Milliarden für die Schiene, Hoffnung auf eine AI-Gigafactory, Kameras gegen den Stau in der City: Infrastrukturminister Peter Hanke versteht sich nicht als Verwalter, sondern als Möglichmacher. Im Interview spricht er über große Pläne – und rote Linien, die er bewusst nicht zieht.
Nach 100 Tagen gibt es für die Regierung laut einer OGM-Umfrage nur mäßige Zustimmung. Ihr Name ist vielen noch kein Begriff. Stört Sie das? Oder ist das ein Zeichen, dass Ihre Arbeit (noch) nicht polarisiert?
Nein, das stört gar nicht. Ich komme ja aus Wien und habe einen ähnlichen Bereich gemanagt. Es ist natürlich noch einmal viel größer, für neun Bundesländer zuständig zu sein. Aber wer mich kennt, weiß, wie mein Arbeitsstil ist. Der ist sehr auf Fakten basiert. Inhaltlich und von einer Umsetzungsstrategie getragen. Deshalb ist es mir in den ersten 100 Tagen wichtig gewesen, die Grundvoraussetzungen zu schaffen, dass wir die nächsten Jahre gut arbeiten können. Das bedeutet, ein Doppelbudget aus der Sicht des Verkehrs auf Schiene zu bringen, einen Rahmenplan für sechs Jahre für die ÖBB und ein ASFINAG-Bauprogramm zu skizzieren. Natürlich ist zu wenig Zeit geblieben, um in den Bundesländern intensiver aufzutreten. Das habe ich mir für die nächsten 200 Tage vorgenommen.
Was sollten die Menschen über den neuen Minister für Innovation, Mobilität und Infrastruktur wissen?
Dass er ein Ermöglicher ist und sicherstellt, dass diese Republik für unsere Kinder und Enkel in guten Händen liegt. Infrastruktur ist dabei ein wichtiger Bestandteil. Es ist eine große Aufgabe sicherzustellen, dass in Zeiten von schwer einschätzbaren geopolitischen Großwetterlagen Österreich einen eigenständigen Weg geht.
Welche Themen treiben Sie an?
Die AI-Factory Austria wird jetzt Realität. Das ist ein großer Erfolg meines Ministeriums gemeinsam mit der TU. 80 Millionen Euro schwer und zu 50 Prozent von der EU mitfinanziert. Auch die Bewerbung von Wien für die AI Gigafactory, die großindustrielle Nutzung von KI ermöglicht, ist die richtige Ansage für einen modernen Standort Österreich. Ich fühle mich als Standortminister und möchte als solcher auch verstanden werden.
AI Factory Austria
Die „AI Factory Austria“ ist ein österreichisches Projekt, das als Werkstatt und Testlabor für KI-Innovationen dient. Ziel ist es, das heimische KI-Ökosystem zu stärken.
AI-Gigafactory
Die „AI-Gigafactory“ ist ein von der EU geplantes, großindustrielles Rechenzentrum für Künstliche Intelligenz. Insgesamt sollen bis zu fünf solcher Gigafactories in Europa entstehen.
Welche Chancen rechnen Sie sich für die Gigafactory aus?
Die EU plant den Bau von bis zu fünf Gigafactories, um Europas Wettbewerbsfähigkeit und digitale Souveränität zu stärken. Ich möchte es nicht in Prozenten ausdrücken, aber ich glaube, wir haben eine gute Chance. Es wird wichtig sein, die Finanzierung, die in die Milliarden geht, zu ermöglichen. Das Thema der Energiespeisung ist ebenfalls entscheidend. Da haben wir am Standort Wien gute Möglichkeiten. Eine Entscheidung wird spätestens Ende nächsten Jahres fallen.
Wo soll Österreich in diesem Bereich in fünf Jahren stehen?
Österreich hat sich mit all dem, was wir im Bereich der Digitalisierung schon vorangebracht haben, einen guten Namen in Europa gemacht. Der Digital Act 2.0 wird einen wichtigen strategischen Rahmen schaffen und das Thema Digitalisierung für die Bürgerinnen und Bürger spürbar machen. Da passiert schon viel. Das soll intensiviert werden. Es braucht die Unabhängigkeit im Sinne einer Rechenzentrenlösung. Es braucht das Energiethema. Es braucht einen wettbewerbsfähigen Standort. All das müssen wir diskutieren. Wir gehen davon aus, dass wir bis Jahresende unsere Industriestrategie fertiggestellt haben, um die Zielorientierung vorzugeben.
Warum dauert das bis Jahresende?
Für eine Strategie, die zehn Jahre wirkt, ist ein halbes Jahr keine übertrieben lange Zeit. Es geht darum, wo wir die Industrie platziert haben wollen, wo Schlüsseltechnologien liegen, wo es Unterstützung des Staates braucht und wo wir Stakeholder an Bord holen können. Wir versuchen auf Unternehmensseite alle einzubeziehen. Wir brauchen dringend die in Österreich viel gelobte Sozialpartnerschaft dafür. Das bedeutet aber auch, dass man diesen Strukturen Zeit und Raum geben muss.
Stichwort Schlüsseltechnologie: Wo geht die Reise hin?
Der KI-Bereich wird ein wesentlicher sein, ebenso sind Green und Cleantech bereits ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor. Im Bereich Life-Science haben wir im Osten Österreichs mit einer Forschungsquote von über 4,3 Prozent einen guten Weg eingeschlagen. Wir sind mittlerweile das viertstärkste Exportland von Bahntechnologie weltweit und haben dort eine Wertschöpfung von über drei Milliarden Euro und eine Exportquote von über 70 Prozent. Wir brauchen keine Angst haben, unsere Ziele nicht zu erreichen. Wir müssen sie nur im richtigen Tempo angehen.
Der neue Rahmenplan für Infrastrukturprojekte von 2025 bis 2030 sieht Investitionen von 19,7 Milliarden Euro vor – das sind 1,6 Milliarden Euro weniger als zuvor. Sie sagen: „Wir halten den Schienenverkehr an der Spitze Europas“. Das geht sich aus?
Das geht sich sehr gut aus. Es sind klarerweise Planungen mit einem Sanierungsbedarf, der auch von meinem Haus kommen musste, zu koppeln. Wir haben uns für ein Modell entschieden, das machbare Investitionen in einem bestimmten Zeitraum auch darstellen lässt. Wir hatten beispielsweise in den letzten zwei bis drei Jahren durchaus Probleme mit der Pünktlichkeit bei den ÖBB. Die Kundinnen und Kunden, der Service und die Digitalisierung sollen jetzt im Mittelpunkt stehen. Wir können auch mit vernünftigen Budgets viel erreichen. Es gab aber übrigens mit diesen 3,2 Milliarden Euro, die wir investieren, noch nie einen höheren Wert, der pro Jahr investiert wurde. Ab und zu muss man aufpassen, dass sich eingesessene Bilder nicht permanent multiplizieren und fortgetragen werden.
Die ASFINAG bekommt rund 1,7 Milliarden Euro …
Also halb so viel wie der Schienenverkehr. Das ist der richtige Fingerzeig im Sinne des öffentlichen Verkehrs und der Dekarbonisierung. Mir ist es ein großes Anliegen – anders als meiner Vorgängerin – die Intermodalität der Verkehrsträger und der Verkehrsdienstleister in den Fokus zu rücken. Es ist wichtig, dass es den Mix aus Straße, Bahn, Luft und allenfalls auch auf dem Wasser gibt.
Wir können auch mit vernünftigen Budgets viel erreichen

ÖBB-Chef Matthä warnt vor „deutschen Verhältnissen“. Ist das einfach nur eine überspitzte Formulierung?
Nein, es ist keine überspitzte Formulierung. Das ist leider so, dass man in der Vergangenheit im Bereich der Instandhaltung und der Investitionen zurückhaltender war. Das bedeutet u. a., dass wir mit unseren Nachbarn möglichst schnell durchgängige Systeme herstellen müssen. Aber ja, die Deutsche Bahn hat ein unglaubliches Investitionsvolumen notwendig, um die Schiene dorthin zu führen, wo wir in vielen Bereichen bereits sind. Auf der Südstrecke sind wir mit dem Koralmtunnel ab Dezember in Betrieb. 45 Minuten von Graz nach Klagenfurt – das ist sensationell. Der Brenner Basistunnel, das längste Bahntunnelprojekt der Welt, wird 2032 fertiggestellt.
Von der Schiene auf die Straße – und zum Lobautunnel. Als Wiener Stadtrat haben Sie das Projekt befürwortet. Ihre Vorgängerin im Ministerium hat es abgelehnt. Wie ist Ihre Position als Minister?
Ich prüfe das sachlich und offen. Als Familienvater von drei Kindern ist mir nicht egal, wie unsere Zukunft in 30 oder 50 Jahren ausschaut. Aber all jene, die nach Wien kommen, brauchen einen Arbeitsplatz, leistbaren Wohnraum und haben ein Mobilitätsverhalten. Gerade in der Ostregion von Niederösterreich, Burgenland und Wien wird diese Umfahrungslösung dringend gebraucht. Dennoch muss natürlich der Klimaneutralität auch hier entsprechend Beachtung geschenkt werden.
Lobautunnel
Der Lobautunnel ist ein rund 8,2 Kilometer langer geplanter Straßentunnel unter dem Nationalpark Donau-Auen bei Wien. Er soll Teil der etwa 19 Kilometer langen Ostumfahrung werden und damit das letzte Teilstück der Wiener Außenring Schnellstraße (S1) bilden.
Gibt es für Sie rote Linien, wenn es um Straßenbau versus Umweltschutz geht oder dominiert der Ruf nach Stauvermeidung?
Großstaus, die tagtäglich stattfinden, werden wohl nicht die Lösung sein. Es ist ein Abwägen, das nur auf Basis von Expertenwissen passieren darf. Rote Linie sehe ich keine.
Das Klimaticket wird teurer, gleichzeitig wird der Pendlereuro verdreifacht. Haben Sie nicht Sorge, dass viele Menschen sich wieder fürs Auto entscheiden – auch aus Frust?
Es gab eine sehr intensive Ausgabenpolitik der Vorgängerregierungen. Jetzt ist Sparsamkeit angesagt. Das Klimaticket wird mit Jänner 2026 auf 1.400 Euro erhöht – und ist noch immer günstig in Europa mit Blick auf vergleichbare Tickets. Was den Pendlereuro betrifft, dürfen wir nicht vergessen, dass viele ländliche Regionen nicht die Erschließungsqualität im öffentlichen Verkehr wie Wien haben. Diese Menschen haben auch ein Anrecht auf eine freie Mobilität. Wir sollten beides nicht gegeneinander ausspielen.
Beim Ausbau der Ladeinfrastruktur für E-Autos hinkt Österreich hinterher. Warum?
Das habe ich so zur Kenntnis genommen – und mache es anders. Wir haben hohe Millionenbeträge für die nächsten zwei Jahre vorgesehen, um die Basis dafür zu schaffen, dass die Straßen möglichst mit E-Mobilität oder alternativen Treibstoffen gefahren werden können. Das ist ein Prozess der sicher einige Zeit braucht.
Warum ist immer die Förderung der Hebel? Was ist mit Eigeninitiative?
Es braucht Eigeninitiative. Der Staat kann maximal den Rahmen vorgeben. Er kann mitgestalten, einen Trend unterstützen, eine Schlüsseltechnologie fördern.
Weniger Autos in verkehrsberuhigten Innenstädten ist ein Plan, der auf dem Tisch liegt. Andere Länder sind hier schon viel weiter. Warum plagt sich Österreich mit dem Thema so?
Österreich plagt sich, weil es bisher keine gesetzliche Möglichkeit gab, das zu tun. Für diese gesetzliche Möglichkeit habe ich eine Novelle in Vorbereitung, die ein kamerabasiertes System der Überwachung der Kennzeichen ermöglicht. Es wird an den Städten liegen, das umzusetzen und damit mehr Lebensqualität für jene Menschen zu geben, die sich in den innerstädtischen Bereichen aufhalten und wohnen.
Kamerabasiertes System
Wien plant eine verkehrsberuhigte Innenstadt. Eine Machbarkeitsstudie zeigt, dass mit einem kamerabasierten Zufahrtsmodell rund 30 Prozent weniger Einfahrten und 23 Prozent weniger abgestellte Fahrzeuge im 1. Bezirk zu erwarten sind.
Wie schnell wird das gehen?
Anfang des Jahres 2026 soll die Novelle in Umsetzung gehen. Ich denke, es werden über 20 Städte sein, die davon Gebrauch machen. Mit ihren internen Planungen können sie ja schon jetzt beginnen, um dann die technischen Systeme möglichst schnell in Realisierung zu bringen.
Wie sieht der Verkehr der Zukunft in österreichischen Städten aus?
Wir werden noch eine Zeit lang den klassischen Verbrenner auf unseren Straßen finden. Es wird keine Revolution stattfinden, aber eine Evolution, die uns neue Formen der Mobilität bringt. Hätten wir vor sieben Jahren geglaubt, dass die Drohnenindustrie eine so rasche Entwicklung nimmt, hätten wir das verneint. Wir sehen, dass das jetzt sehr schnell geht. Leider mit einem schalen Beigeschmack, weil hier das Kriegsthema stark mitspielt.
In Hamburg sollen ab Mitte 2026 kleine Shuttlebusse autonom fahren. Ab 2028 Busse mit bis zu 40 Personen. Wann rollen selbstfahrende Busse durch Wien?
Autonomes Fahren ist ein wesentlicher Zweig, der von meinem Ministerium mit Pilotprojekten unterstützt wird. Das wird kommen, aber wir wollen kein Risiko eingehen. Deshalb müssen wir Zeit investieren, um diese Systeme belastbar zu machen. Autonomes Fahren im U-Bahn-Bereich kommt jetzt in Wien in die Umsetzung. Die nächsten zehn Jahre werden bei diesem Thema spannend sein.
Autonomes Fahren
Drei Jahre lang wurden in der Seestadt Aspern zwei autonome E-Busse getestet. Beteiligt waren u. a. die Wiener Linien, das AIT und Siemens Mobility. Das Projekt endete am 30. Juni 2021.
Wie verhindern Sie, dass bei all den Projekten der Eindruck entsteht: große Pläne, aber wenig Umsetzung?
Im Bereich der Infrastruktur machen wir unsere Hausaufgaben und sind im Vergleich zu vielen europäischen Ländern in der Vorreiterrolle. Wir dürfen uns durchaus selbstbewusster zeigen.
Was ist jetzt anders als vorher? In Österreich ist man ja bald mal Vorreiter …
Die Bundesregierung ist gewillt, diese Pläne gemeinsam für Österreich zu realisieren. Das gab es in den letzten Jahren in dieser Konsequenz nicht. Es gab Einzelspieler, die sich hervorgetan, aber leider keine nachhaltige Entwicklung herbeigeführt haben.
Der politische Warnschuss wurde gehört?
Der Verhandlungsmarathon auf Bundesebene hat klargemacht, wie wichtig es ist, eine funktionierende Bundesregierung am Start zu wissen. Ich glaube, dass die geopolitisch schwierige Situation dazu beiträgt, ein Stück weit mehr das Augenmerk auf das eigene Leistungsbild zu legen. Wir müssen schon selbst auch Verantwortung übernehmen.
Noch ein paar Themen, mit der Bitte um kurze Antwort: Die Forschungsquote von vier Prozent ist realistisch oder nur ein Regierungsziel auf dem Papier?
Realistisch. Hochschulen, öffentliche Hand und die Privaten sind hier gleichermaßen gefordert.
Ein Standortfaktor, der dringend verbessert werden muss?
Die Konnektivität Österreichs, also die bestmögliche Vernetzung mit anderen Ländern im Flugbereich, um eben diese globale Welt noch stärker am Standort spürbar werden zu lassen. Das bringt Know-how, das bringt Arbeitskräfte, die wir brauchen, um für die Herausforderungen der Zukunft gut aufgestellt zu sein.
Neue Flugverbindungen am besten wohin?
Zum Beispiel Indien. Das ist touristisch, aber auch technologisch interessant.
Wird Österreich bei den Fluggastrechten bei der Drei-Stunden-Regel hart bleiben?
Wir werden mit Sicherheit hart bleiben. Es kann nicht sein, dass Kundinnen und Kunden am Ende für die Schwierigkeiten von Dritten die Rechnung gelegt bekommen.
Das wichtigste Thema für die Zusammenarbeit mit dem deutschen Amtskollegen …
… wird Tirol sein. Und dort natürlich das Transit-Thema, das für uns und vor allem für die Tiroler Bevölkerung wirklich ein Problem darstellt.


Peter Hanke, 61
Peter Hanke (SPÖ), ist Bundesminister für Innovation, Mobilität und Infrastruktur. Zuvor war er Wiener Finanz- und Wirtschaftsstadtrat und galt als enger Vertrauter von Bürgermeister Michael Ludwig. Der studierte Betriebswirt leitete ab 2002 die Wien-Holding, einen Konzern stadteigener Unternehmen. Hanke gilt parteiintern als bestens vernetzt, ist aber kein klassischer Parteikarrierist.
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 27/25 erschienen.