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Antisemitismus in 2025: Ein ganz reales Problem

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Auf Demos und im Netz kursieren anti-israelische Parolen. Oft unhinterfragt.

©IMAGO / ZUMA Wire

„From the river to the sea“: Jugendliche nutzen gerne einmal Parolen, die auf Social Media im Trend liegen, ohne zu hinterfragen, wofür diese stehen – für die Auslöschung des jüdischen Staates Israel. Gleichzeitig fühlen sich jüdische Schüler und Schülerinnen in einem Umfeld, in dem sie ständig für das, was derzeit in Gaza passiert, verantwortlich gemacht oder sogar antisemitisch attackiert werden, nicht mehr wohl. Wie reagiert das System Schule?

„Über die Antisemitismus-Meldestelle der IKG Wien sind uns besonders nach dem 7. Oktober 2023 viele Vorfälle von antisemitischen Übergriffen an Schulen bekannt“, sagt der Generalsekretär der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, Benjamin Nägele. „Diese reichten von verbalen Übergriffen und Mobbing bis hin zu Angriffen.“ Manche Familien hätten sich daher entschieden, ihre Kinder in jüdische Schulen zu geben, um sie zu schützen.

Daniel Brandel ist der Geschäftsführer der jüdischen Zwi-Perez-Chajes-Schule. Er bestätigt, dass es in den vergangenen eineinhalb Jahren immer wieder Anfragen von Familien gab, die einen Schulwechsel überlegten. „Manche haben ihr Judentum an der öffentlichen Schule nicht offen gezeigt, hatten das Gefühl, dass man es aber dennoch weiß und daraus ist ein Unsicherheitsgefühl entstanden. Einige Kinder, die inzwischen die ZPC-Schule besuchen, waren aber auch ganz offen mit Antisemitismus und tätlichen Angriffen konfrontiert.“ Bisher hätten rund zehn jüdische Kinder und Jugendliche an die ZPC-Schule gewechselt.

Die Mutter der 16-jährigen Esther (Name von der Redaktion geändert, Anm.) hat sich für ihre Tochter für den ebenfalls jüdischen Lauder-Chabad-Campus im Augarten entschieden. Bis zu diesem Sommer besuchte die Schülerin ein öffentliches Gymnasium in der Leopoldstadt. Sie sei zwar nicht antisemitisch attackiert worden, dennoch habe sich nach dem 7. Oktober 2023 – dem Überfall der Hamas auf Israel – stimmungsmäßig viel verändert. An der Schule gebe es viele muslimische Jugendliche – „Free Palestine“ sei allgegenwärtig.

Schwierige Unterrichtsstunden

Ein Gespräch mit dem grundsätzlich sehr bemühten Klassenvorstand führte dazu, dass die Geschichtslehrerin beauftragt wurde, eine Stunde zum aktuellen Konflikt in Gaza zu halten. „Sie ist leider komplett unvorbereitet in die Klasse gegangen und hat das Thema aufgemacht. Die muslimischen Jugendlichen sind dann mit ihren fake facts angetreten und haben sie in Grund und Boden diskutiert. Das ist dann ausgeartet, die Lehrerin hat resigniert und das Thema nie wieder aufgemacht.“ Ihr Eindruck sei gewesen: Für eine Schule mit vielen muslimischen Schülern ist es schwierig, das Thema adäquat zu behandeln, so die Mutter. Daher weiche man lieber aus. Sie plädiert dafür, dass sich Schulen hier professionelle Unterstützung von außen holen. Ihre Tochter habe sich in diesem schulischen Umfeld jedenfalls nicht mehr wohlgefühlt. Ihre letzten beiden Schuljahre wird sie daher bei Chabad absolvieren.

Die 19-jährige Studentin Dana (Name von der Redaktion geändert, Anm.) sagt im Rückblick: Sie habe ihr Maturajahr nach dem 7. Oktober irgendwie durchgestanden. „Noch solch ein Jahr hätte ich aber nicht ertragen.“ Sie sei mit verbalen Attacken, aber auch Einschüchterungen und Drohungen konfrontiert gewesen. Was sie besonders frustriert habe: „Von den Lehrpersonen wurde das dann behandelt wie persönliches Mobbing. Ich hätte mir gewünscht, dass klar benannt wird, dass das Antisemitismus ist und dass das nicht geht.“

Antisemitismus fällt aber auch an Schulen auf, an denen es gar keine jüdischen Schüler gibt. Die Direktorin einer Volksschule in Wien-Ottakring, ihren Namen will sie nicht gedruckt sehen, erzählt: Immer wenn es Nachrichten über Vorfälle in Palästina gebe, sei das Thema in den Klassenzimmern. Da sei dann auch schon von Sechsjährigen zu hören, „dass Juden sterben sollen“. Geäußert werde das dann beispielsweise im Morgenkreis.

Schwierige Eltern, stille Behörden

Sie versuche seit einigen Jahren, mit einem „Weltreligionenprojekt“, das jeweils in der dritten Klasse durchgeführt werde, gegenzusteuern. Da sei sie dann aber damit konfrontiert, dass viele Eltern ihre Kinder nicht an dem Besuch in einer Kirche oder im Stadttempel teilnehmen ließen. Just im Rahmen dieses Projekts habe einmal ein Bub gemeint, „dass Mohammed am Sterbebett gesagt hat, dass der jüngste Tag erst kommen wird, wenn der Krieg gegen die Juden gewonnen ist“. Dieses Zitat beziehe sich übrigens auf eine Stelle in den Hadithen, so die Schulleiterin. Die Hadithen sind Überlieferungen über Worte und Taten des Propheten Mohammed, sie sind eine wichtige Quelle im Islam.

Von den Schulbehörden fühlt sich die Volksschuldirektorin ziemlich alleine gelassen. Allerdings hätten viele Kinder ein großes Packerl zu tragen, und es gebe weder Sozialarbeit noch eine Schulpsychologin oder Beratungslehrerin. Trotz Zusage solcher Ressourcen ließen sich keine Personen dafür finden, sagt sie.

Im Bildungsministerium wird seit vielen Jahren betont, man tue alles, um Antisemitismus an Schulen entgegenzuwirken. Auch der jetzige Bildungsminister Christoph Wiederkehr von den NEOS sagt klar: „Antisemitismus hat an unseren Schulen keinen Platz.“ Unter seinem Vorgänger Martin Polaschek (ÖVP) beauftragte das Ministerium das Institut für Konfliktforschung (IKF) mit der Durchführung einer Studie zu Antisemitismus in der Schule. Die Ergebnisse werden kommenden November präsentiert. Dann wird es auch eine Handreichung für alle Schulen geben, wie sie im Anlassfall adäquat reagieren können.

Verbale Attacken und Hassrede überwiegen, in seltenen Fällen kommt es auch zu tätlichen Angriffen

Karin Liebhart

Empfehlungen für Lehrende

Wie die konkreten Empfehlungen aussehen, darüber darf Studienleiterin Karin Liebhart vor Abschluss des Projekts keine Auskunft geben. Erste Zwischenergebnisse vom Herbst 2024 zeigten jedoch, dass die interviewten Schüler und Schülerinnen und Eltern eine deutliche Zunahme antisemitischer Angriffe in der Schule, der Freizeit und besonders in sozialen Netzwerken wahrnehmen. Was sie erleben, lässt sich laut Liebhart so zusammenfassen: „Verbale Attacken und Hassrede überwiegen, in seltenen Fällen kommt es auch zu tätlichen Angriffen.“

Mit Israel-bezogenem Antisemitismus seien jüdische Schüler an öffentlichen Schulen vor allem von Klassenkollegen konfrontiert, „die als muslimisch oder links gelesen werden, manchmal auch seitens Lehrender“. Zugleich bestehe „der traditionelle österreichische Alltagsantisemitismus“ etwa in Form von „Hitler-Witzen“ und antisemitischen Memes weiter. „Das ergibt ein komplexes, toxisches Gemenge.“ Jugendliche fühlen sich in dieser Situation durch Schulleitung sowie Lehrpersonen nicht ausreichend vor antisemitischen Angriffen geschützt und nicht sicher – „trotz schon bestehender pädagogischer Angebote“, so Liebhart.

Kritischer Blick in die Schulbücher

Genau hier soll nun mit der aus der Studie resultierenden Handreichung entgegengewirkt werden, betont Moritz Wein. Er ist im Bildungsministerium unter anderem für den Bereich Holocaust Education sowie die Umsetzung der Nationalen Strategie gegen Antisemitismus zuständig. Aber auch auf anderen Ebenen bemüht man sich, Judenfeindlichkeit vorzubeugen und entgegenzuwirken.

Zwischen 2017 und 2022 wurden in einem bilateralen Projekt österreichische und israelische Schulbücher analysiert. Die in Buchform veröffentlichten Empfehlungen wurden an die Schulbuchverlage mit dem Auftrag weitergegeben, diese entsprechend umzusetzen.

Folgendes ist dabei zum Beispiel zu berücksichtigen: Zu vermeiden ist die Darstellung von Juden als die anderen, die Fremden. Antijüdische Traditionen sollen im Kontext des Prozesses von Vorurteilsbildung und den sozialen Funktionen von Antisemitismus – Stichwort: Sündenbockpolitik – erläutert und nicht einfach nur als konstanter Faktor in der Geschichte dargestellt werden. Israel soll klar als die einzige Demokratie in der Region gezeigt und die israelische Gesellschaft in ihrer Diversität geschildert werden. Ein im Fokus des jüngsten Krieges wichtiger Punkt zudem: Das österreichisch-israelische Schulbuchkomitee kam zum Schluss, dass Schulbuchautoren beim Nahostkonflikt häufig mit der vermeintlich schwächeren palästinensischen Seite sympathisieren. Hier gibt es die Aufforderung, den Nahen Osten als eine diverse und komplexe Region darzustellen.

Reform der Lehrerausbildung

Nächster Puzzlestein: die Lehrerausbildung. Wie Wein betont, sieht die 2024 im Nationalrat beschlossene Reform der Lehrpersonenausbildung im Masterstudium für angehende Pädagogen aller Fächer vor, dass diese mit der Prävention von Antisemitismus, Rassismus, Sexismus und Antiziganismus vertraut gemacht werden. Die neuen Studienpläne greifen ab dem Studienjahr 2026/27.

Es gebe im Rahmen von ERINNERN:AT, der Holocaust Education-Plattform des Bildungsministeriums, die inzwischen beim OeAD, der österreichische Agentur für Bildung und Internationalisierung, angesiedelt ist, aber auch entsprechende Weiterbildungsangebote für bereits tätige Lehrer und Lehrerinnen, so Wein. Das bestätigt der Leiter von ERINNERN:AT, Patrick Siegele.

Was in der Schule von heute zudem gelebte Praxis sei: „Dass Antisemitismusprävention weit mehr als Holocaust Education ist“, sagt Wein. Die NS-Zeit und der Holocaust werden ab der achten Schulstufe behandelt. Darüber hinaus seien aber auch die Geschichte und Aspekte des jüdischen Lebens im Fachlehrplan Geschichte und Politische Bildung verankert. Aber auch Antisemitismus sei eben ein Thema im Unterricht. Unterstützt würden Lehrpersonen hier zum Beispiel durch das von ERINNERN:AT mitentwickelte digitale Lernformat „Stories that Move“.

Antisemitismus der Gegenwart

Obwohl ERINNERN:AT zunächst auf die NS-Zeit fokussierte, „hat sich das in den vergangenen zehn Jahren stark verändert. Wir beschäftigen uns in Fortbildungen, aber auch Unterrichtsmaterialien verstärkt mit aktuellem Antisemitismus“, so Siegele. Dabei gehe es um Wissensvermittlung über Antisemitismus in Geschichte und Gegenwart. Aber auch darum, dass Lehrpersonen Antisemitismus überhaupt erkennen. „Bevor ich adäquat handeln, also intervenieren kann, muss ich zuerst einmal das Problem verstehen.“ Er setzt hier, wie auch Wein, Hoffnung in die Handreichung, die nun vom IKF entwickelt wurde.

Was Siegele allerdings auch anmerkt: Während Fortbildungen zur NS-Zeit und der Schoa stark nachgefragt werden, gebe es für die Angebote zum Thema Antisemitismus oft zu wenige Anmeldungen. „Da liegt die Nachfrage hinter unseren Erwartungen zurück – wir kön­nen aber Schulen hier nicht zwingen, Lehrpersonen dazu zu verpflichten.“

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Bildung: Zahlreiche Institutionen machen sich Gedanken, wie Schüler und Lehrende über Antisemitismus heute aufgeklärt werden können.

 © Bild: GettyImages

Zu wenig Interesse

Noch viel mehr Besuche von Schulklassen wünscht sich auch Hannah Landsmann, die Leiterin der Kulturvermittlung im Jüdischen Museum Wien (JMW). Kapazität dafür gebe es jedenfalls, sagt sie. Grundsätzlich bilde jeder Besuch im Jüdischen Museum „ein Statement gegen Menschenfeindlichkeit“. Mit „Lost in Nahost?“ (angelehnt an einen Podcast-Titel des Bayerischen Rundfunks) und „Vor Antisemitismus ist man nur auf dem Mond sicher“ bietet das Museum zwei Programme, die sich an Hand von Ausstellungsobjekten gezielt mit den aktuellen Problemlagen – einerseits Israel, dessen Staatswerdung und Geschichte, andererseits Feindlichkeit gegenüber Juden – befassen. „Lost in Nahost?“ zeigt unter anderem auf, warum Theodor Herzl überhaupt auf die Idee eines jüdischen Staates kam und „dass der politische Zionismus eine Folge von Antisemitismus ist und die Staatsgründung eine Konsequenz der Schoa“.

Auch das Parlament hat Angebote für Schulklassen – zuständig für den Bereich Antisemitismusbekämpfung sind hier David Pinchasov und Rifka Junger. So gibt es Führungen und Workshops zur Ausstellung „Tacheles reden. Antisemitismus – Gefahr für die Demokratie“. Ein Workshopmodul zum Thema „Demokratie und Verantwortung – das Format gegen Antisemitismus“ wurde zwar nicht, wie medial zu lesen war, komplett gecancelt, es wird aber derzeit überarbeitet. Dabei verweist das Medienservice auf „vergleichsweise schwache Buchungszahlen“.

Wie die News-Recherchen zeigen: An Angeboten für Schulen, sich mit dem Thema Antisemitismus auseinanderzusetzen, mangelt es grundsätzlich nicht. Dennoch kommt all das nicht an allen Schulen an. Da sind zum einen Schulstandorte wie jene Volksschule in Ottakring, wo die engagierte Direktorin um das Problem Antisemitismus weiß, sie aber noch mit ganz anderen Problemen zu kämpfen hat. Da gibt es aber seitens vieler Lehrpersonen auch, wie es Siegele formuliert, „eine Wahrnehmungsdiskrepanz“. Antisemitismus werde von vielen „nur als abstraktes Problem wahrgenommen und nicht als konkrete Alltagserfahrung von in Österreich lebenden Jüdinnen und Juden“. Die Berichte Betroffener sprechen eine andere Sprache.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 37/2025 erschienen.

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