Eine Meldung des Standard in eigener Sache zeigt erstens, dass die Kreml-Literatur, die unfreiwillige Reisen nach Sibirien als Weiterbildung anpreist, noch nicht tot ist. Und zweitens, dass es uns Medien wirklich schlecht geht.
Dass es den Medien im Allgemeinen und den Zeitungen im Speziellen nicht mehr besonders gut geht, weiß ich bereits seit einer Weile, ich kenne auch einige Gründe dafür aus eigener Anschauung. Ich rechne also, was die Medien und ihre Entwicklung betrifft, seit Längerem mit dem Schlimmsten.
Aber damit habe ich nicht gerechnet: Die Tageszeitung Der Standard kündigte ihren nächsten großen Schritt bei der Einsparung von Personalkosten – 25 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen abgebaut werden – im eigenen Medium mit einem nachrichtlichen Artikel an, der den Titel „STANDARD: Klarer Kurs für die Zukunft“ trug. Untertitel: „DER STANDARD adaptiert seine Strukturen und investiert in digitalen Qualitätsjournalismus“.
Auch der Rest des Artikels ist eine eigentlich atemberaubende Mischung aus Business-Bullshit-Phrasen und Orwell’schem „Neusprech“. Ihren Negativhöhepunkt fand diese Art der sprachlichen Niedertracht übrigens in den erfolgreichsten Phasen der Sowjetunion, in denen man das Verschwindenlassen politisch Unliebsamer in den Weiten Sibiriens in offiziellen Mitteilungen zum großzügigen Fortbildungsprogramm umdeutete, einer Art langfristigen Bildungskarenz mit Outdoor-Charme.
Klarheit eliminieren
Damit hier kein falscher Eindruck entsteht: Ich habe in der Vergangenheit bereits selbst an solchen Mitteilungen mitgewirkt und bin nicht stolz darauf. Es gehört oftmals zu den eisernen Regeln der Unternehmenskommunikation, jede Form von Klarheit, Empathie oder auch nur Alltagsanschlussfähigkeit solcher Texte radikal zu eliminieren. Aufgestellt werden diese Regeln von Beratern, die dafür bezahlt werden, die Wirklichkeit so gut es geht zu verschleiern, was ihnen nicht schwerfällt, weil ihr letzter Kontakt mit einer Wirklichkeit, die als Gegenüber echte Menschen mit echten Gedanken und Gefühlen inkludiert, lange genug zurückliegt.
Deshalb erscheinen solche Textmachwerke in der Regel auch nur in sogenannten Branchenmagazinen, in denen sie nicht redaktionell bearbeitet werden müssen, weil es so etwas wie redaktionelle Bearbeitung dort nicht gibt. Kreml-Literatur ungekennzeichnet auf der eigenen Nachrichtenseite abzufeiern und dabei auch noch von Haltung und Qualitätsjournalismus zu fabulieren, ist aber eher grenzwertig, möchte ich meinen.
Ich könnte es verstehen, wenn Sie jetzt den Verdacht hegen, es ginge mir um das Schlechtmachen von Konkurrenten. Ich bin mir sicher, dass auch die Kolleginnen und Kollegen im News-Verlag, so wie ich, schon Pressemitteilungen zu unternehmerischen Maßnahmen verfasst oder mitverfasst haben, die man später nicht in den Literaturalmanachen finden wird. Nein, es geht nicht um das Schlechtmachen von Konkurrenten, es geht um die Frage, was uns alle so kaputt gemacht hat. Kurz gefasst könnte man sagen: das Internet.
Uns Medien geht es schlecht. Wir sollten unseren Untergang nicht auch noch beschleunigen
Ich hatte am vergangenen Wochenende eine interessante Konversation mit der österreichischen Schriftstellerin Eva Menasse („Dunkelblum“), ihrem Kollegen Martin Prinz („Die letzten Tage“) und dem ehemaligen Burgtheaterdirektor Martin Kusej. Unser Thema – das Gespräch fand im Rahmen des Thomas-Bernhard-Festivals „Verstörungen“ statt – waren die „Jagdgesellschaften“, die sich, angetrieben durch die Empörungsdynamiken der Sozialen Medien, mit unglaublicher Geschwindigkeit zusammenfinden und Verheerungen in individuellen Psychen und in der kollektiven Kommunikationskultur anrichten.
Was hat nun eine sowjetisch anmutenden Pressemeldung, die als redaktioneller Artikel daherkommt, wieder mit den Hetzjagden des digitalen Mobs zu tun? Nicht wenig, würde ich meinen. Ich teile die Auffassung des Tübinger Medienwissenschafters Bernhard Pörksen, dass die irren Empörungsdynamiken und die Dauergereiztheit der Öffentlichkeit wenn überhaupt, dann nur durch die Etablierung eines Bewusstseins dafür eingehegt werden können, dass wir in einer „redaktionellen Gesellschaft“ leben. Wenn jeder Konsument von Information und Unterhaltung potenziell – und tatsächlich – auch zum Produzenten von Information und Unterhaltung wird, kann das nur gutgehen, wenn sich alle diese Konsumentenproduzenten an einige der redaktionellen Grundregeln halten, deren einfachste und erste gleichzeitig die wichtigste ist: Erst denken und fragen, dann tippen.
Produzenten und Publikum sind einander, mit allen Vor- und Nachteilen, durch die digitalen Technologien nähergekommen und teils eins geworden. Allerdings zeigt sich immer öfter, dass das Ergebnis davon eben nicht die Etablierung einer „redaktionellen Gesellschaft“ gewesen ist, sondern eine Sozialmedialisierung der Redaktionen. Wie soll man sich für einen verantwortungsvolleren Umgang der Nichtjournalisten mit Textsorten und Veröffentlichungsmodalitäten starkmachen, wenn gleichzeitig professionelle Redaktionen immer öfter und stärker so agieren, als wären sie eine Gang von Social-Media-Provokateuren? Journalisten werden darauf vorbereitet, die zielgerichtete Kommunikation von Unternehmen und Institutionen zu hinterfragen, einzuordnen oder sie, als Mindeststandard, mit dem Distanzholz des Zitats zu versehen. Wie soll jemand mit der Propaganda von Dritten angemessen umgehen, wenn er die eigene Propaganda in der „unabhängigen“ Berichterstattung untergehen lässt?
Uns Medien geht es schlecht. Wir sollten unseren Untergang nicht auch noch beschleunigen.
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Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 39/2025 erschienen.