zeige sich, was möglich sei, "wenn Bundesregierung und Ressorts an einem Strang ziehen".

Bundeskanzler Christian Stocker (ÖVP) nannte den Beschluss einen "ersten Schritt zu einer europäischen Klimapolitik mit Hausverstand. Wir schaffen die notwendigen Bedingungen dafür, dass eine starke Wirtschaft, sichere Arbeitsplätze und Klimaschutz Hand in Hand gehen können. Totschnig habe die österreichische Position in Brüssel erfolgreich durchgesetzt.

Um Kritiker ambitionierter Klimaziele ins Boot zu holen, wird auch der neue EU-Emissionshandel ETS2 um ein Jahr auf 2028 verschoben. Polen und die Tschechische Republik befürchteten durch den neuen Handel für CO2-Verschmutzungsrechte in den Bereichen Verkehr und Gebäuden höhere Kraftstoffpreise.

Der EU-Abgeordneter Günther Sidl (SPÖ) sah mit der Einigung zwar die "Blockade endlich durchbrochen, hielt aber gleichzeitig fest, dass dieses Klimaziel hinter dem zurück bleibe, "was die wissenschaftlichen Erkenntnisse fordern. Europa sollte seine Klimaziele am aktuellsten Stand der Wissenschaft ausrichten und nicht an den bremsenden Kräften im Rat." Weitere Kritik an dem Klimaziel kam von Umwelt-NGOs und den Grünen im EU-Parlament. Die österreichische EU-Abgeordnete Lena Schilling sah in dem Kompromiss einen Entschluss mit "vielen Hintertüren", er werde "100 Milliarden an Steuergeldern für Verschmutzungszertifikate kosten", so Schilling weiter.

"Das ist ein wichtiger Schritt zur Klimaneutralität", sagt NEOS-Europaabgeordnete Anna Stürgkh. "Europas Unternehmen haben auf dieses Signal gewartet, weil sie Planungssicherheit für Investitionen und Innovation brauchen." Der freiheitliche EU-Parlamentarier Roman Haider äußerte indes, dass man das Ergebnis der EU-Umweltminister "nur als Katastrophe für Europa bezeichnen" könne. Das neue Klimaziel sei ein "völlig unrealistisches Ziel, das allein die Wirtschaft schädige, aber für das globale Klima keinerlei Auswirkungen habe."

Global 2000 begrüßte zwar die Einigung, ortete jedoch beim Zertifikatshandel und der Zielabschwächung "mehr als nur einen fahlen Beigeschmack". "Mit internationalen Zertifikaten schiebt die Europäische Union die Verantwortung ins Ausland ab, statt die eigene Wirtschaft klimafit zu machen", hieß es von Greenpeace Österreich. Der WWF Österreich ortete in der Entscheidung "neue Einfallstore für Bremser und Blockierer, um echten Klimaschutz zu verhindern".

Die Vorständin des Kontext-Instituts für Klimafragen, Katharina Rogenhofer, ist das Beibehalten des Reduktionsziels von 90 Prozent "ist eine beachtliche politische Leistung der dänischen Ratspräsidentschaft", hingegen sei die inkludierte Möglichkeit des Zertifikatekaufs "widersinnig und bedenklich".

Klimawissenschaftsberater der EU hatten gewarnt, dass der Kauf ausländischer CO2-Zertifikate dringende Investitionen von der europäischen Industrie abziehen würde. Länder wie die Niederlande, Spanien und Schweden plädierten für ehrgeizige Ziele und verwiesen auf sich verschärfende Wetterextreme und die Notwendigkeit, bei grünen Technologien mit China gleichzuziehen.

Die Industriellenvereinigung (IV) sieht mit dem EU-Mittelfristziel bis 2040 "neue enorme finanzielle Herausforderungen" auf die Industrie zukommen. Die Interessenvertretung verwies auf energieintensive Unternehmen im internationalen Wettbewerb, die besonders von der Entscheidung betroffen seien. Die durchgesetzten Abschwächungen gegenüber dem ursprünglichen Vorschlag begrüßt die IV in ihrer Aussendung.

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