Maskierte ICE-Beamte verhaften Asylsuchende direkt am 26 Federal Plaza. Ein Gewaltvorfall wird viral und legt Trumps Abschiebemaschine offen.
- Ein Donnerstag in Manhattan – und ein Video, das die USA erschüttert
- Gericht als Falle: ICE fischt die Menschen vor den Saaltüren ab
- So funktioniert die Operation – Listen, Masken, Treppenhäuser
- Angst, Aktivismus, Kirche: Wie New York reagiert
- Der Fall Ortiz-Lopez: Freilassung – vorerst
- Aushöhlung des Rechtsstaats? Wenn Richter der Regierung unterstehen
- Gewalt im Gericht – und die brisante Reaktion aus Washington
- Ein System auf Kante mit realen Opfern
Ein Donnerstag in Manhattan – und ein Video, das die USA erschüttert
Für Millionen New Yorker beginnt der Tag wie immer, für Monica Moreta-Galarza endet er im Schock: Vor dem Einwanderungsgericht am 26 Federal Plaza wird ihr Ehemann von maskierten ICE-Beamten abgeführt. Als sie fleht, mitgehen zu dürfen, stößt ein Agent sie zu Boden, ihr Kopf prallt auf. „Cállate“, brüllt er. Die Szene wird gefilmt – und geht viral.
Der Vorfall steht exemplarisch für das, was Anwälte und Beobachter als neue Härte der Trump-Regierung im Einwanderungssystem beschreiben. Das Gericht, lange ein vergleichsweise sicherer Ort nüchterner Verfahren, ist zur Falle geworden.
Gericht als Falle: ICE fischt die Menschen vor den Saaltüren ab
Die Trump-Regierung baut einen milliardenschweren Abschiebekomplex auf – mit dem Ziel, täglich 3.000 Menschen festzunehmen. Nach Angaben des „Deportation Data Project“ entfielen im Großraum New York seit der Amtseinführung bis Ende Juli die Hälfte der 3.320 ICE-Festnahmen auf das Gebäude am 26 Federal Plaza. Wer hier zu einer Asylanhörung erscheint, kann nicht wissen, ob er wieder frei hinausgeht.
Die offizielle Rhetorik spricht von den „Schlimmsten der Schlimmen“. Die Daten erzählen anderes: In New York hatten rund drei Viertel der Festgenommenen keine Vorstrafen. Bundesweit sitzen mehr als 70 Prozent der Menschen in Abschiebehaft wegen ihres Status – nicht wegen Straftaten. Um Quoten zu erfüllen, geraten vermehrt auch US-Bürger ins Visier. Intern heißen sie „collaterals“.
So funktioniert die Operation – Listen, Masken, Treppenhäuser
Die Abläufe sind routiniert: Ab dem späten Vormittag lauern ICE-Teams vor den Saaltüren. Teamleiter tragen ausgedruckte Listen mit Foto und Namen. Nach der Anhörung schlagen die Beamten zu, führen die Betroffenen ins Treppenhaus, dann in eine kleine Zelle im Gebäude – von dort weiter in „Detention Center“ quer durchs Land. Eine Transfrau aus Venezuela, die sich Shakira nennt, wird binnen Minuten aus dem zwölften Stock abgeführt und tags darauf ins berüchtigte Louisiana-System verlegt – mehr als 2.000 Kilometer entfernt. Familien zerreißen, Partnerinnen und Kinder bleiben zurück.


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Angst, Aktivismus, Kirche: Wie New York reagiert
Vor dem Gericht dokumentieren Fotografen und Beobachter die Einsätze. Aktivistengruppen organisieren Schichten, demonstrieren, entwickeln Warn-Apps. Pastor Fabian Arias von der Saint Peters Church wird zum Notfallseelsorger auf Abruf. Er begleitet Moreta-Galarza ins Krankenhaus und vermittelt politischen Beistand: Der demokratische Kongressabgeordnete Dan Goldman sieht das Video und kündigt Nachforschungen an.
In Arias’ Gemeinde treffen sich Betroffene, berichten von Abschiebehaft, von schlechten Bedingungen in privaten Einrichtungen, in denen Insassen für einen Dollar am Tag arbeiten. „Dieses System ist gemacht, um Menschen zu brechen“, sagt ein junger Mann aus Kolumbien.
Der Fall Ortiz-Lopez: Freilassung – vorerst
Moreta-Galarzas Ehemann, Ruben Ortiz-Lopez, wird erst in eine Zelle im Gerichtsgebäude, dann nach Pennsylvania verlegt. Wochenlang weiß die Familie nicht, ob er freikommt. Ende Oktober wird Ortiz-Lopez nach einer Habeas-Petition nach New York zurückgebracht und freigelassen – vorläufig. Nach Abschluss der Überprüfung könnte ICE ihn erneut festnehmen.


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Aushöhlung des Rechtsstaats? Wenn Richter der Regierung unterstehen
Das Einwanderungsrecht ist strukturell nicht neutral: Immigration Judges sind Teil der Exekutive, werden vom Generalstaatsanwalt ernannt und können abberufen werden. In New York wurden laut Gewerkschaft mindestens sechs Richterinnen und Richter am 26 Federal Plaza entlassen – teils, weil sie Fälle nicht schnell genug abarbeiteten oder häufig zugunsten der Einwanderer entschieden. Richter David Kim, selbst Einwanderer aus Südkorea, gewährte in 96 Prozent seiner Fälle Asyl und will gegen seine Absetzung vorgehen. Sein Zweifel: Bekommen Menschen vor Einwanderungsrichtern noch ein ordentliches Verfahren?
Parallel ziehen Kanzleien Pro-Bono-Arbeit zurück – aus Sorge vor politischem Druck. Für viele Asylsuchende bedeutet das: kein Anspruch auf Pflichtverteidigung, wenig juristische Hilfe.
Gewalt im Gericht – und die brisante Reaktion aus Washington
Die Eskalation ist kein Einzelfall. Tage nach dem Angriff auf Moreta-Galarza landet ein Journalist im Krankenhaus, nachdem ein ICE-Beamter um sich schlägt. Als die Videos kursieren, reagiert das Department of Homeland Security ungewöhnlich schnell: Das Verhalten sei „inakzeptabel“, der Beamte – „Victor“ – wird vorläufig freigestellt, eine interne Prüfung gestartet. Doch aus Regierungskreisen wächst der Druck, ihn zurückzuholen. Nicht einmal zwei Wochen später ist Victor wieder im Einsatz.
Auch Präsident Donald Trump befeuert die Linie. Auf die Frage, ob ICE zu weit gehe, sagt er: „Ich denke, sie gehen noch nicht weit genug.“
Ein System auf Kante mit realen Opfern
Das 26 Federal Plaza ist zum Epizentrum einer Politik geworden, die Effizienz über Schutzrechte stellt: Listen statt Einzelfall, Masken statt Transparenz, Abschiebehaft statt rechtsstaatlicher Sicherheit. Zurück bleiben Familien wie die von Monica Moreta-Galarza und die Frage, wie viel Gewalt und Willkür ein Rechtssystem aushält.






