Eine Pop-Gruppe randalierender Hamas-Proponenten soll in Wien auftreten, der Kunstvizekanzler sucht den Dialog mit denkbar zweifelhaften „Aktivisten“. Als reichte das nicht, positioniert sich die FPÖ so zynisch wie erfolgreich als letzte Bastion gegen Antisemitismus. Weit haben wir es gebracht.
Den Begriff „Populismus“ mochte ich nie. Er unterstellt ja, dass die Welt von Entmündigungsbedürftigen besiedelt ist, deren gemeingefährliche Ansichten von einer intellektuellen Oberschicht neutralisiert werden müssen. Ich wünschte auch, die wählbaren Parlamentsparteien würden lernen, dem Menschenverstand nicht a priori die Gesundheit abzusprechen. Leider liefern sie ihn aber systematisch der einen, unwählbaren Parlamentspartei zur missbräuchlichen Verwendung aus. Schon die an der Wand brennenden Migrationsprobleme wurden teils ignoriert, teils hysterisch in Abrede gestellt. Die Folgen sind in der Gestalt von Wahlergebnissen und Sonntagsfragen seit vielen Monaten grafisch darstellbar.
Mittlerweile erreicht der Zynismus bedrohliche Ausmaße. Weil die hyperambitionierte Außenministerin ständig unbeeinsprucht Tatsachen schafft, verabschiedet sich die Regierung zügig aus dem Grundkonsens der Zweiten Republik. Erst ging es gegen die Neutralität und Richtung NATO. Wer statt des mittlerweile sakrosankten militärisch-strategischen lieber einen friedens- bzw. neutralitätspolitischen Blick auf den Ukraine-Krieg werfen will, hat sich als Rechtsradikaler geoffenbart. Mag er auch, wie Alice Schwarzer und die Gründer der Friedensbewegung, bis vor Kurzem in der Seniorenresidenz für linke Lichtgestalten logiert haben.
Wie konnte es so weit kommen? Weil die FPÖ die sinnvolle und populäre Neutralität aus denkbar unredlichen Motiven zu ihrer Angelegenheit machen konnte.
Dialog mit „Aktivisten“
Nun ist der Ministerin fatal jene Hand ausgerutscht, die ihr deutscher Amtskollege klugerweise von der anti-israelischen Erklärung der EU gelassen hat. Und wie sich gleich die Schleusen öffnen! Während Hebräischsprechende aus der Erlebnisgastronomie in Wien-Fünfhaus fliegen und Tiroler Campingplätze judenrein gehalten werden, sucht Babler den Dialog mit den „pro-palästinensischen Aktivisten“, die ihn beim Festspieleröffnen gestört haben.
Leider handelt es sich um keine friedlichen Menschenrechtsbesorgten, sondern um Hamas-Sympathisanten, die der Justiz zu überantworten sind. Wer das als einzige Partei zur Sprache gebracht hat? Raten Sie. Dabei war die Antisemitenquote der FPÖ schon ab Gründung konkurrenzlos. Aber um gegen Asylanten zu hetzen, ist der Gaza-Konflikt ein Geschenk. Wundert es da jemanden, dass sich der halb designierte Kärntner SPÖ-Chef schon in die Position des Steigbügelhalters fantasiert, wenn dort absehbar nächstens der blaue Volkskaiser einreitet?
Antisemiten Kriminelle zu nennen, müssen uns Orbán und die FPÖ vormachen. Eine Schande
Im Boden versinken möchte ich auch, weil ich dem Wiener FPÖ-Mandatar Leo Lugner nicht widersprechen kann. Die „nordirische Hip-Hop-Band Kneecap“ gehört selbstverständlich an der Grenze abgefangen, vor Gericht gestellt und gegebenenfalls in ein österreichisches Gefängnis verbracht, wie 2005 der britische Holocaust-Leugner David Irving. Die Herrschaften, die während ihrer Auftritte mit Hisbollah-Fahnen gewedelt, die Hamas gefeiert, zum Judenhass und zum Mord an britischen Abgeordneten aufgerufen haben sollen, wollen aber am 1. September in Wien auftreten.
Fatale Doppelmoral
Und wie sich die linksliberalen Damen und Herren aus Politik und Publizistik da namens der Kunstfreiheit winden! Regisseure und Dirigenten, die einen unanständigen Witz erzählt haben, ex cathedra niederzuflatulieren – oder russische Künstler, die daheim nicht todesmutig Widerstand leisten wollen, aus der Karriere zu terrorisieren: Das ist das eine. Aber Antisemiten Kriminelle zu nennen und ihnen die Einreise zu verbieten: Das musste uns ausgerechnet Orbán vormachen, und Leo Lugner musste ihn bestätigen.
Weit haben wir es gebracht. Dabei spottet der Umgang mit Künstlern in Ungarn jeder Beschreibung. Dabei wird unter der Verantwortung Kunaseks, dessen kumpelhafte Lederhosen-Mimikri ihn schon zur blauen Machtreserve qualifiziert, die steirische Alternativkultur niedergesäbelt (Sie finden im Netz auch seine Ausfälle gegen das Museum für den verstorbenen Weltkünstler Günter Brus). Rosenkranz wiederum gibt für seine parlamentarische Entsorgungsoffensive gegen den Bildhauer Erwin Wurm mittlerweile statische Gründe an.
Und in der Tat steht die Welt nicht mehr lang, wenn man in solcher Gesellschaft das Verbot eines Konzerts betreiben muss, weil keine bessere zur Verfügung steht.
Und Trump?
Oder wie gefällt Ihnen, dass Trump der mittlerweile einzige verlässliche Verbündete Israels ist, während sich der berechtigte Protest gegen Netanjahus Politik zügig zu Pogrom- und Auslöschungsfantasien pervertiert hat? Die Situation in den USA könnte übler nicht sein. Wenn in Harvard oder Columbia jüdische (oder sonstwelche) Studenten bedroht werden, sind selbstverständlich bis zur Klärung der Verhältnisse alle öffentlichen Zuwendungen auszusetzen und strafrechtliche Maßnahmen in Aussicht zu stellen.
Aber Trump, dem ich nicht den Ansatz eines akzeptablen Motivs unterstellen will, arbeitet an der Auslöschung der vielleicht bedeutendsten Wissenschaftsstandorte der Welt. Den Vorwand dafür haben sie ihm mit einem außer Kontrolle geratenen Toleranzbegriff selbst ausgehändigt. Das sollte uns zu denken geben.
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Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 32/25 erschienen.