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"Wien war nach den achtziger Jahren nie wieder eine pulsierende Stadt", lautet der erste Satz des Buches. In eine Zeit ohne zusammenhängenden Underground, mit einer Radiolandschaft, die kaum heimischen Acts Airplay gab und fehlender Popszene platzen Wanda 2014 mit ihrem Debüt "Amore". Den Weg dorthin und darüber hinaus zeichnet Michael Marco Fitzthum alias Marco Wanda ebenso nach wie seine eigenen Antriebe, Lebenssituationen, Ängste, Zweifel, Fehler und Höhepunkte. Dass es nicht um Beschönigung oder Selbstverherrlichung geht, wird bald klar: "... ganz Österreich, so kam es mir vor, war eine zwischen Euphorie und Depression wankende Sperrstunde. So wurde ich Alkoholiker."
Marco Wanda berichtet von seinen Trips auf Selbstfindung durch Polen und Deutschland, nach Ägypten, wo er nach erster Euphorie über den Arabischen Frühling Ernüchterung erfährt, und etwa nach Paris, just zum Zeitpunkt der fatalen Terroranschläge. Er nimmt sein lesendes Publikum aber auch mit auf einen langen Suchttrip von Alkohol (Absturz folgt auf Absturz) bis Kokain und schildert dabei mehr als ausgiebig, wo er sich überall im Rausch übergab. Und natürlich erfährt man vieles über Wanda und die Songs, dass etwa "1, 2, 3, 4" auf einem Klodeckel entstand und "Bologna" in fünf Minuten fertiggeschrieben war.
Der 38-Jährige schreibt über die Findung von Wanda, über die Freundschaft, über Trennungen, über zur vom Feuilleton hochgepuschten Rivalität mit Bilderbuch, über die wichtige Rolle ihres ersten Managers Stefan Redelsteiner (der neulich selbst Memoiren herausbrachte) und über das Ende dieser Zusammenarbeit, über das Bandimage (Lederjacken, keine bedruckten T-Shirts) und über Exzesse, die in keiner ordentlichen Rock-Biografie fehlen dürfen: Schlägereien, Abstürze, Zerstörungswut samt "Orgie der Gewalt" (Zitat), bei der - explizit auf Papier gebracht - Blut spritzt. "Wir waren alle auf die eine oder andere Art gestört, verrückt, verloren", heißt es an einer Stelle.
Eine gehörige Portion Selbstbewusstsein - oder wie es der Neo-Autor formuliert: "... in den Medien oft als 'typisch österreichischer Größenwahn' beschrieben" - klingt mehrmals deutlich durch. Es bleibt jedem überlassen, über Sätze wie "Es war schnell klar, dass Paul (Gallister, Hauptproduzent; Anm.) sich als eine Art George Martin verstand und in mir so etwas wie John Lennon sah" zu schmunzeln, den Kopf zu schütteln oder zustimmend zu nicken. Die Wanda-Bilanz spricht für sich.
Marco Wanda hat die Rastlosigkeit jener Zeit, in der sich die Band in den Hithimmel katapultierte, auf Papier übertragen, sie ist beim Lesen spürbar. Man hetzt mit ihm durch turbulente Jahre. Vieles in dem Buch wartet darauf, genüsslich ausgeschlachtet zu werden (etwa die Beichte, ein ganzes Dorf im Suff zerstört zu haben) - ein Schuss "The Dirt" (Skandalbiografie der Metalband Mötley Crüe) auf wienerisch sozusagen. Marco Wanda, auch wenn man sich an einigen Details stoßen mag, hat jedenfalls viel zu erzählen - auch über sein Innenleben, geprägt von einem Auf und Ab an Emotionen. "Dass es uns überhaupt gegeben hat" wird polarisieren. Besser als langweilen.
(Von Wolfgang Hauptmann/APA)
(S E R V I C E - Marco Wanda: "Dass es uns überhaupt gegeben hat", Zsolnay Verlag, 288 Seiten, 26,50 Euro; Buchpräsentation in Wien am 20.8., 19.30 Uhr, im Theater im Park, Marco Wanda im Gespräch mit ORF-Redakteurin Alice Pfitzner, https://theaterimpark.at)
WIEN - ÖSTERREICH: FOTO: APA/APA/Ingo Pertramer/Zsolnay/Ingo Pertramer