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Großebersdorf: Ein Dorf befreit sich

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Harald Mayer und Johannes Bayer

©Matt Observe/News
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Die Gemeinde Großebersdorf war jahrzehntelang Erbpacht zweier Familien, die als ÖVP-Bürgermeister vor allem eigene Interessen im Auge hatten. Bei der Gemeinderatswahl am Sonntag probierte die Bürgerliste „Gemeinsam für unsere Gemeinde“ den demokratischen Aufstand. Mit Erfolg

Großebersdorf im Weinviertel ist für zwei Dinge bekannt. Am Rande der 2.300-Einwohner-Gemeinde befindet sich ein Logistikzentrum des Internet-Großhändlers Amazon. Und hier sorgte vor einigen Jahren ein veritabler politischer Skandal für Aufsehen. Die mittlerweile eingestellte Recherche-Plattform Addendum berichtete vor genau fünf Jahren über „Das Meisterstück des Bürgermeisters“. Der damalige ÖVP-Bürgermeister und seine Vorgänger hatten Millionen verdient, in dem sie landwirtschaftlich genutzte Flächen in Wohngebiet umwandelten.

Die Veröffentlichung dieser Machenschaften zeigte Folgen. Bei der Gemeinderatswahl 2020 verlor die ÖVP fünf Mandate – und fiel von über 70 Prozent auf 48 Prozent. Der Bürgermeister musste wenige Wochen nach Veröffentlichung des Berichts zurücktreten.

Unzufriedenheit mit der Politik

Ein Sprung in die Gegenwart. Wahlsonntag. Gemeinderatswahl in Niederösterreich. Im alten, eigentlich vor Jahren geschlossenen Dorfgasthaus sind zig Menschen versammelt, alt und jung, und warten das Wahlergebnis gespannt ab. Es sind Mitglieder und Sympathisanten der Liste „Gemeinsam für unsere Gemeinde“. Einer Bürgerliste, die sich im letzten Jahr gebildet hat – als Antwort auf die Unzufriedenheit mit der Politik der letzten Jahre und Jahrzehnte.

Ein früherer ÖVP-Gemeinderat kandidiert für „GfG“, ein Ortsvorsteher, aber auch Menschen aus ganz anderen politischen Ecken. Etablierte und angesehene Mitglieder der dörflichen Gemeinschaft, die hier noch funktioniert und etwas wert ist, wenige Kilometer von der Wiener Stadtgrenze entfernt.

Die Veröffentlichung der Adden­dum-Recherche vor fünf Jahren wirkte wie ein Augenöffner für viele. Bis dahin galt das von dem früheren ÖVP-Politiker Ferry Maier geprägte Motto: „Hände falten, Goschen halten“. Unzufriedenheit mit den politischen Zuständen wurde nicht artikuliert. Es war eben immer schon so gewesen. Unvorstellbar, dass sich irgendetwas ändern könnte.

Frischer Wind

Das Gasthaus Gschwindl, direkt im Ortszentrum gelegen, war jahrzehntelang das soziale Zentrum von Groß­ebers­dorf. Der Ort, an dem man sich nach der Kirche traf, oder auf ein abendliches Bier. Es steht seit Jahren leer und verfällt, Schicksal vieler Landgasthäuser.

Aber seit einigen Wochen weht frischer Wind durch die alte Bude. Das Gasthaus ist Hauptquartier der Bürgerliste „GfG“. Große Tafeln sind an der Fassade montiert, im Fenster steht ein Bildschirm, auf dem Clips in Dauerschleife laufen. Im Vorraum ein Behälter mit Broschüren, darunter das fast 50-seitige Wahlprogramm. Spitzenkandidat der Bürgerliste ist der Unternehmer Johannes Bayer. Harald Mayer, einst selbst bei der ÖVP aktiv, leitet den überparteilichen Verein zur Förderung der Demokratie in Großebersdorf, der hinter der Bürgerliste steht.

Damals, als erstmals Licht in das Dunkel der Grundstücksgeschäfte der früheren Dorfkaiser kam, bewegte sich etwas in der Gemeinde, erzählen die beiden. „Erst durch diesen Skandal ist man ins Reden gekommen. Und hat auf einmal gemerkt, dass sich auch andere darüber Gedanken machen, was in der ÖVP schief läuft“, sagt Mayer. Schnell war klar, dass eine eigene Liste gegründet werden sollte. Der Zuspruch war von Anfang an groß. „Wir haben uns zuerst in einem kleinen Büro getroffen, dann in einem großen Büro und am Schluss mussten wir in eine Halle ausweichen,“ erklärt Mayer. Bei regelmäßigen Treffen wurden Ideen und Inputs der Gemeindebürgerinnen und -bürger eingesammelt. Das Ergebnis: 300 Seiten voller Reformvorschläge.

Nach denen noch nie zuvor jemand gefragt hatte. „Ideen wurden bisher einfach abgeschmettert. Vieles von dem, was in der Gemeinde passiert ist, hatte nur den Zweck, einer kleinen Machtclique zu nützen. Was die Bevölkerung will, hat niemanden interessiert.“

Ein wichtige Forderung der Bürgerliste ist konsequenterweise jene nach mehr Transparenz. Der Antrag, Gemeinderatssitzungen aufzuzeichnen und der Allgemeinheit zugänglich zu machen, wurden von der ÖVP bis dato immer abgelehnt. „Bisher ist immer alles serviert worden. Nach dem Motto: Das ist jetzt so, keine Diskussionen möglich“, sagt Spitzenkandidat Bayer. „Wir dagegen wollen die Leute in die Entscheidungsprozesse einbinden und rechtzeitig Feedback einholen.“

Bitter-süßes Ergebnis

Um 17 Uhr ist das Gasthaus gut gefüllt, mit Kandidaten, Freunden und Familie. Alle versammeln sich im Festsaal, als Johannes Bayer das Wahlergebnis verkündet: Acht Mandate für die neue Liste „Gemeinsam für Großebersdorf“. Zehn für die ÖVP, zwei für die FPÖ und eines für die SPÖ. Die Grünen verlieren alle vier Mandate. Ein bitter-süßes Ergebnis: Ganz hat es nicht gereicht, die jahrzehntelange Vormachtstellung der ÖVP Groß­ebersdorf zu brechen. Aber aus dem Stand fast 38 Prozent zu erreichen, das ist trotzdem bemerkenswert. Und im Hauptort Großebersdorf ist es gelungen, die ÖVP von Platz eins zu stoßen.

Mayer und Bayer wollen – egal, was bei den Koalitionsverhandlungen in den nächsten Woche herauskommt – weiter kämpfen und lästig bleiben. „Das Allerwichtigste ist, dass sie nicht mehr freien Handlungsspielraum haben“, sagt Johannes Bayer. „Sie kommen um uns jetzt nur mehr schwer herum.

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Kandidaten, Freunde und Familien feierten am Sonntag im Gasthaus Gschwind den Erfolg der „Gemeinsam für unsere Gemeinde“-Bürgerliste bei der Gemeinderatswahl.

 © Matt Observe/News

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr.05/2025 erschienen.

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