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Guido Maria Kucsko: Die Kunst ist sein Mandat

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11 min
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©Patrick Schuster

In seinen EPISODES erzählt der Konzeptkünstler und ehemalige Anwalt Guido Maria Kucsko Geschichten, die das Leben schreibt. Ohne aber den Betrachtenden dabei konkrete Geschichten vorzugeben. Vielmehr geht es ihm darum, Türen zu öffnen, in Dialog zu treten, dazu anzuregen, weiterzudenken und nachzufühlen

Als wir den Balkon des Ateliers im Herzen der Wiener Innenstadt betreten, liegt uns Wien zu Füßen. Die sonst so imposanten Fiaker, die auf ihren Routen den Marc-Aurel-Platz kreuzen, wirken von hier oben ganz klein. Der Weitblick ist fesselnd; ermöglicht Sightseeing über den Dächern der Stadt. Der eisgekühlte Campari Soda hilft, der Mai-Hitze zu trotzen und macht die schwindelerregende Höhe zumindest eine Spur erträglicher. Dass hier, im Inneren, Kunst entsteht, lässt sich nicht sofort erahnen. Viel eher erinnert das Loft-artige Atelier in seiner puristischen Schwarz-Weiß-Ästhetik an modernes Wohnen à la Stadt der Träume. Einzig das riesige Schlachtschiff inmitten des Raumes, bei dem es sich auf Nachfrage um einen 12-Kanal-Plotter zur Herstellung großformatiger Pigmentdrucke handelt, lässt auf künstlerisches Handwerk schließen. Ihm entstammen die meist aus zwölf Arbeiten bestehenden Bildserien an den Wänden. Der Mann, der in einigen seiner EPISODES – wie er sie nennt – als Protagonist in Erscheinung tritt, ist Guido Maria Kucsko.

Atelierbesuch bei Guido Maria Kucsko

© VGN | Osama Rasheed

Der Zutritt in sein eigentliches Atelier ist ausschließlich ihm vorbehalten: „Als Konzeptkünstler ist die Kunst Kopfsache“, erklärt er. „Es ist ein Hantieren mit Ideen und dem eigenen Gedankengut – mein eigentliches Atelier ist somit mein Neurocranium, meine Gehirnschale. Da oben sammeln sich all unsere Erfahrungen, Ideen und Erinnerungen. Hier formen sich Erkenntnisse und Entscheidungen – eben auch die kreativen und künstlerischen.“ Um das, was sich im Oberstübchen abspielt, letztlich Betrachtenden zugänglich zu machen, bedarf es dann doch des einen oder anderen Hilfsmittels: „Ohne mein iPhone und mein Notebook geht all das natürlich nicht – irgendwie muss man dem, was sich da oben zusammenträgt, Ausdruck verleihen.“ Dazu nutzt Kucsko Fotos und Textnotizen, die er dann im physisch begehbaren Atelier nachbearbeitet, druckt, rahmt, hängt und Interessierten zugänglich macht.

„Es war eine Offenbarung“

Dass er sich der Konzeptkunst verschrieben hat, kommt nicht von ungefähr: 40 Jahre lang widmet sich Kucsko in seiner Tätigkeit als Jurist ausschließlich geistig-kreativen Lösungen. Dabei waren seine künstlerischen Wurzeln völlig andere: Sein Onkel, ein Jesuitenpater und Altphilologe, war es, der ihm das Tor zur Kunst und damit zu einem völlig neuen Universum bereits im Alter von 10 Jahren öffnete: „Wir waren damals jeden Sonntag im Museum“, erinnert sich Kucsko. „Und haben uns immer nur ein einziges Bild angesehen – haben etwa eine Stunde vor einem Rubens verbracht, ihn in all seine Einzelteile seziert, die Techniken und den Lichteinfall analysiert, den Glanz der Perlen studiert und die Schwere des Samts begriffen. Das hat mir die Relevanz dieser oft schwülstigen Malerei vor Augen geführt. Es war eine Offenbarung.“

Bis Kucsko selbst zu Stift und Pinsel greift, sollen noch ein paar Jahre vergehen. In der Oberstufe wendet er sich gemeinsam mit einem Freund an einen Kunsterzieher, um seiner künstlerischen Intuition zu folgen – um den einstigen kindlichen Zeitvertreib in tatsächliches Schaffen zu verwandeln. Der Lehrer nimmt sich ihrer an, führt sie an das akademische Kunstschaffen heran und lehrt sie die Techniken der Malerei und Grafik, ohne den Nachwuchs ästhetisch zu formen. „Abends, wenn andere Fußball spielten, schickte er uns dann in den Aktzeichenkurs von Fritz Martinz, um den Strich und die proportionale Darstellung zu schulen.“ So entsteht ein Frühwerk, das zunächst zwischen gegenständlicher Malerei und Grafik im Sinne der klassischen Drucktechniken oszilliert.

Die Idee als Epizentrum

Auf elterlichen Wunsch inskribiert er sich an einer Universität. Mit überschaubaren Absichten bat er einen Freund beim Bundesheer, der gerade dabei war sich zu inskribieren, darum, er solle ihn doch gleich mitinskribieren. „Dass ich damit für Jus eingetragen war, habe ich erst später erfahren“, lacht er. Kunst und Jus? Zwei Sparten, die auf den ersten Blick gehörig divergieren. „Folglich war ich mangelnden Interesses ein richtig schlechter Student.“ Bis ihn letztlich ein Professor für Kreativleistungen und den gesellschaftlichen Umgang damit begeistern konnte. Die zentrale Fragestellung: Warum sind manche Ideen schützenswert und andere nicht? Unter dem Aspekt der Frage nach geistigem Eigentum ist der Grad der Divergenz beider Disziplinen weit weniger evident: „Eigentlich steht man damit schon mit beiden Beinen mitten im Feld der Konzeptkunst, die ja per se eine Ideenkunst ist. Sprich, sie hat die Bedeutung der Idee – die, fernab jeder Gefälligkeit, dazu anregt, weiterzudenken – zum zentralen Thema.“ Geht es nach der Konzeptkunst im Amerika der 60er-Jahre, ist sie das eigentlich Entscheidende eines Kunstwerks. Eine Sicht, die Kucsko in seiner Kunst teilt: „Konzeptkunst wird oft als elitär betrachtet, weil sie Wissen oder Kenntnisse voraussetzt, um sie zu verstehen. Ich für meinen Teil möchte Werke schaffen, die in sich geschlossen und rasch erfassbar sind, aber ein Tor in die Tiefe eröffnen. Ein Tor in Richtung Diskussion, die mehr zutage fördern kann, als den zunächst oberflächlichen Witz.“

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The Maybe-Choir. Dieses Still stammt aus einem Video, in dem Konzeptkunst und Juristerei einander begegnen. Auf einfach scheinende Fragen des Künstlers kann der Juristenchor Kucsko stets nur mit „Maybe“ antworten

 © Guido Maria Kucsko

Kann ein Jurist Künstler sein?

Die Kunst hat Kucsko nie für die Juristerei ruhen lassen: „Das hätte auch gar nicht funktioniert“, holt er aus. „Das juristische Fachgebiet hat mich in meiner Kunst zu einem stringenten, konzeptuellen Denken geführt – meine advokatische Tätigkeit und meine künstlerische Herangehensweise waren immer eng miteinander verwoben.“ Dass einem die zündende Idee der nächsten Arbeit vor Gericht kommt, kann dabei schon einmal vorkommen. „Ich habe nie zwei Leben geführt – das eine als Künstler und das andere als Jurist. Es gibt keinen Schalter, den man einfach umlegen kann. Man lebt ein Leben und hat ein Gehirn – zu trennen, ist man nicht wirklich imstande.“ Folglich stellt sich eine Frage, mit der sich Kucsko immer wieder konfrontiert sah: Kann ein Jurist Künstler sein? „Man könnte meinen, dass strukturiertes Spartendenken im 21. Jahrhundert keinen Platz hat. Weit gefehlt: Dabei war doch Kafka auch Jurist und Schnitzler Arzt. Ich bin eben Künstler und Jurist. Wobei ich letzteres mittlerweile hinter mir gelassen haben. Die Kunst ist geblieben – heute ist sie mein Mandat.“ Dass seine Arbeiten in den vergangenen 15 Jahren Einzug in große museale Sammlungen gefunden haben, beruhigt den Konzeptkünstler. „Es freut mich, wenn es ein Verständnis gibt, dass interdisziplinäres Schaffen sehr wohl möglich und auch akzeptiert ist.“

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„Conceptual Artist disappearing in his black Rectangle“ zeigt die Verbundenheit des Künstlers mit seiner Arbeit – „ich steck da drin!“

 © Guido Maria Kucsko

EPISODES – Geschichten vom Leben

Dieser Interdisziplinarität verdankt die Kunstwelt Kucskos Alleinstellung. Seine EPISODES, an denen er seit 2020 arbeitet und die vom Leben erzählen, sind Sinnbild ebendieser: Die in sich geschlossenen Serien changieren zwischen alltäglichen Eindrücken, die zu tiefphilosophischen Fragen führen, aber auch komplexe juristische Fragestellungen thematisieren können. Getragen von der zugrunde liegenden Idee, treffen hierbei Bilder auf Text – ob nun zuerst Idee, Bild oder Text entsteht, lässt sich nicht festmachen: „Die künstlerische Genese variiert“, so Kucsko. Die rohe, ungefilterte Ästhetik seiner iPhone-Fotografien entspricht dabei seiner eigenen, höchstpersönlichen Wahrnehmung. Anders beschrieben: „Meine Kunst ist untrennbar mit mir verbunden – ich stecke da drin.“ Die Arbeit „Conceptual Artist disappearing in his black Rectangle“, in der Kucsko in (s)ein schwarzes Rechteck – das in seinem OEuvre wiederkehrendes Element ist – einsteigt, visualisiert diese Verbundenheit.

Auch in den EPISODES ist das schwarze Rechteck zentrales Element: „Denken wir etwa an Epitaphe und ihre Inschriften, bleibt die Geschichte dahinter oftmals im Verborgenen“, so der Künstler. „Meine Epitaphe hingegen lassen sich wie ein Buch aufschlagen, dazwischen liegen Sequenzen des Lebens – sie stehen am Anfang und am Ende der EPISODES.“ Auch deren Inschrift ist integraler Bestandteil seiner Kunst: „Die Texte, die oftmals Epigrammen gleichkommen und wie Haikus (i.e. japanische Kurzgedichte), ein Gefühl auslösen, säen in Betrachtenden die Saat eines Gedankens – sie sind Denkanstoß und Türöffner, die dazu anregen, weiterzudenken und nachzufühlen.“ Und genau darum geht es Kucsko: Mit Betrachtenden in Dialog zu treten und dabei ein Gefühl auszulösen, eine Idee anzusprechen. Das oberflächliche Augenzwinkern ist gewollt. „Weil wir im Gespräch einander näher sind, wenn der Humor nicht außen vorgelassen wird. Und wer will, geht tiefer.“

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