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Deutscher Bundestag beschloss umstrittene Pensionsreform

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Zwist in eigener Fraktion dürfte Merz nachdenklich gemacht haben
©APA, dpa, Kay Nietfeld
Der Deutsche Bundestag hat am Freitag die Unions-intern umstrittene Pensionsreform der Regierungskoalition aus CDU/CSU und SPD beschlossen. Dabei erreichte Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) die von ihm gewünschte, sogenannte Kanzlermehrheit von mindestens 316 Stimmen. Für die neue Haltelinie beim Rentenniveau bis 2031 und die Ausweitung der Mütterrente votierten namentlich 319 Abgeordnete, bei 225 Neins und 53 Enthaltungen. Auch eine Wehrdienst neu wurde beschlossen.

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Der Abstimmung über die Pensionsreform war ein wochenlanges Ringen in der Unionsfraktion vorausgegangen. Vor allem junge Abgeordnete hatten wegen der voraussichtlichen Milliardenaufwendungen zur Sicherung des Rentenniveaus mit einem Nein gedroht und damit eine eigene Mehrheit des Regierungsbündnisses infrage gestellt. Ob und wie viele Nein-Stimmen es aus der Unionsfraktion gab, ergibt sich erst aus dem am Nachmittag erwarteten Abstimmungsprotokoll.

Merz hatte am Donnerstagabend überraschend angekündigt, dass er für die Abstimmung die Kanzlermehrheit erwarte, also die absolute Mehrheit der Mitglieder des Bundestages. Diese ist nur in Ausnahmefällen erforderlich, etwa bei der Kanzlerwahl durch den Bundestag oder wenn ein Bundeskanzler die Vertrauensfrage stellt. "Wir haben 630 Abgeordnete im Deutschen Bundestag. Die Mehrheit ist 316", sagte Merz. "Wir haben 328. Und ich würde mir ein Ergebnis wünschen zwischen 316 und 328."

Damit hatte Merz klargemacht, dass sich die Koalition bei der Verabschiedung des Rentenpakets nicht vom Abstimmungsverhalten von Teilen der Opposition abhängig machen wollte. Für den Gesetzesbeschluss hätte die einfache Mehrheit der Abstimmenden gereicht. Die Schwelle dafür hatte die Linksfraktion durch ihre Ankündigung der Enthaltung deutlich gesenkt, sodass das Gesetzespaket auch bei zahlreichen Abweichlern in der Koalition eine Mehrheit gefunden hätte.

Das Rentenpaket sieht insgesamt eine Stabilisierung des Rentenniveaus, eine Ausweitung der sogenannten Mütterrente sowie die Einführung einer sogenannten Aktivrente vor, die Anreize für eine längere Lebensarbeitszeit schaffen soll. Auch die Stärkung der betrieblichen Altersvorsorge wurde angenommen.

Kern des Pakets ist eine Haltelinie, die die Pensionshöhe bis zum Jahr 2031 bei mindestens 48 Prozent eines Durchschnittslohns sichern soll. Zudem werden die Kindererziehungszeiten für vor 1992 geborene Kinder um sechs Monate auf drei Jahre angehoben, was die derzeitige monatliche Rente pro Kind um rund 20 Euro erhöht. Davon profitieren sollen rund zehn Millionen Eltern. Die neue Aktivrente soll es Ruheständlern ermöglichen, bis zu 2000 Euro monatlich steuerfrei hinzuzuverdienen, wenn sie weiterarbeiten. Auch die betriebliche Altersvorsorge wird gestärkt.

Die Finanzierung der Reformen ist mit hohen Kosten verbunden. Allein die Haltelinie und die Mütterrente belasten den Bundeshaushalt den Berechnungen zufolge bis 2039 mit insgesamt fast 185 Milliarden Euro. Die Kosten sollen der Rentenversicherung vollständig aus Steuermitteln erstattet werden. Vor allem die Junge Gruppe der Unionsfraktion hatte die Belastung für den Haushalt nach 2031 kritisiert.

Nach monatelangem Ringen wurde auch ein neuer Wehrdienst zur Stärkung der Bundeswehr beschlossen. Vorgesehen ist eine massive Aufstockung der Streitkräfte möglichst auf freiwilliger Basis, wie das am Freitag beschlossene Gesetz vorsieht. Bei fehlenden Rekruten kann aber nach einem weiteren Gesetzesbeschluss später eine Pflicht greifen. Die besonders strittige Frage, wen eine Zwangseinberufung trifft und wie sie fair gestaltet wird, soll erst geklärt werden.

Der Bundesrat, die zweite Kammer des Parlaments, muss dem Vorhaben noch zustimmen. Das Gesetz soll ab Jänner 2026 greifen. Die frühere Wehrpflicht wurde 2011 ausgesetzt.

Verteidigungsminister Boris Pistorius sprach vor dem Votum vor dem Bundestag von einem entscheidenden Schritt für die Verteidigungsfähigkeit. Um das Gesetz sei gestritten worden, man habe es sich nicht leicht gemacht, räumte er ein. Auch die am Freitag ausgerufenen Schülerstreiks gegen den Wehrdienst zeigten dies. "Das ist eine Diskussion, die notwendig ist." Der Dienst solle zunächst freiwillig sein, klar sei aber auch: "Wenn es nicht reicht, werden wir um eine Teil-Wehrpflicht nicht umhinkommen", sagte der SPD-Politiker. "Dieses Land, diese Demokratie verdient es." Mit Blick auf den Widerstand etwa bei den Linken betonte er: "Unsere Bundeswehr schützt auch die, die sie nicht ausrüsten wollen."

Ziel des Gesetzes ist, dass die Zahl der aktiven Soldaten bis 2035 von 183.000 auf 255.000 bis 270.000 steigt. Dazu sollen 200.000 Reservisten kommen. Anlass ist die verschärfte Bedrohungslage seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine. Derzeit könnte von ihnen etwa die Hälfte zur Verfügung stehen. Das Gesetz legt Zielkorridore für den Personalzuwachs fest und unterscheidet zudem zwischen aktiver Truppe und Freiwilligen. Letztere müssen mindestens sechs Monate dienen, was aber nur für den Heimatschutz und Bewachungsaufgaben ausreicht. Sie sollen später vor allem die Reserve stärken. Die aktive Truppe ist direkt kampfbereit und muss länger ausgebildet werden. Das Verteidigungsministerium muss dem Parlament aufgeschlüsselt die Zahlen der Freiwilligen ab 2027 alle sechs Monate vorlegen.

Reichen sie nicht aus, kann per Bundestagsbeschluss die sogenannte Bedarfswehrpflicht ausgerufen werden. Dann ist auch eine zwangsweise Musterung und Einberufung möglich. Die Details dazu sollen in einem Extra-Gesetz ausgearbeitet werden. Das Gesetz sieht zunächst die Wiedereinführung der Wehrerfassung vor. Alle 18-Jährigen erhalten einen Fragebogen zu Motivation und Eignung, dessen Beantwortung für Männer verpflichtend ist. Ebenso wird die Musterung für alle Männer, die ab Jänner 2008 geboren wurden, wieder zur Pflicht. Um möglichst viele für einen freiwilligen Dienst zu gewinnen, sind Anreize wie eine monatliche Vergütung von rund 2.600 Euro brutto und ein Zuschuss zum Führerschein vorgesehen. Bereits mit dem Anschreiben soll bei jungen Menschen auch etwa für soziale Freiwilligendienste geworben werden.

In einem ersten Anlauf der Koalition im Oktober kam es in der SPD-Fraktion noch zum Eklat, da Teile der Fraktion und auch Verteidigungsminister Pistorius selbst das Konzept einer Arbeitsgruppe aus Union und SPD abgelehnt hatten. Strittig war besonders die Frage, wie zwangsweise ausgewählt wird, wenn sich nicht genug Freiwillige für die Vergrößerung der Bundeswehr finden.

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