In der Steiermark entzweit man sich gerade über die Landeshymne, beim Lieblingsnachbarn steht gar das Deutschlandlied zur Disposition. Unsere Bundeshymne wiederum ist eine der missglücktesten.
Wenn sich die Politik an den Hymnen zu schaffen macht, sind die Zeiten entweder unermesslich fad oder brandgefährlich. Variante eins durften wir exemplarisch im Jahr 2012 verkosten. Werner Faymann stand der Bundesregierung mit den Tugenden eines Markenstaubsaugers vor: Wo die Aura eventuell noch ausbaufähig gewesen wäre, garantierten dafür Können und Zuverlässigkeit den gesegneten Stillstand, von dem wir nur noch träumen konnten, als sich der Selbstdarsteller Kern und dann der Kern für Wohlhabende, Sebastian Kurz, an die Spitze putschten.
Wenn sich die Politik an den Hymnen zu schaffen macht, sind die Zeiten entweder unermesslich fad oder brandgefährlich
Die ÖVP-Politikerin Maria Rauch-Kallat war 2012 seit fünf Jahren aus der Regierung gewichen, und Eva Glawischnig führte die Grünen mit sicherer Hand zum Verlust des Grundmandats. Und da beiden fad war, machten sie sich an die Überschreibung der Bundeshymne, obwohl die idealtypisch für den österreichischen Pallawatsch steht: Nahezu sicher wurde sie nicht von Mozart, sondern von einem gewissen Holzer komponiert.
Der niederschmetternde Text der Lyrikerin Paula von Preradovic aus dem Jahr 1946 verortet uns als jungsteinzeitliches Fluss- und Gebirgsvolk. Den Faustkeil („Land der Hämmer“) führen wir souverän, versuchen uns aber auch schon erfolgreich im Ackerbau. Umso kühner der visionäre Vorstoß ins Spätmittelalter („Land der Dome“). Dass es etwas noch Dümmeres geben könnte, schien ausgeschlossen. Bis Rauch-Kallat und Glawischnig das Monstrum mit einer kuchlfeminstischen Mühewaltung kühn zur Parodie drehten.
Kampf den Landeshymnen!
Warum ich Ihnen das erzähle? Weil die Hymnen in unserer brandgefährlichen Zeit wieder zum Thema werden. Mittlerweile hat es die weitgehend ungesungenen Landeshymnen ereilt. Fast alle sind miserabel, mit Ausnahme des authentischen, warmherzigen „Hoamatgsangs“ (1841) aus Oberösterreich, der jetzt bekämpft wird, weil der Lyriker Franz Stelzhamer ein Antisemit war. Abgesehen davon, dass man mit solch antihistorischer Sicht große Segmente der Kulturgeschichte auf den Index setzen müsste: Bekämpfenswerter als der 1874 verstorbene Stelzhamer erscheinen mir prominente Terrorsympathisanten, die namens der Kunst auf Pop-Konzerten und Filmfestspielen arabischen Importnazis die Stimmen leihen.
Bescheidener gelungen ist die steirische Hymne, wobei unbekannt ist, ob heute, hoch vom Dachstein an, neben dem Aar auch der eine oder andere Arier haust.
Allerdings hat der 1861 verstorbene Dichter Jakob Dirnböck aus historischer Sicht friedlich ein paar slowenische Gebiete eingemeindet. Das war allseits egal, bis der FPÖ-Kunasek dem Monstrum mit den jodelnden Sennerinnen Verfassungsrang einräumte. Das ist so infantil wie die daraus erwachsende grenzüberschreitende Erregung. Weil wir ja Kunasek a) nicht auf jeden Eisenbahnerschmäh hereinfallen müssen und ihm b) vielerlei zutrauen, aber nicht, dass er Slowenien überfallen will.
Über alles?
Aber in Deutschland wird es diesbezüglich spannend. Der Jungdeutsche Heinrich Hoffmann von Fallersleben hat fraglos Geglückteres gedichtet als 1841 das „Lied der Deutschen“. Zum Beispiel „A, a, a, der Winter, der ist da“ oder „Ein Männlein steht im Walde“. Sogar „Der Kuckuck und der Esel“ erschiene mir hymnenkompatibler als das so genannte „Deutschlandlied“. Oder hätten Sie nach dem, was unsere beiden Nationen bis 1945 angerichtet haben, das Folgende anno 1952 im Stand der Nationalhymne behalten? Auch ungeachtet der territorialen Begehrlichkeiten von Litauen via Dänemark bis Südtirol?
Deutschland, Deutschland über alles,
Über alles in der Welt,
Wenn es stets zu Schutz und Trutze
Brüderlich zusammenhält,
Von der Maas bis an die Memel,
Von der Etsch bis an den Belt –
Deutschland, Deutschland über alles,
Über alles in der Welt.
Zwar wurde nur die dritte Strophe („Einigkeit und Recht und Freiheit“) gesungen und das Restgeplärr nach der Wiedervereinigung gestrichen, so ehrbar Fallersleben es auch der deutschen Einheit verschrieben hatte. Auch ist die Melodie, die Haydn 1797 auf den mastdarm- akrobatischen Text des Opportunisten Lorenz Leopold Haschka geschrieben hat („Gott erhalte Franz, den Kaiser“), von unauslöschlicher Anmut.
„Kinderhymne“
Aber nach dem Krieg schrieben in der jungen DDR Bert Brecht und der österreichische Emigrant Hanns Eisler in aller Stille die „Kinderhymne“.
Anmut sparet nicht noch Mühe
Leidenschaft nicht noch Verstand
Daß ein gutes Deutschland blühe
Wie ein andres gutes Land.
Daß die Völker nicht erbleichen
Wie vor einer Räuberin
Sondern ihre Hände reichen
Uns wie andern Völkern hin.
Und nicht über und nicht unter
Andern Völkern wolln wir sein
Von der See bis zu den Alpen
Von der Oder bis zum Rhein.
Und weil wir dies Land verbessern
Lieben und beschirmen wir’s
Und das liebste mag’s uns scheinen
So wie andern Völkern ihrs.
Das ist nicht nur der heimliche Gegenentwurf zur gleichfalls von Eisler vertonten DDR-Nationalhymne Johannes R. Bechers. Sondern auch die poetische Antwort auf das Über-alles-Gebrüll. Der deutsche Linkspolitiker Bodo Ramelow hat nun angeregt, die „Kinderhymne“ an die Stelle des „Deutschlandlieds“ zu setzen. Da sie nur von Brecht und nicht von Rauch-Kallat ist, wird ihr ein Triumph wie jener unserer Reformbundeshymne verwehrt bleiben. Aber schön ist sie zum Verlieben.
Hanns Eisler
Geboren 1898 in Leipzig, wuchs Hanns Eisler in Wien auf und war bis zu seinem Tod 1962 österreichischer Staatsbürger. Als Jude musste er in die USA emigrieren, geriet ins Visier der faschistischen McCarthy-Behörde und lebte schließlich als musikalischer Weggefährte Brechts in der DDR (u. a. „Galilei“). Sein Sohn Georg Eisler war Maler in Wien.
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Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 36/2025 erschienen.