Früher schrubbte die Stadtreinigung seine Straßenkunst weg. Heute reißen Kunsthändler Häuser ab, um sein Werk zu besitzen. Banksys Kunst verschwindet aus dem öffentlichen Raum. In „Banksy – Lost Works“ beleuchten die Geschichten seiner verschwundenen Werke den millionenschweren Kunstmarkt.
Zu den Oberflächen, die der Straßenkünstler Banksy besprüht hat, zählen neben Haustüren und -wänden, Müllcontainer, Geldautomaten, ein Boot oder ein Elefant. Sie alle haben eines gemeinsam: Kaum hat Banksy, dessen Identität ungeklärt ist, sie bearbeitet, ist ihre Zukunft ungewiss. Kaum eines der Werke, die der Brite aus Bristol – soviel scheint über seine Biografie gesichert – im öffentlichen Raum schuf, ist heute noch am ursprünglichen Ort. Waren es früher Reinigungstrupps, die die Graffitis entfernten, sind es heute Souvenirjäger, Spekulanten und andere Künstler, die seine Graffitis verschwinden lassen.
Ich bin an einem Punkt angelangt, an dem ich mir nicht mehr sicher bin, was noch ,Kunst‘ ist. Es scheint nicht mehr so sehr um das Bild zu gehen, sondern um die Ereignisse, die sich um das Bild herum abspielen.
Ein Stück Mauer um Millionen
Seit Banksys Werk „WHAT?“ auf der Rückwand eines Londoner Standes im Jahr 2004 für 1.000 Pfund gekauft und danach für 250.000 Pfund weiterverkauft wurde, ist Banksy zur Ware geworden. Seine Werke werden um viel Geld aus Mauern geschnitten, Fassaden werden abgetragen, Böden und Wände herausgerissen, um ein Bild zu retten – oder vielmehr: zu verkaufen.
Um diesem Missbrauch entgegenzuwirken, gründete Banksy die Agentur Pest Control, die als einzige Instanz seine Werke authentifiziert. Jenen, die von der Straße entfernt wurden, wird das Echtheitszertifikat verweigert. Ohne dieses Siegel lehnen seriöse Auktionshäuser einen Handel ab. Der Anreiz, Kunst aus dem öffentlichen Raum zu reißen, soll dadurch sinken, weil auch der Preis niedrig bleibt. Theoretisch.
In der Praxis blüht der Schwarzmarkt, denn viele Käufer sind bereit, auch Werke ohne Zertifikat als Spekulationsobjekt oder Prestigestück zu erwerben. Daneben gefährden Graffiti-Puristen das Werk des Briten. Sie verabscheuen ihn, weil er mit Schablonen und für das Massenpublikum arbeitet und damit gegen die kodifizierte Ethik des Untergrunds verstößt. Laut Kunsthändler Stephan Keszler wurden 80 Prozent der Banksys auf der Straße von anderen Street Artists zerstört. So beschreibt es Will Ellsworth-Jones in seinem bahnbrechenden Buch über Banksys verschwundene Kunst (siehe Kasten und nächste Seite). Zwei seiner kuriosen Hintergrundgeschichten zu verschwundenen Banksys lesen sie ab S. 62.
Banksy selbst sagt im Begleitbuch zur Ausstellung 2023: „Ich bin an einem Punkt angelangt, an dem ich mir nicht mehr sicher bin, was noch ,Kunst‘ ist. Es scheint nicht mehr so sehr um das Bild zu gehen, sondern um die Ereignisse, die sich um das Bild herum abspielen.“


„Migrant Child“ ist das zweite authentifizierte Werk Banksys in Venedig aus dem Jahr 2019. Die Zukunft des Kindes in Schwimmweste und mit Seenotfackel ist ungewiss, da eine venezianische Bank den Palazzo San Pantalon, auf dessen Fassade das Bild angebracht ist, gekauft hat. Wünscht Banksy ein Verblassen des Bildes oder darf es „gerettet“ werden? Die Diskussion läuft
© IMAGO/DepositphotosDer Job: Zerstörung
Ort: Vereinigtes Königreich, Südengland, Blacksole Farm, Herne Bay CT6 6LA
Text © Will Ellsworth-Jones
Als Banksy 2018 vor einem ungläubigen Publikum bei Sotheby’s die Selbstzerstörung von „Girl with Balloon“ organisierte, schien es, als hätte er seinen Standpunkt zur Vergänglichkeit seiner Kunst untermauert. Doch fünf Jahre später inszenierte er nicht nur die Zerstörung eines Gemäldes, sondern eines ganzen Gebäudes mit einem seiner Werke.
Er hat das nie zugegeben, aber es braucht nicht viel Detektivarbeit, um herauszufinden, dass Banksy beim Malen von „Morning is Broken“ auf das Sperrholz, das ein Fenster eines verfallenen Bauernhauses schützt, wusste, dass der kleine Junge, der freudig seine Well-blechvorhänge öffnet, nur noch wenige Tage zu leben hatte.
Das Bauernhaus am Rande von Herne Bay, Kent, lag zwar in der Nähe einer Hauptstraße, war aber durch Gestrüpp und Büsche völlig abgeschirmt. Es war fast fünfhundert Jahre alt und stand die letzten Jahre leer und verlassen da. Im Dezember 2022 erhielt der Eigentümer, Kitewood Estates, die Genehmigung, das Haus abzureißen und dort 67 Wohnungen zu bauen. Goody Demolition stellte dem Gemeinderat im Januar 2023 eine Abrissankündigung zu, woraufhin alle Grundstückseigentümer in der Nähe offiziell informiert wurden und der Gemeinderat Goody grünes Licht gab. Es wurde alles nach Vorschrift gemacht; es war kein Geheimnis, dass das Gebäude abgerissen werden sollte.
Das Abriss-Team begann im März 2023 mit der Absperrung des Geländes. Obwohl sie es nicht bemerkten, war der Banksy bereits dort, aber nur für kurze Zeit. Wie kurz, ist unklar, aber der Fußweg, der direkt am Bauernhaus vorbeiführt, wurde von Kunden auf dem Weg zu einem neuen Sainsbury’s-Supermarkt genutzt. Wäre der Junge längere Zeit dort gewesen, hätte sich das nicht nur bei ein paar Einkäufern herumgesprochen.
Was mich davon überzeugte, dass Banksy es zerstören wollte, bevor jemand es in die Hände bekam, war die Tatsache, dass er erst am Tag nach dem Abriss auf Instagram den Besitz des Bildes bestätigte. Zwei der drei Bilder, die er hochgeladen hatte, zeigten den Jungen, aber das dritte zeigte die Abrissarbeiter bei der Arbeit und die zerstörte Mauer. Das Team Banksy war also vor Ort gewesen und hatte darauf gewartet, diesen Moment festzuhalten.
Aber wie bei „Girl with Balloon“, wo der im Bilderrahmen versteckte Schredder anhielt und die Hälfte des Bildes überlebte, verschwand auch „Morning is Broken“ nicht vollständig. Als das Abriss-Team entdeckte, was es getan hatte, kramte es in seinem Müllcontainer und fand einen Großteil des Jungen noch intakt, obwohl die beiden großen Sperrholzstücke zusammengefügt werden mussten. (Der Katze des Jungen war es nicht so gut ergangen – von ihr war nicht viel mehr als ihre Ohren übrig.)
Das Sperrholz wurde den Eigentümern der Baustelle übergeben, wobei unklar ist, was mit den „Vorhängen“ aus Wellblech geschah. Es ist anzunehmen, dass der Junge restauriert wird und eines Tages mit oder ohne die Vorhänge auf dem Markt erscheint. Der Versuch von Banksy, ein Werk an eine Wand zu sprühen und es verschwinden zu lassen, bevor jemand anderes davon profitieren kann, wird also sicherlich damit enden, dass jemand viel Geld verdient.




Auf den Schrottplatz
Ort: Vereinigtes Köngreich, East of England, Northwold, Norfolk, IP26 5LQ
Text © Will Ellsworth-Jones
Bevor Banksy berühmt wurde, malte er auf dem Glastonbury-Festival zwei Werke auf die beiden Seiten eines Sattelschleppers, und jeder Festivalbesucher, der wollte, konnte ihm bei der Arbeit zusehen. Beide Werke sind inzwischen verschwunden. Eine Seite wurde von einem anonymen Käufer per Telefon von einem Pariser Auktionshaus für 445.000 Pfund erworben. Interessanterweise wurde die andere Seite von Banksy selbst zurückgekauft, dem sein eigenes Werk so sehr missfiel, dass er es aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit verbannen und möglicherweise sogar zerstören wollte.
Zwei Reisende, Maeve Neale und Nathan Wellard, die den Anhänger in ein mobiles Heim für sich und ihre vier Kinder umgebaut hatten, erklärten sich damit einverstanden, dass Banksy 1998 in Glastonbury, wo sie regelmäßig zu Gast waren, eine Seite als Leinwand für ein Performance-Kunstwerk verwendete. Er gab ihnen zwei Eintrittskarten und das Geld für ihren Diesel, um von ihrer Heimat in Norfolk dorthin zu gelangen. Drei Tage lang schufen er und sein Graffitikollege Inkie „Fragile Silence“ auf einer Leinwand von fast 10 Metern Länge.
Im Jahr darauf malte er auf der anderen Seite, aber diesmal bezahlten sie ihn: „Nur ein paar Hundert Pfund“, sagt Maeve, „und ich glaube, wir schulden ihm noch fünfzig.“ Es hieß „Fungle Junk“, ein passender Titel, denn es war ein ziemliches Durcheinander, mit Affen am Keyboard und Schlagzeug im Zentrum des Stücks, und Sid Vicious und ein rosa Hase im Playboy-Stil wurden später hinzugefügt.
Als es an der Zeit war, das Haus zu vergrößern, wurde „Fungle Junk abgebaut“, um einen zweiten Anhänger anzubringen. Er wurde in drei Teile zerlegt, aber zum Glück nicht zerstört. Denn als die Preise für Banksy-Kunstwerke in die Höhe schossen, wurde Maeve und Nathan klar, dass ihr Haus viel mehr wert sein könnte als die 1.000 Pfund, die sie dafür bezahlt hatten. Allerdings gab es das übliche Problem: Keine der beiden Seiten war von Banksy authentifiziert worden. Dennoch schickten sie im Juni 2008 zwei der „Fungle Junk“-Kunstwerke zu einer Auktion in Schottland; die Gebote erreichten zwar fast 100.000 Pfund, aber nur unter der Bedingung, dass Banksy die Echtheit bestätigt. Drei Monate später versuchten sie es erneut in London, aber wieder: keine Authentifizierung, kein Verkauf.
Maeve war mehr als verärgert, denn es bestand kein Zweifel, dass es sich um Banksys Werk handelte. Schließlich nahm sie Kontakt zu Banksy selbst auf und es kam zu einem, wie sie es nennt, „etwas hitzigen Gespräch“. Am Ende lenkte Banksy ein. Die Abmachung war einfach: Er würde „Fragile Silence“ authentifizieren und ihnen ein Gemälde schenken, wenn sie ihm im Gegenzug „Fungle Junk“ geben würden. Sie verkauften das Gemälde, eine Version von „No Ball Games“, bei einer Auktion für 30.000 Pfund und brachten „Fragile Silence“ 2015 mit großem Erfolg zu einer Auktion in Paris. Was „Fungle Junk“ betrifft, so kam einer von Banksys Freunden mit einem Lieferwagen und holte es ab.
„Banksy behauptete, er würde es hassen ... es war ihm peinlich“, erzählte mir Maeve. „Sie sagten, sie würden es zerstören, aber es ist schwer zu glauben, dass sie genau das getan haben, es einfach zerstören.“ Aber wenn Leute wie Claude Monet oder Francis Bacon ein bisschen Qualitätskontrolle betreiben und ihre eigenen Gemälde zerstören können, warum dann nicht auch Banksy?


Das Buch
Verkauft, gestohlen oder zerstört: Will Ellsworth-Jones dokumentiert in über 40 kuriosen Geschichten Banksys wichtigste verschwundene Werke, „BANKSY LOST WORKS – Die verschwundenen Werke“, Midas Verlag, 28 Euro, www.midas.ch
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 25/25 erschienen.