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Wie das Buch verharrt auch der Film des Schweizer Regisseurs Stefan Haupt ("Der Kreis") zunächst in Geheimnisvollem: Unter dem Namen James Larkin White reist ein Mann Mitte der 1950er Jahre durch die Schweiz. Im Zug wird er verhaftet. Denn er sieht dem vor langem verschwundenen, möglicherweise einem Verbrechen zum Opfer gefallenen Bildhauer Anatol Stiller (in den Rückblenden verkörpert von Sven Schelker) ungemein ähnlich. Es gibt Leute, die meinen, ihn wiederzuerkennen. Er besteht darauf, ein unbescholtener US-Amerikaner zu sein.
Ob im Gespräch mit dem Verteidiger (Stefan Kurt), Stillers Frau Julika (Paula Beer) oder dessen einstiger Geliebten Sibylle (Marie Leuenberger): Der Inhaftierte bleibt dabei, nicht zu wissen, was man von ihm wolle, versucht verzweifelt, seine Identität als Mr. White zu behaupten. Die Situation wird existenziell bedrohlich. Weder der Gepeinigte noch seine Häscher, niemand aus Stillers einstigem Umfeld weiß sicher zu sagen, was Wahrheit ist, was Trug. Bringt eine längere Begegnung mit Julika außerhalb des Gefängnisses Klärung?
Die straffe Inszenierung setzt auf Krimispannung und psychologisches Feingefühl. Effektvoll wird darüber nachgedacht, ob ein Mensch die Chance hat, sich selbst neu zu erfinden. Subtil werden dabei auch Fragen zum Zustand der bürgerlichen Gesellschaft aufgeworfen. Zentral ist dabei die Frage nach den Grenzen und Notwendigkeiten sozialer Normen im Zusammenleben von Menschen. Daneben wird darüber nachgedacht, wie leicht Erinnerungen täuschen können.
Die komplexe philosophische Ebene der Story wird aufs Beste kinogerecht vereinfacht, ohne dass der Film ins Banale abrutscht. Woran Albrecht Schuch mit seiner glanzvollen Performance entscheidenden Anteil hat. Es scheint, als spiele Albrecht Schuch die Romanfigur nicht, sondern habe sich in sie verwandelt. Er gibt dem Eigenbrötler mit einer intelligenten und erotisch aufgeladenen Darstellung eindringlich Gestalt. Wohl jede und jeder im Publikum dürfte dank seiner vibrierenden Intensität etwas von Stiller in sich selbst entdecken.
Gepackt wird das Publikum auch dadurch, dass es nie klüger ist als die Handelnden auf der Leinwand, dass der Film keinerlei Erklärungen oder Deutungen anbietet. Für Hauptdarsteller Schuch ist das entscheidend. Dazu sagt er im Presseheft zum Film: "Für mich ist ganz wichtig, dass man dem Publikum Interpretationswege offen hält. Kreativität entsteht beim Zuschauen. Das geht mir als Zuschauer zumindest so."
Albrecht Schuch hat in den letzten Jahren wichtige Auszeichnungen nur so gesammelt. Seine Stiller-Interpretation dürfte ihm weitere einbringen und ihn endgültig ins Bewusstsein eines großen Publikums rücken. Mit seiner so kräftigen wie feinfühligen Interpretation eines Mannes zwischen allen Stühlen tritt er als erster deutscher Schauspieler in die Fußstapfen des unvergessenen Götz George (1938 – 2016). Wie er vereint Albrecht Schuch in seinem Spiel Sensibilität und Ruppigkeit, Intelligenz und Naivität. Man hält den Atem an.
(Von Peter Claus/dpa)
(S E R V I C E - www.constantinfilm.at/kino/stiller)
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