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Antisemitismus: Hass kennt keinen Waffenstillstand

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Peter Sichrovsky

©Bild: News/Ricardo Herrgott

Über zwei Jahre nach dem Hamas-Massaker reflektiert Peter Sichrovsky, wie sich sein Leben und sein Verhältnis zu seiner jüdischen Identität verändert haben. Zwischen Solidarität, Schuldzuweisung und Selbstbehauptung beschreibt er den Versuch, im Wellengang des Antisemitismus nicht unterzugehen.

Am 7. Oktober, dem Jahrestag des Massakers der Hamas, blieb ich zu Hause, sah mir Staffel 9 der ORF TV-Serie Schlosshotel Orth an. Die hatte ich übersehen beim Herumkramen in alten TV-Serien. Nachrichten versuchte ich auszuweichen, als ein Freund anrief und fragte, ob ich zu einer Diskussion kommen würde. Ich suchte nach Ausreden. Er unterbrach mich: „Ich verstehe, wenn du nicht kommst, du brauchst dich nicht zu verteidigen.“ Doch Verstecken half nicht. Ausgerechnet Schlosshotel Orth erinnerte mich, wie sehr sich mein Leben in den letzten zwei Jahren verändert hatte.

In einer Episode konfrontiert eine Frau, die ihren Urlaub im Hotel verbringt und ihren Ehemann verloren hatte, einen anderen Gast, dessen Ehefrau gestorben war. „Mach dich nicht zum Opfer, du lebst, sie ist tot“, sagte die Witwe zum Witwer und lud ihn zu einer Bootsfahrt ein, statt verzweifelt im Zimmer zu sitzen. Der Satz unterbrach meinen Fluchtversuch. „Macht mich nicht zum Opfer“, ging mir durch den Kopf, „Opfer waren meine Eltern, Überlebende des Holocaust.“

Konfrontation

Als unbezahlter Vertreter Israels stößt man mich in meine Herkunft. Wo stehst du? Bei den Opfern in Gaza oder den Faschisten in Israel? Bei den Terroristen in Gaza oder Israel, den Verteidigern der Zivilisation. Man weiß nie, mit welcher Frage man konfrontiert wird. Nur eines ist sicher – die Konfrontation, die Verantwortlichkeit. Das Publikum verlangt meine Entscheidung: Bist du aufseiten der Opfer oder der Täter? Angriffe auf Israelis, Juden und jüdische Einrichtungen drängen mich seit zwei Jahren zu vorauseilender Zurückhaltung in Bezug auf mein Judentum. Bin ich also doch Opfer? Oder klammheimlich begeistert aufseiten der Täter?

Israel hat Hisbollah ausgeschalten, die Nord-Israel zerschossen und unbewohnbar machte. Israel hat das Assad-Regime beendet, das jeden Friedensvertrag abgelehnt hatte. Israel hat den Iran, dessen erklärtes Ziel die Vernichtung Israels ist, durch Bombardierung geschwächt, die Führung durch Unterwanderung des Systems bloßgestellt. Israel hat Hamas weitgehend vernichtet, die meisten ihrer Führer getötet.

Diaspora

In Israel würde ich mit Freunden und Verwandten für Neuwahlen demonstrieren. Im Dschungel der Diaspora mit geduldetem Hass gegen Juden, der sich mit Waffenstillstand und Befreiung der Geiseln nicht ändern wird, zwingt man mich in die Solidarität. Es tut mir leid, auch ich finde das Leid der Bevölkerung in Gaza erschreckend, so wie die Hungersnot im Sudan und die Ermordung der Christen im Kongo – doch ich werde nicht zulassen, dass das Publikum mit situativer Willkür zu Gaza mich zum Opfer oder Täter macht – das bin ich meinen Eltern schuldig.

Vor vielen Jahren an einem Strand in Mexiko zeigte mir ein Surfer, wie man selbst bei hohem Wellengang hinaus aufs Meer schwimmen könnte. „Du musst durchtauchen, im richtigen Moment, und nicht versuchen, über die Welle zu springen“, erklärte er mir. Wir werden versuchen, durchzutauchen und den hohen Wellengang des Antisemitismus überwinden, bis sich das Meer wieder beruhigt. Und hoffentlich dabei nicht ertrinken.

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Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 42/2025 erschienen.

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