Kosmetik hier, Aktionismus dort – und überall Bedenkenträger. Die wirklich drängenden Probleme? Ungelöst, solange Verantwortung vertagt, Schuld abgeschoben und Mut zu unpopulären Entscheidungen fehlt. Das Ergebnis: große Worte, kleine Schritte – und viel Stillstand.
So wird das nichts. Das ist eine nüchterne Feststellung, die sich im Rückblick als richtig erweisen könnte. Bestenfalls aber nicht. Denn auch in schwierigen Zeiten sollte man sich Zuversicht nicht nehmen lassen – selbst wenn sie nur noch in homöopathischen Dosen vorhanden ist. Mit diesem Rest an Hoffnung blicke ich auf die Regierungsklausur in der kommenden Woche. Zwei Tage lang beraten sich die Koalitionäre, zwei Tage lang liegen – mal wieder – die dringlichsten Probleme des Landes auf dem Tisch. Was erfahrungsgemäß folgt: Kosmetik hier. Aktionismus dort. Noch ein Deckel mehr hier – bei den anderen, nicht bei einem selbst. Irgendwas gegen die teuren Lebensmittel dort. Doch das Land bräuchte etwas anderes: substanzielle Lösungen, ein klares Bekenntnis zu unpopulären Schritten. Denn in Zeiten hoher Defizite, wachsender Schulden, Überregulierung und Wirtschaftsflaute reicht es nicht, die Oberfläche zu glätten. Gefordert wäre eine Politik, die handelt. Schnell. Dass das passiert, wäre eine Überraschung. Was wir wissen: Probleme mit Geld zuschütten, geht nicht mehr. Es ist kein Spielraum dafür da, wenngleich dieses Land auch im Herbst 2025 noch immer ein Ausgaben- und kein Einnahmenproblem hat.
Keine Vehemenz, keine Ansagen: Gut möglich, dass viele Probleme und deren Nichtlösung auch mit einem Mangel an Gespür zu erklären sind. Einem Mangel an Erfahrungen. Einem „nicht so genau wissen wollen“. Oder dem Wunsch, möge doch alles so bleiben wie es einmal war. Damals. Also wird es weiter mit halbherziger Schönwetterpolitik statt Realpolitik versucht. Dazwischen zeigt man mit dem Finger auf die anderen. Denn schuld ist immer das Gegenüber. Oder die EU – siehe Lebensmittelpreise. Verantwortung? Eigeninitiative? Fehlanzeige.
Erst Aktionismus, dann Stillstand
Beispiel Sommerschule. Ab 2026 sollen Kinder mit Sprachdefiziten zwei Wochen lang verpflichtend Deutsch lernen. Lehrkräfte und Studierende, die unterrichten, verdienen 60 Euro pro Stunde oder müssen im Schuljahr eine Wochenstunde weniger in die Klasse. Klingt gut. Und ja, das Grundproblem bleibt: Während des Schuljahres fehlt Personal, fehlen Stunden, fehlt Förderung. Und dennoch: die Antwort der Gewerkschaft? Politischer Aktionismus. Die Umsetzung? Schwierig. Natürlich. Und überhaupt: Kommt da eine Verkürzung der neun Wochen langen Sommerferien durch die Hintertür? Unerhört. Am Ende stellen sich alle – die Interessenvertreter, die Politiker, die Betroffenen und die Zaungäste – in ihre Ecke und krakelen rum: Geht nicht! So geht das nicht! Brauchen wir nicht! Eine Lösung? Zweitrangig. Eine andere Idee? Eher keine Idee.
Beispiel Lebensmittelpreise. Schon 2023 gab es einen Gipfel – und eine Mehrwertsteuer-Debatte, Rufe nach einer Transparenzdatenbank, freiwillige Preisvereinbarungen. Und kein Ergebnis. 2025 fordert ÖGB-Chef Katzian erneut einen „ernsten Gipfel“. Mit denselben Akteuren. Weil jetzt müsse man „vereinbaren, was man jetzt ganz konkret macht, um das in den Griff zu bekommen“. Aus seiner Sicht tut er das Richtige. Sagt, was ist. Er weiß, wie es gehen kann – ein „ernster“ Gipfel eben.
Vertagen, verleugnen, abwiegeln
Beispiel Klima. Österreichs Klimaneutralität bis 2040? Im Gesetz nicht mehr festgeschrieben. Die EU-Ziele 2030? Werden wohl mit Zertifikaten aus dem Ausland erkauft. „Wird schon werden“-Mentalität, wo es eine klare „Es muss sich etwas ändern“-Ansage bräuchte. Beispiel Pensionen. Die geplante Erhöhung um 2,7 Prozent kostet über zwei Milliarden Euro. Der Seniorenrat fordert sie trotzdem. Natürlich. Koste es, was es wolle. Demografischer Wandel? Steigende Lebenserwartung? Geschenkt. Junge Menschen glauben ohnehin nicht mehr daran, selbst noch eine Pension zu bekommen, von der sie leben können.
Wir erleben viel Symbolpolitik, aber wenig Substanz. Diskussionen, die erst entgleisen – und im Nichtstun enden, weil es an Ehrlichkeit fehlt
Beispiel Kinderbetreuung. Laut Familienministerin und aktuellen Zahlen wurde hier ein „großer Schritt nach vorn gemacht“. Die Zahlen? Sehr erfreulich. Natürlich. 60 Prozent der Kinder sind in einer Einrichtung, die Vollzeitbeschäftigung ermöglicht. Regionale Unterschiede? Egal. Siehe da: In Wien sind es 89 Prozent, in Oberösterreich nicht einmal 40. Wer so kleine Schritte feiert, zeigt, wie weit die Politik vom Alltag entfernt ist. Schon einmal versucht, einen Vollzeitjob mit einem „Volltags“-Kindergartenplatz zu vereinbaren? Andererseits geben 56,9 Prozent hierzulande an, dass das Familienleben leidet, wenn die Frau (!) einer Vollzeitbeschäftigung nachgeht. In den Niederlanden sind es 37,4 Prozent; in Dänemark: 14,1 Prozent.
So reiht sich Beispiel an Beispiel. Viel Symbolpolitik, wenig Substanz. Diskussionen, die erst entgleisen – und dann im Nichtstun enden, weil es an Ehrlichkeit fehlt. Dabei ist nicht entscheidend, was angekündigt wird, sondern was gemacht wird. Am Ende bleiben zwei einfache Fragen: Wollen wir – oder wollen wir nicht? Können wir – oder können wir nicht? Ein bequemes „Das war schon immer so“ steht nicht zur Auswahl. Denn ohne Strukturreformen kein Wachstum. Mit diesem weit verbreiteten „Weiter so“ hat dieses Land keine Zukunft.
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Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 35/25 erschienen.