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Anton Mattle: „Es gibt eine große Verunsicherung in der Gesellschaft“

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15 min
28.09.2022, Landhaus, Büro Mattle, Innsbruck, AUT, Tiroler Landtagswahlen 2022, Erstgespäche, im Bild Anton Mattle (ÖVP) // Anton Mattle (ÖVP) after the Tyrolean state elections 2022 in Landhaus, Büro Mattle in Innsbruck, Austria on 2022/09/28. EXPA Pictures © 2022, PhotoCredit: EXPA/ Johann Groder -

©Johann Groder / EXPA / picturedesk.com

Tirols Landeshauptmann Anton Mattle erklärt, warum Sparen allein nicht reicht und wo sich Länder und Bund besser verzahnen müssen. Ein Gespräch über Reformwillen, gesellschaftliche Verantwortung und Optimismus in Krisenzeiten.

Herr Mattle, wie bewerten Sie die Forderungen der Bundesregierung nach stärkeren Sparmaßnahmen auch auf Länderebene?

Sparen ist definitiv ein Gebot der Stunde. In den Diskussionen mit Bürgerinnen und Bürgern stelle ich immer wieder fest, dass die Botschaft, dass der Gürtel der öffentlichen Hand etwas enger zu schnallen ist, in der Gesellschaft angekommen ist. Die Schwierigkeit dabei ist, dass die Wirtschaft nicht so wirklich in Schwung kommt. Es gibt eine große Verunsicherung in der Gesellschaft. Die Leute verdienen großteils ein ordentliches Geld, sind aber verhalten im Ausgeben. In Tirol haben wir bereits vor zwei Jahren zu sparen begonnen. Wir versuchen, unseren Beitrag zu leisten. Mein Ziel ist es, dass es uns gelingt, keine neuen Schulden mehr zu machen. Wir arbeiten an einem Doppelbudget, und wir schauen darauf, dass der Schuldenberg für die nächste Generation nicht größer wird.

Wo kann man leicht sparen – und wo nicht mehr?

Leicht sparen gibt es nicht. Überall dort, wo man den Sparstift ansetzt, gibt es Gegendruck. Wir sparen im System und wollen die Mitarbeiterzahl in der Verwaltung reduzieren. Es gibt keinen Aufnahmestopp, aber die eine oder andere Stelle wird es nicht mehr brauchen und dementsprechend nicht mehr nachbesetzt. In drei Jahren sind das in etwa 240 eingesparte Arbeitsplätze. Wir schauen, ob die eine oder andere Förderung noch notwendig ist. Vorsichtig sind wir dort, wo es um die Aufrechterhaltung von Strukturen geht. Denn Strukturen aufzubauen, ist immer mit einem großen Aufwand verbunden.

Bei der jüngsten Landeshauptleutekonferenz wurde eine Reformpartnerschaft in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Energie vereinbart. Was soll die Reformpartnerschaft konkret bringen?

Ich kenne die Unkenrufe, dass bei Reformprozessen bislang nichts passiert ist. Natürlich hat es schon immer Partnerschaften zwischen Land und Bund gegeben, wenn es um Kompetenzentflechtungen gegangen ist. Aber dass man bei der Gemeinde beginnt, den Städtebund, die Bundesländer und den Bund mitnimmt, ist von der Dimension her größer. Über Bildung und Gesundheit wurde immer geredet. Neu ist der Themenbereich Energie. Es muss das Ziel sein, dass wir alle einen Beitrag zur Energiewende leisten. Denn wenn wir uns gut aufstellen, werden die Abhängigkeiten geringer, das zahlt auf die Standortsicherheit und Arbeitsplätze ein. Ich habe aus den ersten Gesprächen mitgenommen, dass es in allen Körperschaften die Bereitschaft gibt, Reformen anzugehen und damit auch einzusparen.

Die Botschaft, dass der Gürtel der öffentlichen Hand etwas enger zu schnallen ist, ist in der Gesellschaft angekommen

ABD0006_20230806 - INNSBRUCK - ÖSTERREICH: Tirols Landeshauptmann Anton Mattle (ÖVP) am Donnerstag 4. August 2024, im Rahmen eines Interviews mit der APA-Austria Presse Agentur in Innsbruck. - FOTO: APA/EXPA/JOHANN GRODER - 20230803_PD12641 - Rechteinfo: Rights Managed (RM)

 © EXPA / APA / picturedesk.com

Können Sie ein Beispiel nennen?

Aus der Nachkriegszeit kommt noch die Struktur, wie Bildung in Österreich bzw. in den Ländern aufgesetzt ist. Es gibt einen einheitlichen Bildungsplan und die Finanzierung – zumindest der Grundausbildung – über den Bund. Das hat sich in den letzten Jahren ein Stück weit verändert. Ein Beispiel: Uns ist es wichtig, Kleinschulen zu erhalten. Wenn wir in Kleinschulen Lehrpersonen entsenden, sind sie von der Landeskasse zu bezahlen. Pädagogische oder schulische Assistenten müssen von den Gemeinden bezahlt werden. Diese pädagogischen Assistenten wieder eindeutig dem Bund zuzuordnen und die Gemeinden damit zu entlasten, wäre eine klare Bereinigung in der Struktur.

Das Finanzausgleichssystem ist komplex und wenig transparent. Ökonomen fordern eine stärkere Abgabenautonomie der Länder und eine klare Zuordnung von Finanzierungsverantwortung. Gehen Sie mit?

Es ist vielen in der Bevölkerung gar nicht bewusst, dass die Bundesländer gar keine eigenen Steuereinnahmen haben. Es haben die Gemeinden Steuereinnahmen, zum Beispiel die Grundsteuer oder die Kommunalsteuer. Aber Mehrwertsteuer und Abgaben fallen dem Bund zu und werden über den Finanzausgleich verteilt. Finanzausgleichsverhandlungen sind immer komplex. Wir haben uns darauf verständigt, dass wir schon jetzt – obwohl der nächste Finanzausgleich erst im Jahr 2028 ansteht – mit einer Arbeitsgruppe die Themen von Grund auf aufarbeiten. Es hat immer wieder Rufe der Bundesländer nach mehr Steuerautonomie gegeben. Aber wenn es nicht nennenswerte Steuererträge für die Länder gibt, macht das keinen Sinn. Österreich ist ein Neun-Millionen-Einwohner-Land. Es ist gut, wenn gewisse Dinge vom Bund organisiert sind und die Steuermittel fair und gerecht verteilt werden – etwa im Bereich der Gesundheitsversorgung. Es kommt darauf an, dass jene Ebene, die die Aufgaben erfüllt, auch mit ausreichend finanziellen Mittel ausgestattet ist.

Warum soll das diesmal gelingen?

Weil wir rechtzeitig anfangen und nicht erst ein halbes Jahr, bevor man eigentlich ein Ergebnis präsentieren muss. Und weil es mit ernsthaften Reformen verknüpft ist.

Wie gelingt die Balance zwischen Sparen und Investieren?

Es gibt eine große Verantwortung, darauf zu achten, dass in Österreich keine Deindustrialisierung stattfindet.

Sie hoffen auf eine „günstige politische Konstellation“ für die Reformen. Wie bewerten Sie die Zusammenarbeit zwischen der Regierung und den Ländern in diesen kritischen Zeiten?

In der Dreierkoalition liegt eine Chance. Man hat eine verlässliche Mehrheit. Positiv stimmt mich, dass die Wirtschaftsforscher in diesen Tagen davon ausgehen, dass die Rezession zu Ende ist – vielleicht gibt es sogar ein geringes Wirtschaftswachstum, zumindest in Tirol. Tirol profitiert vom starken Tourismus, der gut reüssieren kann. Und nachdem große Teile der österreichischen Wirtschaft ganz wesentliche Partner von Deutschland sind, erhoffe ich mir von den 500 Milliarden, die hier in die deutsche Infrastruktur investiert werden, auch positive Effekte in Österreich.

Sie sind nicht der Einzige, der hofft, dass für Österreich ein doch größeres Stück vom Kuchen übrig bleibt …

Wir kennen das Zitat: Wenn die deutsche Wirtschaft hustet, dann hat die österreichische Wirtschaft eine Lungenentzündung. Ganz so dramatisch sehe ich das nicht. Aber wir hängen stark voneinander ab. Ich gehe davon aus, dass durch das Anspringen der deutschen Wirtschaft ein Aufwind für ganz Europa entsteht.

Wie fällt Ihre 100-Tage-Bilanz zur neuen Bundesregierung aus? Reicht es, erfrischend langweilig zu sein, wie ja oft jetzt in letzter Zeit diese mediale Zuschreibung ist?

Die Formulierung ist wunderbar. Es geht darum, erfrischend, aber nicht populistisch zu sein. Nach vorne zu blicken und gleichzeitig Stabilität zu garantieren.

Sind Sie froh, dass es nicht zu einer FPÖ-ÖVP-Regierung gekommen ist?

Generell war es nach mehr als 100 Verhandlungstagen wichtig, dass sich eine Bundesregierung zusammengefunden hat. Ich finde es sehr charmant, wenn bei einer Dreierkoalition mit Volkspartei und NEOS zwei Parteien mit dabei sind, die eine hohe Wirtschaftsaffinität haben – und dazu einen Partner mit der Sozialdemokratie, mit dem ich in Tirol sehr gute Erfahrungen mache.

Wie sicher sind Tirols Schulen?

Ich mache mir natürlich Gedanken darüber, wie wir Sicherheit im Land und in Schulen bestmöglich garantieren können. Wir sind ein sicheres Land. Es ist gut, dass die Bundesregierung ein Maßnahmenpaket beschlossen hat – Stichwort Waffengesetz, Schulpsychologie und Schulsozialarbeit. Der Attentäter von Graz hatte die Schule schon Jahre hinter sich. Es gibt Menschen, die sich von der Familie, am Arbeitsplatz und vom Freundeskreis abkoppeln. Auf diese – und wir kennen alle solche Menschen – müssen wir auch im Sinne von Zivilcourage schauen und auf sie zugehen. Ich würde die Gesellschaft hier ein Stück weit in die Verpflichtung nehmen.

Was kann die Politik tun?

Die Maßnahmen, die jetzt beschlossen wurden, kann man auch Anlassgesetzgebung nennen. Aber es war dringend notwendig, zu reagieren. Wir müssen aber als Gesellschaft wieder näher zusammenrücken. In der Politik geht es auch um die Abrüstung der Sprache. Natürlich in der Sache hart diskutieren, um den besten Weg für unser Land zu suchen. Aber in Summe sollte nicht der Eindruck entstehen, dass nur gestritten wird. Das sind die Signale, die die Politik in Richtung Gesellschaft abgibt.

Schulen mehr abzusichern, was reflexartig eine Antwort auf den Amoklauf war, davon halten Sie nichts?

Es braucht ein Mindestmaß an Absicherung. In viele Schulen und Kindergärtenkommt man nur kontrolliert hinein. Es braucht Sorgfalt, es braucht Kontrolle, aber bitte nicht die Schulen als abgeschlossene und isolierte Einheiten oder gar als Gefängnisse.

Kommt man in Österreich zu schnell an Waffen?

Waffen erst ab dem 25. Lebensjahr, ist eine sehr intelligente Lösung. Das kann dazu beitragen, dass man mit Waffen verantwortungsvoller umgeht. Allein die Tatsache, dass in den letzten fünf Jahren in Österreich die Zahl der Waffen stark zugenommen hat, gibt mir zu denken. Jede Waffe, die nicht getragen wird, bildet auch keine Gefahr. Für mich persönlich gilt: Ich lebe 62 Jahre lang gut und sicher ohne Waffe.

Jede Waffe, die nicht getragen wird, bildet auch keine Gefahr

Warum glauben Sie müssen so viele Österreicherinnen und Österreicher eine Waffe besitzen?

Das erschließt sich mir nicht. Nachvollziehbar sind für mich nur jene Gruppen, denen es wirklich zusteht, dass sie eine Waffe tragen – Polizisten, Jäger oder Sportschützen etwa.

Ist der Anstieg beim Waffenbesitz ein stiller Vertrauensentzug gegenüber dem Staat?

Definitiv ist ein Stück weit das Vertrauen verloren gegangen – in den Staat selbst oder aufgrund der geopolitischen Lage. Dass Kriegsschauplätze viel näher sind, mag auch ein Grund dafür sein, warum Menschen dazu neigen, sich um eine Waffe zu bemühen.

Sie gelten als ein sehr positiver Mensch. Wie halten Sie sich Ihren Optimismus aufrecht?

Ich lade meine Akkus immer in persönlichen Gesprächen mit den Menschen auf, die viel Positives über unser Land berichten. Die Tiroler wissen, dass wir in einem wunderbaren und in einem sicheren Land leben. Und ich habe als Unternehmer gelernt, dass es die Aufgabe von Verantwortungsträgern ist, den Menschen eine Perspektive zu geben. Das gelingt nur, wenn man selbst auch einen optimistischen Zugang hat.

Würden Sie sich wünschen, dass mehr ein Ruck durchs Land geht?

Als wir endlich eine Bundesregierung hatten, ist ein Ruck durch das Land gegangen. Es gibt genug Menschen im Land, die nicht jammern, sondern zurecht davon ausgehen, dass jetzt wieder in die Hände gespuckt wird.

Schaffen wir das alles?

Ich wünsche allen, die Verantwortung tragen, den Optimismus, den ich tagtäglich in mir trage.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 27/25 erschienen.

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