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Leitartikel: Nicht fit, nicht führungsfähig? Warum Krankheit in der Politik sofort politisch wird

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7 min
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Kathrin Gulnerits

©Bild: Matt Observe

Wenn Politiker erkranken, beginnt ein seltsames Ritual aus Schweigen, Gerüchten und Deutungen. Der Fall Christian Stocker zeigt, wie empfindlich das Gleichgewicht wird, sobald Mutmaßungen Fakten ersetzen.

Viel wussten wir nicht. Und das war gut so. Gesundheit ist Privatsache. Auch Politiker haben ein Recht darauf. Doch ganz so einfach ist die Erzählung nicht. Im Fall von Christian Stocker haben wir über Umwege erfahren, was offiziell niemand sagen wollte. „Der Kanzler kann drei Wochen nach seiner Operation noch immer nicht länger als 15 Minuten schmerzfrei sitzen“, schrieb der Trend in „Politik Backstage“. Danach sei nur Stehen oder Liegen möglich. Eine 50-minütige Autofahrt von seinem Haus in Wiener Neustadt ins Kanzleramt? Undenkbar.

Stimmt(e) das? Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Seit Dienstag dieser Woche wissen wir: Stocker kehrt ins Kanzleramt zurück. Die Genesung sei optimal verlaufen; die Rückkehr „planmäßig“. Ministerrat, Pressekonferenz – alles wie gehabt. Ein fader Beigeschmack bleibt. Denn die „Berichterstattung“ war entbehrlich. Schlüssellochjournalismus – gespeist aus den Vorzimmern der Macht, aus Kabinetts- und Parteisitzungen, aus Kreisen, die nah dran sind oder sich dafür halten. Von Insidern und Auskennern. Spin-Architekten. Auskunftsfreudige Menschen mit Einblicken und noch mehr Geltungsbewusstsein. Falsch oder richtig wahrgenommen. Überspitzt weitergegeben. Die Quelle ist naturgemäß anonym. Das ist praktisch – für ziemlich viele Beteiligte.

Nicht fit? Nicht handlungsfähig!

Wollen wir das alles wissen? Nicht unbedingt. Nicht in dieser persönlichen Angelegenheit. Doch das passiert, wenn Kommunikation Fragen offenlässt. In dem Moment, in dem Gerüchte Fakten ersetzen, verschiebt sich etwas. Erst recht, wenn es um den Kanzler geht. Das Ergebnis ist ein Schwebezustand: Der Kanzler ist nicht fit. Nicht handlungsfähig. Nicht regierungsfähig.

Jetzt kommt Stocker zurück. Weil er sich genötigt fühlt? Weil zu oft gefragt wurde, ob er überhaupt zurückkommt? Weil er gesund ist? Dann wäre der bis dahin viel zitierte schlechte Gesundheitszustand nur eine (zu) dick aufgetragene Erzählung gewesen. Spekulationen eben. Hochgekocht – und am Ende nicht mehr der Rede wert. Ganz davon abgesehen: Natürlich dürfen Politiker krank sein. Sie fallen aus, sie brauchen Pausen. Das ist legitim und erwartbar. Schwieriger ist die Antwort auf die Frage, warum eine Erkrankung immer gleich ein politisches Vakuum erzeugt. Wie gehen die Medien damit um? Wie der politische Mitbewerb? Der Betroffene? Das System? Die Gesellschaft? Es sind Fragen, die offenlegen, wie heikel das Thema ist und wie viel es über unsere Erwartungen verrät – etwa mit Blick auf die Führung eines Landes.

Gesundheit wird in der Politik oft zum Spielfeld. Und zur Waffe

Das Spiel mit der Verletzlichkeit

Kevin Kühnert war bis Oktober 2024 Generalsekretär der SPD: jung, ambitioniert, belastbar. Er trat zurück mit dem Satz: „Keine Aufgabe kann wichtiger sein als meine Gesundheit.“ Transparent, offen, fast schon demonstrativ modern. Ein Politiker, der Verletzlichkeit nicht als Schwäche, sondern als Selbstschutz definiert. Ein Schritt, der seinerzeit Respekt erzeugte und zu Diskussionen über die Belastbarkeit von Politikern führte. Oder Joe Biden, dessen Gesundheitszustand im Wahlkampf 2024 zur globalen Frage wurde: Ist er noch fit genug, um Entscheidungen zu treffen, die die Welt betreffen?

Auch Hans Peter Doskozil kennt diese Dynamik gut. Mehrfach musste er gesundheitliche Probleme offenlegen und in der Folge Rücktrittsgerüchte als „vollkommenen Blödsinn“ zurückweisen. Alexander Van der Bellen sah sich im Präsidentschaftswahlkampf 2016 gezwungen, medizinische Befunde vorzulegen, um eine angebliche Krebserkrankung auszuräumen. Die Beispiele zeigen: Gesundheit wird in der Politik oft zum Spielfeld. Und zur Waffe. Insbesondere für die Konkurrenz oder für jene, die noch (oder wieder) was werden wollen. Für die Betroffenen heißt das: Bloß keine Schwäche zeigen!

Dabei muss ein Politiker, der offen sagt, dass er eine Pause braucht, nicht automatisch schwach wirken. Im Gegenteil: Verletzlichkeit schafft Vertrauen. Erst recht in einer politischen Kultur, in der vieles als „Spin“ wahrgenommen wird, kann Offenheit als Gegenprogramm zur Inszenierung wirken. Authentischer wirkt, wer Grenzen benennt, als wer sie kaschiert. Nicht nur in der Politik. Auch das ist gute Führung.

Körperliche Schwäche wird sofort politisch aufgeladen - als Metapher für Krise oder Kontrollverlust

In der Theorie. In der Praxis gilt: Wer robust wirkt, gilt als leistungsfähig. Wer angeschlagen ist, muss sich erklären. Wer schweigt, wirkt verdächtig. Sobald Stimme, Motorik oder Präsenz beeinträchtigt sind, wird es heikel. Körperliche Schwäche wird sofort politisch aufgeladen – als Metapher für Krise oder Kontrollverlust. Hinzu kommt: Wackelt der Chef, beginnt prompt im Hintergrund das Gerangel um Einfluss.

Dazwischen einen Weg zu finden, ist schwierig. Es scheitert an den Erwartungen von Medien, Machtlogik und Öffentlichkeit. Sind unsere Erwartungen an politische Führung realistisch? Und wie viel menschliche Schwäche erlaubt das System, ohne gleich in Alarmstimmung zu verfallen? Politiker dürfen ausfallen. Sie dürfen Pausen brauchen. Ob das System damit umgehen kann, das ist die eigentliche Frage. Und auch: Wie viel Menschsein erlaubt das System?

Was meinen Sie? Schreiben Sie mir: gulnerits.kathrin@news.at

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 48/25 erschienen.

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