von
In "Die Füchsin" etwa erscheint einem mittelmäßigen Autor eine Traumfrau im buchstäblichen Sinn. Sie verhilft ihm zum Durchbruch, indem er einfach die unglaubliche Geschichte ihres plötzlichen Auftauchens erzählt, löst sich mit einem Mal wieder in Luft auf - und ist auf ganz unerwartete Weise wieder zur Stelle, als er am Druck der Branche, seinem Bestseller eine Fortsetzung nachfolgen zu lassen, zu scheitern droht. In den "Hawaiian Dreams" verfolgt ein Paar gebannt das Geschehen in einer vis-a-vis gelegenen Wohnung, in der offenbar eine Doppelgängerin der jungen Frau wohnt. Diese ist ihr nicht nur aus dem Gesicht geschnitten, sondern trägt auch exakt die gleiche Kleidung und sogar das gleiche Tattoo. Das Beobachten wird zur Obsession, ja zum Lebensinhalt der beiden Voyeure, die ihren Beobachtungsbalkon kaum noch verlassen. Die Geschichte nimmt eine gespenstische Wendung, als zunehmend klar wird, dass das Gegenüber auf einen Mann zu warten scheint.
Meist sind es einsame Menschen, die mehr als genug damit zu tun haben, die Dinge um sich herum am Laufen zu halten und sich nicht im Ungefähr zu verlieren, in einem Grenzbereich, in dem tatsächlich Mitmenschen verschwinden, wie ein geheimnisvoller Stammgast in einer Schneesturm-Nacht einer Kellnerin berichtet ("Spaghetti Napolitan"). Mitunter weht aber auch der raue Wind der Wirklichkeit in die Erzählungen. Der Tsunami hat in der gleichnamigen Geschichte unerwartete Spätfolgen, die Erinnerung an den Holocaust wird von einem empathischen Japaner in den eigenen vier Wänden hochgehalten, indem er in einer ersteigerten originalen KZ-Kluft und Holzschuhen täglich zum Zählappell antritt ("Kudo (alias Kohn)"), und wer an einer Straßenkreuzung bei Rotlicht wartet und in die Tragtasche des neben ihm stehenden Passanten blickt, kann dort schon mal einen blutigen, abgeschnittenen menschlichen Arm entdecken ("Ikebana").
Nachdem ihr Roman "Oben Erde, unten Himmel" sich vor zwei Jahren auf eindrucksvolle Weise mit dem in der japanischen Gesellschaft verbreiteten Phänomen des einsamen Tods beschäftigte, hat sich Flašar in ihren Erzählungen weiterer Spielformen der Einsamkeit, des Rückzugs und der Etablierung von Gegenwelten angenommen. Ihre "Japanischen Geschichten" sind Geistergeschichten, die viel über eine Welt erzählen, die den in ihr Lebenden zu wenig Halt bietet. Das Unheimliche entsteht aus dem ganz Normalen. Und die Erkenntnis kommt manchmal überraschend. Wie bei der Ehefrau des Paares in der Titelgeschichte "Der Hase im Mond". Sie eröffnet ihrem Mann eines Tages: "So einsam wie mit dir möchte ich nicht weiterleben."
(Von Wolfgang Huber-Lang/APA)
(S E R V I C E - Milena Michiko Flašar: "Der Hase im Mond", Wagenbach Verlag, 236 Seiten, 24,70 Euro)
WIEN - ÖSTERREICH: FOTO: APA/APA / Wagenbach Verlag