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APA: Haben Sie den Sieg von JJ live im Fernsehen gesehen?
Norbert Kettner: Ich war auf dem Weg zur Expo und habe ihn mitgekriegt, als ich in Osaka aus dem Flugzeug gestiegen bin. Danach habe ich alles nachgeschaut. Es war ein verdienter Sieg. Ich war eher im Lager derer, die gemeint haben: Zweimal ein ähnliches Genre - eher nicht. Aber ich habe mich offenkundig getäuscht. Und ich habe mich gefreut und freue mich auch jetzt noch.
APA: Switcht man da als Wiener Tourismuschef gleich in den Arbeitsmodus?
Kettner: Schon relativ bald klarerweise. Man geht relativ schnell durch, was ansteht. Das ist auch eine Art Memory Lane. Wenn man sich die Unterlagen von vor zehn Jahren anschaut, sieht man auch, was sich verändert hat. Bei der Infrastruktur waren wir damals schon gut aufgestellt, haben aber seither einiges draufgelegt. Oder es war damals von Bloggern die Rede. Das fand ich schon fast rührend, wo die heutige Welt doch den Influencern an den Lippen hängt.
APA: Wie sehen Sie die Chancen, dass es wieder Wien wird?
Kettner: Wenn wir auf die harten Fakten schauen, sehe ich die Chancen sehr gut. Wir können Großveranstaltungen und wurden gerade erst ausgezeichnet als Stadt mit den weltweit meisten internationalen Kongressen. In Sachen Erreichbarkeit haben wir 30 Millionen Passagiere am Flughafen jährlich und Direktverbindungen zu 190 Destinationen. Wien ist die am besten ans Bahnnetz angedockte Stadt Europas. Wir haben 80.000 Hotelbetten über alle Kategorien, wir haben 1.000 Kilometer öffentlichen Verkehr. Wir haben die Venues und wir haben eine Reputation als Stadt der Musik.
APA: Kann man im Fall der Fälle das Konzept von damals wieder aus der Schublade holen?
Kettner: Nein, man kann das nicht als Blaupause verwenden. Es ist viel passiert - auch technologisch. Der Song Contest selbst hat sich verändert. Die Sicherheitslage ist auf der ganzen Welt eine andere geworden. Das sind alles Dinge, die man bedenken muss. Social Media gab es zwar damals schon, ist aber heute das Rückgrat der Kommunikation, vor allem der Fanbase. Das ist ja eine kompetente und kritische Gruppe. Wir haben damals super gepunktet und neue Standards gesetzt etwa bei Veranstaltungen für die Mitreisenden. Das gab's damals noch nicht und hat sich beim ESC dann fortgesetzt. Das zu toppen ist schon eine Aufgabe.
APA: In Basel ist man den Weg gegangen, die Show in einer kleinen Halle und dafür ein riesiges Public Viewing in einem Stadion zu machen. Wäre das auch eine Option für Wien?
Kettner: Ich will keinem Stadion zu nahe treten, aber das ist glaube ich schon ein Bereich, bei dem man auf 2015 referenzieren muss. Ein besseres, opulenteres und optisch attraktiveres Screening als vor dem Rathaus kann ich mir schwer vorstellen, aber ich will da nichts vorwegnehmen.
APA: Gibt es eine Alternative zur Stadthalle als Showlocation?
Kettner: Ich denke, die Stadthalle kann das. Und warum sollte man in einer Stadt mit einer größeren Halle auf eine kleinere ausweichen? Es geht ja auch um das Einzugsgebiet des Kartenverkaufs. 2015 wurden 100.000 Tickets verkauft.
APA: Wien ist das ganze Jahr gut gebucht, ist in der queeren Community fix verankert als Reisedestination. Wo wäre denn der Benefit für die Stadt - vor allem angesichts knapper Budgets?
Kettner: Das zahlt langfristig ein, Wien nicht nur als globales Zentrum für klassische Musik, sondern auch für Popkultur zu inszenieren. Marketing und Positionierung passen ja nicht von heute auf morgen. Dazu kommt eine ernst zu nehmende Positionierung als Stadt der Vielfalt. Das beinhaltet nicht nur die queere Zielgruppe. Der Song Contest stellt ja Vielfalt unter dem Mikroskop dar. Das ist etwas, das in der Stadt gelebt wird - und zwar über Lippenbekenntnisse hinaus. Das spielt eine wichtige Rolle als Soft-Faktor.
APA: Wer hat denn 2015 seitens der Hotellerie profitiert und wo war die Euphorie zu hoch?
Kettner: Man muss immer darauf schauen, dass die lokale Hotellerie fair mit solchen Dingen umgeht. Was man aus Basel weiß: Was nicht funktioniert ist, wenn man nur Sieben-Tage-Pakete anbietet. Das akzeptiert die Zielgruppe nicht. Also Augenmaß! Die Auslastung würde nach oben gehen, aber wir wollen ja, dass die Gäste wiederkommen. Überbleiben soll nicht eine reine Goldgräberstimmung, die gewisse Zielgruppen verärgert. Aber vor zehn Jahren haben eigentlich alle Kategorien profitiert.
APA: Gibt es im Wien Tourismus schon Ideen für Kampagnen oder ein Projektteam?
Kettner: Dafür ist es noch zu früh. Es gibt Gespräche, aber wir müssen auf die Ausschreibung warten. Was man sagen kann: Die Kampagne wird dem Image Wiens gerecht werden. Wenn du was behauptest in einer Kampagne, dann gibt es auch eine Beweispflicht. Gerade in Zeiten der digitalen Kommunikation haben Lügen im Marketing noch viel kürzere Beine. Da wirst du sofort aufgeblattelt.
APA: Wien liegt in Rankings der unfreundlichsten Städte oft sehr weit oben. Muss man da was tun?
Kettner: Das ist insofern spannend, als das in unseren Umfragen nie vorkommt. Wir waren 2015 oft selbst überrascht über die Euphorie der lokalen Bevölkerung. Da unterschätzt man die Wienerinnen und Wiener einfach.
APA: Im Vergleich zu 2015 spielt Politik auch im ESC-Umfeld eine viel größere Rolle, wenn man sich etwa die Debatten über Israel anschaut. Muss man das als potenzielle Host City mitdenken?
Kettner: Jetzt rede ich wieder von der Positionierung Wiens als Stadt der Begegnung. Wir sind die einzige UNO-Hauptstadt innerhalb der EU. Ich bin schon der Meinung, dass ein "Reden wir über Dinge" Sinn macht. Vielleicht ist Wien dafür ein gutes Pflaster. Natürlich kann man nicht alles kontrollieren. Die Diskussionen rund um den ESC werden ja nicht in eine Stadt hineingetragen, sondern sind Spiegelbild einer polarisierten Welt. Diese Meinungsverschiedenheiten werden natürlich auf Ebenen ausgetragen, wo die Welt hinschaut.
APA: Zur Debatte beigetragen haben auch die Äußerungen JJs, wonach er sich einen Song Contest ohne Israel in Wien wünscht. Ihre Meinung?
Kettner: Wir dürfen nicht vergessen: Er gehört zu einer Generation, die durch Social Media einem wahnsinnigen Stakkato von Meinungen ausgesetzt ist. Ich glaube, jeder hat das Recht, gescheiter zu werden. Meine Interpretation ist, dass die Kritik an seiner Aussage bei ihm schon was ausgelöst hat. Dass meiner persönlichen Meinung nach diese Aussage nicht korrekt war, ist klar. Ich bin mit jeder Faser meines Daseins nicht seiner Meinung. Aber ich bin der Meinung, jeder hat eine zweite Chance verdient. Und ich würde mir nicht anmaßen, über jemanden, den ich persönlich nicht kenne, den Stab zu brechen.
(Das Gespräch führte Thomas Rieder/APA)
Wien-Tourismus-Direktor Norbert Kettner am Montag, 26. Mai 2025, im Rahmen eines Interviews mit der APA-Austria Presse Agentur in Wien.