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Leitartikel: Medien und der Wert der Wahrheit

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7 min

Kathrin Gulnerits

Ein zusammengestückeltes Interview bringt die Medienbranche mal wieder in Erklärungsnot. Statt Standards zu lockern oder schönzureden, sollte die Branche endlich aus Fehlern lernen und Denkmuster abklopfen. Denn Vertrauen ist die einzige Währung, die uns noch bleibt.

Wer an ein bestimmtes Welt- und Menschenbild glaubt, geht davon aus, dass man einander vertrauen kann. Dass Ehrlichkeit zählt. Dass Informationen stimmen. Keine Spielchen. Fairness. Redlichkeit. Das als naiv abzutun, ist leicht. Und ja, die Realität ist komplizierter. Überall. Ein Restrisiko bleibt immer. Auch – oder gerade – in der Medienbranche. Doch hier stehen wir besonders im Schaufenster. Denn wir sind es, die von anderen – der Politik zum Beispiel – Transparenz fordern. Offenheit. Keine Lügen. Kein Schönreden. Und oft genug heben wir dabei den moralischen Zeigefinger. Zeigen auf andere, um zu beweisen, wie integer und überlegen wir sind.

Seit vergangener Woche richtet sich dieser Blick wieder auf uns selbst. Auslöser: ein vermeintlich aktuelles Interview mit Clint Eastwood, erschienen im Kurier. Der Schauspieler dementiert. Wie sich herausstellt, hat die Autorin Zitate aus früheren Gesprächen zu einem Interview anlässlich seines 95. Geburtstags zusammengefügt. Das Interview hat es so nie gegeben. Erfunden sind die Aussagen aber auch nicht. Ein „Best of“, wenn man so will – nur: Als solches war es nicht kenntlich gemacht. Weder von ihr, noch von der Redaktion. Da ist es wieder, das Restrisiko.

Gleiche Standards für alle

Der Fall liegt beim Presserat, ein freiwilliges Selbstkontrollorgan für Printmedien, das u.a. der Sicherung redaktioneller Qualität dient. Der wird prüfen, ob der Eindruck eines echten Gesprächs erweckt wurde – und ob das ein Ethikverstoß war. Die Entscheidung wird im September erwartet. Bis dahin muss die Branche – konkret: der Unterhaltungsteil – sich hinterfragen. Fehler einräumen. Lernen. Aber es wirkt, als gelinge das wieder nicht. „Wir alle hübschen Interviews mit alten Zitaten auf, wenn’s sein muss“, heißt es da. Weil: „Filmstars sich ohnehin oft wiederholen“. Oder: „Hier gelten halt andere Standards. Ist ja nur Show.“ Zitat-Collagen seien „ganz normal“, sagt die in den USA lebende Autorin. Eine „nebbiche Gschicht‘“ eben. Auch ein Argument: „Im Qualitätsjournalismus wäre das natürlich eine unentschuldbare Unsauberkeit. Im Boulevard gelten allerdings andere Gesetze.“

Nein, es gelten eben nicht für die einen andere Standards als für die anderen. Diese Art der Diskussion beschädigt unsere Branche. Den Journalismus im Unterhaltungsbereich speziell. Sie versteckt sich hinter der Feststellung, dass in der Filmbranche Dinge üblich seien, die jeder journalistischen Usance widersprechen. Doch wer soll künftig sechs Euro für ein Magazin oder 3,50 Euro für eine Tageszeitung zahlen? Wenn er davon ausgehen muss – wie jetzt ungeniert behauptet wird –, dass Interviews ohnehin nach Lust und Laune neu zusammengemischt werden? Aus alten Interviews Zitate ohne Kennzeichnung zu übernehmen, ist nicht üblich. Das Bild, das hier entsteht, ist fatal. Gerade in einer Zeit, wo das Wort „Fake News“ allzu flott über die Lippen kommt. Gerade jetzt, wo klassische Medien wieder hoch im Kurs stehen – hohe Vertrauenswerte inklusive.

Ein einziger gravierender Fall genügt, und die Branche gerät unter Generalverdacht. Denn wir arbeiten in einem System, das offenbar anfällig ist

Journalistische Selbstreflexion

Unsere Aufgabe besteht darin, Sachverhalte einzuordnen und zu kontextualisieren. Wahrheit, Transparenz und Verlässlichkeit bilden dabei die Grundpfeiler unserer Arbeit. Wir handeln nach bestem Wissen und Gewissen. Denn ein einziger gravierender Fall genügt, und die gesamte Branche gerät unter Generalverdacht. Das heißt auch, dass wir nicht nur anderen den Spiegel vorhalten sollten, sondern vor allem uns selbst. Denn wir arbeiten in einem System, das offenbar anfällig ist. Erinnert sei an Claas Relotius. Der deutsche Journalist war bis Ende 2018 Star-Reporter für „Der Spiegel“ und andere renommierte Medien. Vielfach ausgezeichnet, bis bekannt wurde, dass er Reportagen systematisch gefälscht hatte. Er erfand Personen, Zitate, Szenen. Der „Fall Relotius“ löste eine intensive Debatte über journalistische Standards aus.

Auch ORF-Brüssel-Korrespondentin Raffaela Schaidreiter, die frisch gekürte „Journalistin des Jahres“, erinnerte in ihrer Dankesrede an das Wesentliche: den Mehrwert für das Publikum und die Pflicht zur kritischen Reflexion: „Wir sind keine Stars. Wir berichten über Stars.“ Eine Selbstverständlichkeit, die ins Wanken gerät. Besonders problematisch zeigt sich das in einer Medienlandschaft, in der das Format „Journalisten interviewen Journalisten“ zu viel Raum einnimmt und Journalisten zu kleinen Stars stilisiert. Die Verhaberung stellt ein weiteres Problem dar. Das beiläufige „Du“ zwischen Politikern und Journalisten markiert den Beginn von Kompromissen – und ist doch weit und weiterhin verbreitet. Aus den 2022 in Chats dokumentierten Nahbeziehungen hat die Branche wenig gelernt. „Eitelkeit“ und Kommunikation „jenseits der Norm“ wurden seinerzeit als Erklärungen angeführt.

Am problematischsten erweist sich das weitverbreitete Schulterzucken. Diese Haltung führt dazu, dass wir uns hinter Positionen verschanzen und notwendige Veränderungen nicht angehen: War halt schon immer so. Vielmehr sollten wir vermitteln: Wir ziehen Konsequenzen. Wir arbeiten transparenter und wahrhaftiger. Das unterscheidet uns von den sozialen Medien. Das ist unser Auftrag. Unsere Währung.

Was meinen Sie? Schreiben Sie mir: gulnerits.kathrin@news.at

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 24/2025 erschienen.

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