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Als Max und Emil Skladanowsky am 1. November 1895 im Wintergarten Varieté in Berlin ihre Filme vorführten, staunte das Publikum. Vor ihren Augen flimmerten kurze, von den Brüdern selbst aufgenommene Sequenzen: Akrobaten, Tänzer, flüchtige Alltagsszenen. Historische Berichte sprechen von 7 bis 10 Geschichten, jede etwa 20 bis 30 Sekunden lang. Die Vorführung war Teil eines kostenpflichtigen Varietéprogramms.
Möglich wurde dieses Staunen durch den von den Brüdern entwickelten Bioskop, eine technische Neuerung, bei der zwei Filmstreifen abwechselnd projiziert wurden. Es war die erste öffentliche Filmvorführung in Deutschland. Max war der technische Kopf der Brüder, Tüftler und Visionär, Emil unterstützte die Produktion und war eher organisatorisch tätig.
Nur wenige Wochen später, am 28. Dezember 1895, füllte sich der Salon Indien des Grand Café nahe der Pariser Oper Garnier. Rund 30 zahlende Gäste starrten gebannt auf die Leinwand. Zehn kurze Filme, alle von den Brüdern Auguste und Louis Lumière gedreht, flimmerten über die Projektionswand: Arbeiter verlassen eine Fabrik in Lyon, ein Zug rollt in den Bahnhof – und viele springen erschrocken zurück, überzeugt, der Zug würde direkt auf sie zufahren.
Die Filme liefen auf dem von den Brüdern Lumière entwickelten Cinématographe, im Deutschen meist Kinematograph genannt – ein kompaktes Gerät, das Kamera, Kopierapparat und Projektor vereinte. Ihre erste geschlossene Vorführung fand bereits am 22. März 1895 statt.
Für Thierry Frémaux, Historiker und Generaldirektor des Filmfestivals von Cannes, besteht kein Zweifel: Das Kino wurde von den französischen Brüdern Auguste und Louis Lumière erfunden. In seiner vor wenigen Monaten erschienenen Doku "Lumière! L'aventure continue" (Lumière! Das Abenteuer geht weiter) sagte er: "Alle, die ihnen vorausgegangen sind, sind Ko-Erfinder."
Zeitgenössische Berichte - auch von Auguste selbst - schreiben die entscheidende Idee seinem Bruder Louis zu. Louis brachte die Bilder zum Laufen, Auguste brachte sie unter die Leute: Er kümmerte sich um die Vorführungen und die Verbreitung. Die Brüder drehten über 2.000 Kurzfilme. Frémaux kommentiert in seiner Doku 120 bisher unveröffentlichte Minigeschichten von rund 50 Sekunden. Alle stammen aus dem Institut Lumière in Lyon, einem Archiv und Forschungszentrum, das den Brüdern Lumière gewidmet ist und von Frémaux geleitet wird.
Und doch bleibt die Frage nach der deutschen Rolle. Eine Antwort darauf lieferte kürzlich die Ausstellung des Berliner Bundesarchivs: "'Habe ich den Film erfunden?' Max Skladanowsky - Pionier, Visionär und Hochstapler". Anlass war das 130. Jubiläum der Filmvorführung im Wintergarten Varieté.
Zu sehen waren Geräte, Fotografien und Dokumente aus dem umfangreichen Nachlass der Brüder. Im Beiheft wurde das Fazit festgehalten: Skladanowsky hat zweifellos zur Entwicklung des Films beigetragen, wie viele andere Pioniere seiner Zeit – erfunden hat er ihn jedoch nicht. Bestätigt wird dies auch vom Potsdamer Filmmuseum: "Technologie und Qualität von Skladanowskys Geräten und Vorführungen lagen hinter dem zurück, was andere Erfinder zur selben Zeit bereits praktizierten."
Viele hatten den Weg zum Kino bereitet, darunter auch Thomas Alva Edison, der mit seinen Mitarbeitern in den frühen 1890er Jahren das Kinetoskop entwickelte. Das Gerät ermöglichte, bewegte Bilder einzeln zu betrachten: Man schaute durch einen Guckkasten, der Film lief im Inneren ab.
Auch andere Tüftler experimentierten: Der Brite Eadweard Muybridge und der Franzose Étienne-Jules Marey zerlegten Bewegung in technische Sequenzen und machten sie reproduzierbar. Auf diesen wissenschaftlichen und visuellen Grundlagen konnte das Kino später aufbauen.
Der Film - als technische Möglichkeit, Bewegung festzuhalten - wurde von vielen erdacht, erprobt und verbessert: ein kollektives Abenteuer zahlreicher Tüftler und Visionäre. Das Kino jedoch entstand erst, als aus Technik ein öffentliches Ereignis wurde: ein Moment, in dem Menschen gemeinsam vor der Leinwand saßen, staunten, lachten oder erschraken. Ein Erlebnis, das bis heute Millionen fesselt.





