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Schulden, Bürokratie & Co.: Kann man den Staat neu bauen?

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Ein viel zu hohes Budgetdefizit und die Wirtschaftskrise setzen die Regierung unter Zugzwang. Eine große Staatsreform und eine schlankere Verwaltung sollen Österreich wieder wettbewerbsfähig machen und die Staatsfinanzen sanieren. Doch wie baut man den Staat um – bei laufendem Betrieb?

In einer idealen politischen Welt könnte es schnell gehen: „Rein von den rechtlichen Rahmenbedingungen her kann man den Staat sehr weitgehend reformieren. Letztlich ist sogar eine völlige Umgestaltung möglich“, sagt Peter Bußjäger, Professor für Öffentliches Recht, Staats- und Verwaltungslehre an der Uni Innsbruck und Leiter des Instituts für Föderalismus. „Alles, was man braucht, ist eine Verfassungsmehrheit im Nationalrat und, wenn es zulasten der Länder geht, eine im Bundesrat. Wenn die Reformen sehr weitreichend sind, kommt es unter Umständen zu einer Gesamtänderung der Bundesverfassung, die einer Volksabstimmung zu unterziehen ist.“

Aber, so setzt der Professor mit dem langjährigem Blick auf die österreichische Gemengelage nach: „Faktisch sind diese Dinge schwierig, weil natürlich auch bestimmte Interessenlagen damit verbunden sind.“

Laute Verfechter ihrer Interessen sind die Landeshauptleute – NEOS-Gründer Matthias Strolz titulierte sie deswegen als „Fürsten der Finsternis“. Doch nun finden sich auch sie zu einer „Reformpartnerschaft“ bereit, in der es um die Sanierung von Staat und Budget geht. Denn: Der Hut brennt lichterloh.

Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder es kommt die Troika, wie es in Griechenland war, oder es sind alle bereit, dass wir es auch ohne Troika schaffen

Sepp Schellhorn
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Maastricht-Kriterien: Krachend verfehlt

Österreich hat die Maastricht-Grenze für die gesamtstaatliche Verschuldung 2024 krachend verfehlt. Um wieder unter die magischen drei Prozent Neuverschuldung zu kommen, müssen Bund, Länder und Gemeinden gleichermaßen sparen. Rasch und nachhaltig. Derzeit wird öffentlich allerdings noch darüber debattiert, wer wie sehr für das Schuldendebakel verantwortlich ist.

„Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder es kommt die Troika, wie es in Griechenland war, oder es sind alle bereit, dass wir es auch ohne Troika schaffen. Wenn wir so weitertun wie bis jetzt, steht die Troika schon ante portas“, sagt Josef Schellhorn, Staatssekretär für Deregulierung und aufseiten von NEOS für das Projekt Staatsreform zuständig.

Schlank und transparent

Schellhorn formuliert im News-Gespräch seine Vorstellung eines effizienten Staats: digital nach dem Vorbild Estlands, transparent in der Verwaltung auf allen Ebenen, von den Gemeinden über die Länder bis zum Bund. Dieser wiederum muss mit klaren, schlanken Gesetzen dafür sorgen, dass alle anderen Ebenen – besondere Bedeutung haben hier die Bezirkshauptmannschaften – Service für Bürger und Unternehmen liefern können und nicht weiter Bürokratiemonster füttern. Auch, dass in manchen Bereichen quer durch die Bundesländer unterschiedliche Regelungen gelten, soll in diesem Zusammenhang angegangen werden.

Schellhorn plädiert für transparente einheitliche Budgetrichtlinien für Länder und Gemeinden. Denn derzeit ist unterschiedlich gehandhabt, in welcher Höhe jedes Bundesland seine Gemeinden mit Umlagen zur Kasse bittet, oder ob z.B. Kindergartenpädagoginnen über das Landes- oder die Gemeindebudgets laufen. Das macht die Vergleichbarkeit schwierig. Manches Bundesland ist nur deswegen ein Budget-Musterknabe, weil es seine Gemeinden stärker belastet. Durch diese Intransparenz sei das Ausmaß der gesamtstaatlichen Neuverschuldung im März so überraschend gekommen.

Schwieriges Terrain: die Länder

Natürlich geht es um den Föderalismus – heilige Kuh für die einen, Reizwort für die anderen. „Für einen funktionierenden Staat einer neuen Ordnung muss man sich anschauen, wer für was wirklich zuständig ist und die Strukturen entschlacken“, sagt Schellhorn. Der jetzige Zustand sei nicht Schuld der Länder – deren Chefs ihre Kompetenzen allerdings mit Hingabe verteidigen. „Die vergangenen Bundesregierungen haben den Fehler gemacht, den Ländern mit 15a-Vereinbarungen immer mehr Aufgaben zu übertragen, für die sie dann Geld bekommen haben. Das muss man jetzt entflechten.“

Er könne sich vorstellen, die Gesundheit zu „verländern“. „Die Länder haben näheren Kontakt und wissen, was Krankenhäuser, Ärzte und Pflege brauchen. Es ist aber wichtig, einen einheitlichen Schlüssel zu haben, wie viel ein Bundesland pro Kopf für Gesundheit ausgeben darf. Dann hört sich der Krankenhausföderalismus auf und es wird schlanker und effizienter.“ Im Gegenzug plädiert Schellhorn für eine Zentralisierung bei der Bildung.

Die Länder müssten selbst diskutieren, „welche Aufgaben sie sich aufbürden, und was es nicht braucht“, sagt Schellhorn. „Beauftragte für Kunst im Kreisverkehr halte ich für obsolet, ebenso Landesmedienzentren, die mehr Personal haben als so manche Redaktion.“ Man könne auch darüber diskutieren, ob der Landtag von Vorarlberg gleich groß sein müsse wie jener von Tirol oder Salzburg, oder warum die Bezirksvertretungen in Wien in dieser Größe nötig seien. „Wenn sich jeder Landeshauptmann mit seinen wichtigsten Leuten zurückzieht und schaut, was man streichen kann, würden wir schon auf etwas kommen, glaube ich.“

Lohnnebenkosten senken

Geht es nach Schellhorn, sollen die Länder mit Einsparungen den budgetärer Spielraum für ein wichtiges Projekt des Bundes schaffen: „Landeshauptleuten, denen ihr Bundesland als Wirtschaftsstandort wichtig ist, muss daran gelegen sein, dass endlich die Lohnnebenkosten gesenkt werden. Dass im letzten Jahr in Österreich 40.000 Arbeitsplätze in der Industrie verloren gegangen sind, weil wir nicht mehr wettbewerbsfähig sind, ist ein Alarmzeichen. Da kann kein Landeshauptmann, keine Landeshauptfrau blind darüber hinweggehen.“

Als „Appell an die Vernunft“ will Schellhorn das verstanden wissen. „Es gibt überall Einsparungspotenzial. Die größte Bereitschaft dazu gibt es beim Bund und den Gemeinden, weil hier der Leidensdruck am größten ist. Aus Länderkreisen hört man, dass der Leidensdruck noch nicht groß genug ist. Aber ich wünsche mir diese Bereitschaft auch von ihnen.“ Denn: „Es steht jetzt wirklich Spitz auf Knopf. Es geht nicht um Reförmchen, sondern darum, dass wir diesen Staat reformieren und modernisieren.“ In den nächsten zwei Jahren müssten die Entscheidungen dazu fallen. „Ich haben da den unternehmerischen Zugang: Geht nicht, gibt’s nicht“, sagt Schellhorn und lobt ausdrücklich die Zusammenarbeit mit ÖVP-Staatssekretär Alexander Pröll und Gemeindebundpräsident Johannes Pressl.

Tauschgeschäfte auf höchster Ebene

Hans Pitlik beschäftigt sich beim Wirtschaftsforschungsinstitut Wifo mit Makroökonomie und öffentlichen Finanzen. Auf die Frage „Kann man den Staat neu bauen?“ verweist er auf Neuseeland, wo man in den 1980er-Jahren radikal auf eine Wirtschafts- , Budget- und Verfassungskrise reagierte. „Dort wurden alle Entscheidungsstrukturen neu aufgesetzt, die Wirtschaftsstrukturen dereguliert, dadurch ist man wieder auf den Erfolgspfad zurückgekommen.“

Das schaffe man, indem man gegenläufige Interessen der verschiedenen Gruppen und Gebietskörperschaften bündelt und Reformen abtauscht. „Man muss den Ländern etwas geben, damit man etwas von ihnen verlangen kann.“ Will man die Bildung zentraler regeln, muss man den Ländern mehr Kompetenz im Gesundheitsbereich geben – und umgekehrt.

Föderalismusexperte Bußjäger verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass die Bildungsdirektionen in den Bundesländern nicht die erhofften Einsparungen im Schulwesen gebracht hätten, sondern mehr Bürokratie. Verwaltungsaufgaben könnten auch die Ämter der Landeregierungen erledigen, die Schulen könnten hingegen mehr Autonomie bekommen. „Man muss sich allerdings im Klaren sein, dass diese ihre Autonomie auch wahrnehmen werden und dann nicht mehr alles einheitlich durchgesteuert ist.“

Aus Sicht der Landeshauptleute ist das die beste aller Welten. Sie können Wohltaten verteilen, ohne je den Wählern erklären zu müssen, dass man Steuern erhöhen muss, um das zu finanzieren

Hans Pitlik
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 © wifo.ac.at

Steuerhoheit für die Länder

Pitlik verweist darauf, dass es eine Kompetenz gibt, die die Länder nicht haben wollen – aber haben sollten: nämlich jene, selbst Steuern einzuheben. „Sie haben derzeit faktisch keine Finanzierungsverantwortung. Aus Sicht der Landeshauptleute ist das die beste aller Welten. Sie können Wohltaten verteilen, ohne je den Wählern erklären zu müssen, dass man Steuern erhöhen muss, um das zu finanzieren.“ Will man den Staat tatsächlich wirksam reformieren, so Pitlik, sei eine Steuerverantwortung für die Länder unabdingbar.

Denn, so der Wirtschaftswissenschafter, die extrem hohe Staatsquote Österreichs liege nicht allein an hohen Verwaltungsausgaben. Der Personalstand im öffentlichen Dienst sei im internationalen Vergleich nicht hoch. „Österreich ist ein stark transfergetriebener Staat. Da geht es um Pensionen, Subventionen, Förderungen, Sozialleistungen.“ Eine Reform wirke nur dann auf Dauer, „wenn sie mittelfristig dafür sorgt, dass die Transferausgaben geringer werden. Etwa indem es sich für die Landeshauptleute oder die Bundesregierung politisch nicht mehr lohnt, so viele Förderungen zu verteilen.“ Dazu würde auch eine Einnahmenautonomie für die Länder beitragen. Doch: „Das ist die schwierigste aller Reformen.“

Weniger Regeln

Österreich habe es nach dem EU-Beitritt verabsäumt, sein eigenes Normendickicht auszudünnen, um die vielen EU-Regelungen zu kompensieren, sagt Peter Bußjäger. Sein Vorschlag: Bei Sicherheit- und Arbeitnehmerschutz mehr die Eigenverantwortung zu bemühen, dafür die Kontrollen auszudünnen. „Da muss sich die ganze Gesellschaft etwas zurücknehmen und nicht immer nach Kontrollen rufen. Ein schlanker Staat braucht die Eigenverantwortung des Einzelnen.“ Zudem plädiert Bußjäger für eine Aufwertung der Bezirkshauptmannschaften und eine verstärkte Zusammenarbeit der Gemeinden, um deren Budgets zu entlasten.

Wo sich Schreibtische ändern, wird es immer einen Aufruhr geben. Aber es wird nichts anderes möglich sein, als den einen oder anderen Aufruhr zu riskieren

Peter Bußjäger
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 © Universität Innsbruck

Auch warnt er vor der Annahme, dass mit einer reinen Verwaltungsreform auf Anhieb große Summen zu lukrieren seien. „Quick Wins erzielt man nur, wenn man Förderungen streicht.“ Aber: „Jeder Rechtsträger muss seine Strukturen durchleuchten. Der Bund seine Ministerien, jeder Landeshauptmann sein Amt der Landesregierung. Das eine oder andere Verbesserungspotenzial käme da schon zutage.“ Unruhe werde das sicher bringen: „Es ist im Prinzip das Gleiche, ob sie ein einzelnes Gemeindeamt oder den ganzen Staat reformieren: Dort, wo sich Schreibtische ändern, wird es immer einen Aufruhr geben. Aber es wird nichts anderes möglich sein, als den einen oder anderen Aufruhr zu riskieren.“

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 37/2025 erschienen.

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