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Peter Kaiser: „Auf manche Dinge gibt es keine einfache Antwort“

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Peter Kaiser

©Bild: NEWS/Matt Observe

Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser gibt im Herbst den Parteivorsitz ab. Sein Rückzug als Regierungschef wird folgen. Ein Gespräch über Heraus- und Überforderung in der Politik, Gefahren der Zukunft und darüber, was er nicht vermissen wird.

Laut Landesrechnungshof wird es 300 Jahre dauern, die Schulden Kärntens, also vier Milliarden Euro, zu tilgen. Eine kaum vorstellbar lange Zeit. Muss man als Politiker bisweilen mit Problemen umgehen, die zu groß sind, um sie zu verstehen?

Diese Zahl einer fiktiven Schuldentilgungsdauer verwundert mich und ich halte sie für nicht seriös. Erstens ist die Verschuldung im Rechnungsabschluss für 2024 um einige hundert Millionen geringer. Und es wird nicht erwähnt, dass wir 2013 von der FPÖ-geführten Vorgängerregierung einen Schuldenstand von drei Milliarden Euro übernehmen mussten. Wir haben in der Zwischenzeit eine Krisenbewältigung geschafft, die nicht ohne war. Unter anderem haben Kärnten wegen der Hypo-­Pleite dank der FPÖ Haftungen von 24 Milliarden Euro gedroht, die wir mittlerweile abgebaut haben. Wir hatten in unserer Regierungszeit auch positive Rechnungsabschlüsse, durch die wir Schuldenabbau betreiben konnten. Ohne, wie die Vorgängerregierung, Eigentum zu verscherbeln. Wir drehen jeden Cent x-mal um.

Fühlt man sich von der Zahl vier Milliarden nicht überfordert?

Man sie muss in Relation zur Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft mit einem BIP von 23 Milliarden Euro setzen. Ein öffentlicher Haushalt hat zudem Aufgaben zu erfüllen. Wenn das Land keinen Cent mehr ausgibt, bis alle Schulden weg sind – dann geht alles zugrunde, aber wir haben eine schwarze Null. Das ist nicht mein Verständnis von Politik.

Politiker müssen für große Fragen Antworten parat haben: Krieg in der Ukraine, Terroranschlag in Villach, Klimakrise. Haben Sie Antworten?

Man muss den Mut haben zu sagen, dass es auf manche Dinge keine einfache Antwort gibt. Es wird immer mehrere Handlungsstränge brauchen, um Probleme zu lösen.

Wir leben aber im Zeitalter der einfachen Antworten.

Das wird von manchen auch sehr geschickt ausgenützt. Aber wenn man an nachhaltigen Lösungen interessiert ist – und das ist der Anspruch, den wir als Partei und Regierung an uns stellen –, ist mit einfachen Antworten nicht immer alles erreichbar.

Haben die Menschen Geduld für komplizierte Antworten?

Im Großen: nein. Man sehnt sich offensichtlich nach Simplifizierungen und einfachen Lösungen. Aber wenn es dann das Problem nach einiger Zeit noch immer gibt, wird man draufkommen, dass es mit Simplifizierungen nicht geht.

Die FPÖ gewinnt mit einfachen Antworten Wahlen.

Diese Tendenz sieht man in ganz Europa oder sogar global. Es gibt aber auch so etwas wie den Anspruch, Menschen nicht für dumm zu verkaufen, sondern Missstände zu entschärfen und Chancen zu schaffen. Darum haben wir uns in Kärnten den Nachhaltigkeitszielen der UNO verpflichtet, die eine Messlatte für Beschlüsse unserer Regierung sind.

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 © Bild: NEWS/Matt Observe

Sie haben in Ihrem Blog eine Weiterentwicklung der Europäischen Menschenrechtskonvention angeregt. Prompt entstand der Eindruck, auch Sie würden auf „einfache“ Antworten setzen. Hat das geschmerzt?

Geschmerzt hat, dass auch renommierte Journalistinnen und Journalisten den Blog nicht gelesen, sondern nur auf eine Zusammenfassung in einer Zeitung reagiert haben. Worum es mir geht, ist, dass wir in der gesellschaftlichen Entwicklung und dabei, die Integrität der Menschenrechte zu gefährden, seit Beschluss der EMRK nicht stehen geblieben sind, und dass wir sie um die neuen Gefahrenmomente erweitern müssen.

Haben Sie sich als Landeshauptmann je überfordert gefühlt?

Nicht überfordert, aber enorm herausgefordert. Es gibt viele politische Situationen, wo man mit Denken, Analysieren, Erfahrung, Wissen nicht weiterkommt. Nach dem Terror-Mord habe ich in der ersten Pressekonferenz gesagt, wir dürfen nicht vorschnell in jedem, der nicht unsere Muttersprache spricht, einen potenziellen Terroristen sehen. Ein Versuch, zu differenzieren, ohne das Schlimme zu minimieren. Einer meiner nächsten Wege hat mich zu Migrationskommissar Magnus Brunner nach Brüssel geführt, um über Notwendigkeiten für eine europaweite Asylpolitik zu sprechen. Vieles von dem, was jetzt diskutiert wird, findet sich schon im Konzept, das Hans Peter Doskozil und ich 2017 erarbeitet haben.

Wenn Vorschläge aus dem Jahr 2017 2025 immer noch im Diskussionsstadium sind – resigniert man da?

Ein Beispiel: Ich fordere seit meiner Zeit bei der Sozialistischen Jugend das Pflichtfach politische Bildung. Wir haben vieles andere geschafft, etwa, dass in Kärnten als einzigem Bundesland das Jugendparlament in der Verfassung steht und die dort beschlossenen Anträge vom Landtag behandelt werden müssen. Doch das Pflichtfach politische Bildung steht erst jetzt unter dem Titel Demokratieunterricht im Programm der Bundesregierung. Manche Dinge dauern ewig. Aber wenn ich verzagt hätte, hätte ich das gar nicht erlebt.

Sie haben gesagt: Sie waren nicht überfordert, sondern herausgefordert. Darf man als Politiker nicht sagen, wenn man überfordert ist?

Das glaube ich nicht. Aber der Begriff „überfordert“ erzeugt bestimmte Bilder. Manchmal kann man Fragen nicht sofort beantworten. Das ist keine Überforderung.

Ich zweifle manchmal, ob man aus der Realität und den vielen Katastrophen überhaupt etwas lernt

Peter Kaiser

Wo holt man sich als Politiker Hilfe, wenn die Verantwortung zu groß ist?

Einer, mit dem ich am meisten diskutiere, sitzt hier (deutet auf seinen langjährigen Sprecher Andreas Schäfermeier, Anm.). Ich bin einer, der sehr gerne diskutiert und seine Überlegungen auch falsifizieren lässt. Ich halte das für eine der wichtigsten Tätigkeiten in der Politik, nachzudenken, aber auch zuhören zu können, wenn andere kritisieren. Ich habe lieber Kritik als Lob, sie sollte nur fundiert sein.

Wie leicht ist das angesichts der österreichischen Fehlerkultur? Wer Fehler macht und sie zugibt, gilt oft als gescheitert.

Ich habe genügend Fehler gemacht und stehe nicht an, sie einzubekennen. Das habe ich gemacht und mich auch öffentlich entschuldigt. Man kann ja auch eine Entwicklung falsch einschätzen. Derzeit gibt es zum Beispiel in manchen Parteien und in Teilen der Welt die kollektive Fehleinschätzung, dass es keinen Klimawandel gibt.

Wie ist es Ihnen damit gegangen, dass es in Kärnten bei einer Volksbefragung ein Nein zur Windkraft gab?

Auch hier hat man gesehen, dass man mit Simplifizierungen leichter durchkommt. Ich habe sehr gehadert mit der Formulierung der Volksbefragung, weil sie die Gegnerschaft unterstützt hat. Man muss offen sagen, dass es zu wenig Aufklärung über alternative Energie, die Substituierung von nicht regenerativen Energieformen und die Vereinbarkeit von Natur und Technik gibt. Wenn wir dekarbonisieren wollen – das ist eine Überlebensfrage und eine Verantwortungsfrage gegenüber der nächsten Generation – werden wir mehr erneuerbare Energie brauchen.

Wir verlieren dabei Zeit, während der Klimawandel fortschreitet.

Trotz dieser Volksbefragung können wir bei bestehenden oder in Genehmigung befindlichen Windparks verdichten. Auch bei der Fotovoltaik können wir weiterbauen bzw. größere Anlagen genehmigen. Es gibt jetzt schon große Anlagen, wo daneben bzw. darunter die Schafe und die Hühner weiden. Synergien sind eine der Herausforderungen der Zukunft.

Man hat das Gefühl, dass der Klimawandel früher ernster genommen wurde. Dass wir in der Debatte …

… schon einmal weiter waren. Es gab eine Zeit, in der das Problem von Staaten oder Prominenten weniger geleugnet wurde. Wenn ich mir den derzeitigen US-Präsidenten ansehe, die Reaktivierung von Erdöl- und Kohlekraftwerken und die Sistierung anderer Bereiche, zweifle ich manchmal, ob man aus der Realität und den vielen Katastrophen überhaupt etwas lernt. Wir müssen möglichst viel Innovation und Nachhaltigkeit zustande bringen. Die beiden schließen einander nicht aus, sondern gehören verbunden.

Bei Kriegsflüchtlingen ist klar, dass sie durch die Genfer Konvention geschützt sind. Aber was werden wir mit Klimaflüchtlingen machen?

Peter Kaiser

Es geht kaum mehr darum, die Erderwärmung zu stoppen. Es geht um Anpassung an die Verhältnisse.

Es hat leider sehr wenig Aufregung gegeben, als gemeldet wurde, dass Österreich sich nicht dem 1,5-Grad-Ziel nähert, sondern bei 3,3 Grad Erwärmung liegt. Gleichzeitig hatten wir 14 Hitzetage hintereinander mit bis zu 38 Grad. Anpassung wird notwendig sein. Wir stehen vor großen Veränderungen. Bei Kriegsflüchtlingen ist klar, dass sie durch die Genfer Konvention geschützt sind. Aber was werden wir mit Klimaflüchtlingen machen? Was werden wir tun, wenn Gebiete – wir reden hier nicht über Afrika, sondern auch über Europa – Temperaturen von über 50 Grad bereits vor dem Hochsommer haben, wie in Spanien? Diesem Thema völlig ignorant gegenüberzustehen, das wird zu Katastrophen führen.

Vor allem Rechtspopulisten haben sich das Klimathema vorgeknöpft und unterlaufen Maßnahmen dagegen. Die Parteien der Mitte ziehen allerdings nach.

Weil Anbiederung statt klarer Abgrenzung immer mehr zum Stilmittel wird und wir ja nicht von einer einzelnen Partei, die gegen die Rechten steht, sondern von unterschiedlichen Gruppen reden. Man hat ja auch keine Einheit in rechtspopulistischen bis rechtsradikalen Kreisen. Aber Klimawandelleugnung und Schuldzuweisungen gegen Ausländerinnen und Ausländer, egal worum es geht, das eint sie. Der Versuch mancher Parteien, die besseren Nationalisten zu sein, wird nicht helfen.

Die Bundesregierung hat im Klimabereich den Sparstift angesetzt.

Die Priorisierung des Abbaus der Staatsschulden hat zur Folge, dass manche wichtige Maßnahmen fallen. Das ist eine Aufgabe, der sich diese Regierung stellen muss. Dabei muss man Kompromisse finden, die natürlich damit einhergehen, dass manches, was man will, nur partiell erfüllt werden kann.

Was muss die Regierung im Klimabereich in Zukunft liefern?

Was wir auf alle Fälle brauchen, ist eine Grundanalyse, wo die größte Klimaschädlichkeit stattfindet. Das ist in einem hohen Ausmaß der Verkehr. Also muss man den Umstieg auf den öffentlichen Verkehr forcieren. Wie sehen aber auch eine Zunahme bei den E-Autos. Hier ist Bewusstsein oder Verantwortung zu spüren. Im Bereich der erneuerbaren Energien versuchen wir alles, um unserer Verantwortung für nächste Generationen nachzukommen. In Kärnten arbeiten wir daran, das weiße Gold Wasser zu schützen.

Ist es schwieriger geworden, Politiker zu sein?

Es ist weniger attraktiv geworden. Ethik, Respekt, Selbstverantwortung – all diese Punkte sind ein bisschen in Misskredit gekommen. Man bekommt relativ wenig soziales Echo zurück. Die Klischees über Politiker, die es gibt, die Berichte in den Zeitungen, die selten positiv sind – das hält viele ab.

Würden Sie es wieder tun?

Ich bin bekannt als Wiederholungstäter. (lacht) Ich bin ein Homo politicus. Es ist mir aber nie um Ämter gegangen. Mein Grundverständnis ist, dass der Mensch versuchen muss, die Lebensumstände für sich und andere zu verbessern.

Was wird Ihnen nicht fehlen, wenn Ihre Amtszeit vorbei ist?

Weder die Arbeit oder die Stundenzahl, sondern die Verantwortung. Die habe ich nie so stark gespürt wie als Landeshauptmann. In der Früh aufzuwachen und eine Spur weniger Verantwortung zu haben, das wird wohltuend.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 32/25 erschienen.

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