Früher gingen Regierungen vor ihnen in die Knie, jetzt zieht die Koalition ihnen gegenüber die Krafthose an: Seniorenvertreter und Lehrergewerkschafter. Ingrid Korosec und Paul Kimberger erzählen, wie sie mit dem neuen Ton umgehen. Warum sie sich nicht als Neinsager aus Prinzip sehen. Politikexperte Thomas Hofer erklärt, was hinter dem härteren Kurs steckt
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Hätten bei der Nationalratswahl 2024 nur Menschen ab 60 gewählt – ÖVP und SPÖ könnten sich über eine bequeme Mehrheit von rund 64 Prozent der Stimmen freuen. 39 Prozent dieser Altersgruppe haben die ÖVP, 25 die SPÖ gewählt. Die Pensionistinnen und Pensionisten sind treu und eher keine Wechselwählerinnen und -wähler. Entsprechend zuvorkommend wurden sie stets von den Regierungen behandelt, wenn es um die jährliche Pensionsanpassung ging. Entsprechend selbstbewusst trat die Seniorenvertretung auf.
Doch das Selbstbewusstsein ist Ärger gewichen, seit Bundeskanzler Christian Stocker im ORF-„Sommergespräch“ wissen ließ: 2026 seien angesichts der schwierigen Budgetlage zwei Prozent mehr genug. In Verhandlungen wurde dann zwar ein bisschen mehr herausgeholt, doch die Seniorenvertreterinnen von Schwarz und Rot, Ingrid Korosec und Birgit Gerstorfer, stimmten dem Beschluss ausdrücklich nicht zu.
War das ein Affront seitens des Kanzlers und der Regierung? „Ja, das war es“, sagt Korosec.
Würde die Nationalratswahl so ausgehen wie die Wahlen in der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst, hätten ÖVP und SPÖ eine noch deutlichere Mehrheit: 51,8 Prozent der Stimmen entfielen dort 2024 auf die Fraktion Christlicher Gewerkschafter, 25,9 Prozent auf ihr rotes Pendant FSG. Bei der Gewerkschaft der Gemeindebediensteten younion sind 70 Prozent und mehr für die FSG an der Tagesordnung. Entsprechend vorsichtig gingen die Regierungen mit den Vertretern des öffentlichen Dienstes um. Das Selbstbewusstsein von GÖD-Chef Eckhard Quin und younion-Chef Christian Meidlinger ist entsprechend.
Doch nun wurden die Gewerkschaftsspitzen von der Regierung zum Gespräch einbestellt – oder „eingeladen“, wie es freundlich verbrämt heißt. Eben weil das Budget aus allen Nähten platzt, sollen die öffentlich Bediensteten auf eine bereits ausverhandelte und im Parlament beschlossene (nur Neos waren dagegen) Erhöhung ihrer Bezüge verzichten. Als Entscheidungshilfe ließ die Regierung wissen: Für die Folgejahre habe man im Budget Nulllohnrunden „eingestellt“. Man könne sich ja in der Mitte treffen. Der öffentliche Dienst sei nicht „die Sparkasse“ der Regierung, ließ Gewerkschafter Quin wissen.
Auch an anderer Stelle geht man ruppiger mit der GÖD und ihren Mitgliedern um. Bei den Pflichtschullehrern. Deren letzte Ferientage wurden von der Androhung des Bildungsministers Christoph Wiederkehr untermalt, die Pädagogen könnten zum Unterricht an der Sommerschule verpflichtet werden. Das Nein ihres obersten Gewerkschafters Paul Kimberger folgte postwendend. Dabei ist er nicht grundsätzlich gegen die Sommerschule. Aber: „Dass der Minister vorher nicht das Gespräch gesucht hat, halte ich für unklug.“
Not oder Tugend?
Kanzler und Minister fahren mit den Interessenvertretern also die harte Tour. Wie viel Strategie steckt dahinter? Will man in Zeiten von Sparpaketen signalisieren, dass man auch bisher hofierte – parteinahe – Lobbys angreift? Gibt die Angst, die Budgetsanierung könne scheitern, den Ton vor? Und: Folgt bei den nächsten Wahlen die Retourkutsche? Die GÖD hat 266.000 Mitglieder. Die Wählergruppe 65 plus darf man schon zahlenmäßig nicht unterschätzen. Bei der Nationalratswahl 2024 waren rund 1,7 der 6,3 Millionen Wahlberechtigten im Pensionsalter. „Dass Bundeskanzler Stocker diese Gruppe mit seiner Zwei-Prozent-Ansage vergrämt hat, ist ihm nicht einfach passiert“, sagt Politikberater Thomas Hofer. „Das war ein kleiner Mutanfall seinerseits und hundertprozentig geplant.“ Erstaunlich findet Hofer, dass die Seniorenvertreterinnen nicht vorab eingebunden wurden. Aber: „Dass Stocker als ÖVP-Chef seine größte Zielgruppe auf die Probe stellt, ist ein echter Kollateralschaden und ihm auch bewusst.“
Für die ÖVP gehe es auch darum, ihr Image als Wirtschaftspartei zu retten. „Der Schaden an der Partei-DNA ist eminent. Die ÖVP hat sich immer als die Partei verkauft, die aufs Budget schaut, und muss nun beweisen, dass sie den in ihrer Zeit aufgehäuften Schuldenberg sanieren kann.“ Der Satz aus Coronazeiten, „Koste es, was es wolle“, klebt wie Kaugummi an ihr. Um das zu korrigieren, nimmt man es in Kauf, Zielgruppen zu verprellen. Die nächsten Wahlen sind ja noch weit weg.


Protest: Der SPÖ-Pensionistenverband nimmt das Vorgehen der Regierung bei den Pensionen nicht schweigend hin
© APA/ROLAND SCHLAGERDie Neinsager
Senioren- und Beamtenvertreter werden in der Öffentlichkeit oft als Neinsager wahrgenommen. Doch wie ist ihr Selbstbild? Und wie geht es ihnen mit diesem neuen Ton? „Mir geht es bei meiner Tätigkeit vor allem darum, Ungerechtigkeiten abzuwehren“, sagt Ingrid Korosec, die Vorsitzende des ÖVP-Seniorenbundes. „Ich sehe mich nicht als Blockierer, ich habe das Ganze im Blick. Ich spreche für eine Gruppe, die oft gar keine Möglichkeit hat, sich selbst zu wehren. Für sie gibt es eine Interessenvertretung, die aber immer auch abwägen muss, wie sie in der jeweiligen Situation agiert. Derzeit ist die Budgetsituation schwierig und alle sind verpflichtet, etwas beizutragen. Wenn wir Seniorenvertreter überzeugt sind, dass alle Gruppen ihren Anteil zur Konsolidierung beitragen, dann ist es auch meine Aufgabe, die Seniorinnen und Senioren zu überzeugen, dass eine Maßnahme richtig ist.“ Allerdings: „Fair war das, was die Regierung hier gemacht hat, nicht. Es wurde nicht mit uns verhandelt, es wurde vorgegeben. Ich gebe zu, dass wir uns da nicht wertgeschätzt gefühlt haben.“ Dabei wäre die Regierung ja sogar verpflichtet, mit dem Seniorenrat* als gesetzlich etabliertem Sozialpartner Gespräche zu führen.
Rechnet man den erhöhten Krankenversicherungsbeitrag dazu, „tragen wir im Lauf dieser Legislaturperiode fast fünf Milliarden Euro zur Budgetsanierung bei“, rechnet die Sprecherin des Seniorenrats vor. Doch während ihre SPÖ-Kollegin Birgit Gerstorfer mit ihren Gefolgsleuten Anfang der Woche vor das Parlament zog, setzt Korosec auf das Gespräch. Dieses sei von Sozialministerin Korinna Schumann zugesichert worden. „Das heißt aber nicht, dass ich nie auf die Straße gehen würde.“ Ändert die Regierung ihre Vorgangsweise nicht, „dann wird das sicher Auswirkungen bei den nächsten Wahlen haben“.
Ihr Gesprächsverhältnis mit dem Kanzler? „Er hat mich angerufen und wir haben sehr lange telefoniert. Auch ein Treffen ist geplant. Ich war natürlich verletzt und verärgert. Aber da bin ich viel zu sehr Profi: aufstehen, Krönchen richten, weitergehen.“ Nachsatz: „Und wenn es notwendig ist, das Schwert holen.“
*Der Österreichische Seniorenrat ist laut § 24 Abs. 1 Bundes-Seniorengesetz als Dachverband der Seniorenorganisationen für die Interessenvertretung dieser Bevölkerungsgruppe zuständig und Sozialpartnern wie Wirtschafts- oder Arbeiterkammer und Gewerkschaften gleichgestellt.
Aufstehen, Krönchen richten, weitergehen. Und wenn es notwendig ist, das Schwert holen.
Kann man Politiker erziehen?
Während Korosec den Weg innerhalb der ÖVP gemacht hat – sie begann als Abgeordnete im Wiener Gemeinderat, war danach im Nationalrat, ÖVP-Generalsekretärin, Volksanwältin und ist nun wieder Abgeordnete in Wien –, legt Lehrergewerkschafter Paul Kimberger, auch wenn er der Fraktion Christlicher Gewerkschafter angehört, Wert auf Distanz zur Partei: „Ich habe keine parteipolitische Funktion. Ich bin Personalvertreter und ich bin Gewerkschafter.“
Kimberger ist Lehrer für Mathematik, Informatik und Sport. Als er 1990 seine Ausbildung beendete, gab es einen Lehrerüberschuss – anders als heute. Auch damals kamen (aufgrund des Jugoslawienkriegs) viele Flüchtlingskinder in die Klassen. „Da war ich sozusagen Profiteur und konnte in der Schule einsteigen“, erzählt er. „Ich war begeistert von der Arbeit mit den Kindern. Ich bin aber dann draufgekommen, dass es im Bereich der Schulgesetze, im Dienst- und Besoldungsrecht Dinge gibt, die für mich als junger Lehrer nicht nachvollziehbar waren. Das wollte ich ändern.“ Heute ist er oberster Pflichtschullehrergewerschafter und vertritt rund 47.700 Mitglieder.
„Neinsager“ sei er keiner, meint Kimberger. Hilft es im Umgang mit uneinsichtigen Politikern, ausgebildeter Pädagoge zu sein? „Es geht um Kommunikation und die Frage: Wie erreiche ich meine Ziele?“, erklärt er. „Der direkte Weg ist dabei oft nicht der einfachste, die Arbeit am Verhandlungstisch sehr langwierig. Also: Ein pädagogisches Geschick ist hier sicher kein Nachteil.“
Noch einmal zum aktuellen Bildungsminister und seinem Vorstoß in Sachen Sommerschulpflicht. Kimberger: „Als Pädagoge habe ich mit Verboten, Verpflichtungen und restriktiven Ansätzen so meine Probleme. Damit erreicht man nicht, was man erreichen möchte. Ich bin eher für Motivation und Anreizsysteme.“ Und: „Seine Vorgangsweise hat mich doch geärgert. Sie war äußerst unklug. Das habe ich ihm auch gesagt. Man geht erst mit einer Idee an die Öffentlichkeit, wenn man eine gute Lösung erarbeitet hat. Da geht es nicht um Neinsagen, Blockieren oder Nachgeben, sondern um das bestmögliche Ergebnis.“
Auch beim Lehrergewerkschafter fällt das Wort Wertschätzung. „Es muss möglich sein, dass man, wenn die Verhandlung vorbei ist, einfach einmal plaudert oder ein Glaserl oder einen Kaffee trinkt.“ Wie es mit Christoph Wiederkehr läuft? „Ich kann ihm nicht vorwerfen, dass er nicht kommuniziert. Aber es gibt immer Luft nach oben. Ich denke, die Gesprächskanäle könnten noch intensiviert werden.“
Und was Einschnitte bei den Bezügen betrifft? Da verweist Kimberger auf Quin (der übrigens ebenfalls Pädagoge ist): „Wir sind nicht die Sparbüchse der Bundesregierung.“ Auch im öffentlichen Dienst gebe es Kollegen mit Familie, die am teuren Wohnen und den hohen Lebensmittelpreisen leiden. „Da geht es um Fairness. Der öffentliche Dienst ist ja kein Selbstzweck, sondern alles, was wir machen, gibt uns die Regierung und das Parlament vor. Ein einseitiges Aufschnüren eines Gehaltsabschlusses, der sozialpartnerschaftlich verhandelt wurde, ist für mich undenkbar.“ Im öffentlichen Dienst ist man immer wieder bereit, auf die Straße zu gehen. Der bisher letzte Aufmarsch der GÖD vor dem Kanzleramt ist noch nicht so lange her. Er war im November 2024.
Der öffentliche Dienst ist ja kein Selbstzweck, sondern alles, was wir machen, gibt uns die Regierung vor
Eiertanz der Interessen
Politikberater Thomas Hofer sieht die Interessenvertretungen in einer heiklen Situation. „Das ist ein Lackmustest für die Sozialpartnerschaft.“ Einerseits müsse man den eigenen Mitgliedern signalisieren, dass man ihnen die Mauer macht und nicht geschwächt ist. Andererseits könne man die Budgetsanierung nicht an einer Bestemmhaltung scheitern lassen, „wenn auch mit geballter Faust in der Hosentasche. Wer schnürt schon gerne ein fertig verhandeltes Gehaltspaket wieder auf? Vor allem auf Seiten der SPÖ ringt man damit, dass man etwas mittragen muss, das man nicht verbrochen hat“, sagt Hofer. Doch die Regierung habe über den Sommer mit den Gewerkschaften vorbeugend das Gespräch gesucht, „deswegen ist es von ihrer Seite derzeit auch noch eher ruhig“. Es geht nämlich auf längere Sicht nicht nur um Beamtengehälter und Pensionserhöhungen. „Man kann nicht erwarten, dass die KV-Verhandlungen mit den Metallern und anderen Berufsgruppen moderat verlaufen, wenn man vorher nicht bei Beamten und Pensionisten das entsprechende Signal gegeben hat.“
Wenn die Tage kühler und Herbstlohnrunden* heißer werden, könnte sonst nämlich die Stunde der Neinsager schlagen.
*Die jährlichen Gehaltsverhandlungen starten traditionell mit den Metallern und beginnen heuer am 22. September.
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 38/2025 erschienen.







