Sie hat das Reinhardt-Seminar übernommen, als das gesamte Direktorium hinschmiss, und die Festspiele von Reichenau, als dort Konkurs drohte. Gelungen ist der Schauspielerin Maria Happel immer alles, gedankt wurde ihr nicht immer. Jetzt probt sie für ihr Festival einen spektakulären „Sommernachtstraum“
Was halsbrecherische Rettungseinsätze betrifft, würde die Schauspielerin Maria Happel, 62, in der ihr eigenen energetischen Unerschrockenheit auch bei den Feuerspringern beste Figur machen. Heuer zum Beispiel rettet sie namens der Festspiele von Reichenau, die sie schon anno 2022 per Blitzübernahme vor der Schließung gerettet hat, auch das endlos brachliegende Südbahnhotel auf dem Semmering vor dem Totalzusammenbruch seiner künstlerischen Bespielung.
Dass in dem charismatisch verdämmernden Gemäuer sommmers Theater gespielt wird, ist nicht neu. Zuletzt wurden dort anno 2023 Paulus Mankers ikonische Kreationen „Alma“ und „Die letzten Tage der Menschheit“ überrannt. Die Causa endete bekanntlich vor zahlreichen Richtern. Die sich daraufhin ausbreitende Bespielungsdürre beendet nun Maria Happel mit der ihr eigenen Vehemenz, und zwar als Intendantin der koproduzierenden Festspiele von Reichenau und Regisseurin von Shakespeares „Sommernachtstraum“.
Die 25 Aufführungen sind trotz zweier Zusatzvorstellungen ausverkauft, und das verwundert nicht, denn hier findet einander ab 4. Juli ein generationenübergreifendes Edel-Ensemble.
„Das Südbahnhotel“, sagt Maria Happel, „ist an sich schon ein Hauptdarsteller.“ Sie selbst hat hier ein schönes Stück Geschichte lagernd, aus dem Jahr 2009, als ihre zweite Gastregie im Kosmos Reichenau eine Dramatisierung von Doderers „Strudlhofstiege“ betraf.
Das Publikum wandert
Jetzt hofft man, das vom Hoteleigner Christian Zeller versprochene bespielbare Hotel vorzufinden, wenn die Bühnenproben beginnen.
Wobei die Bühne, durchaus Manker-orientiert, drei Etagen umfasst. Das Publikum bewegt sich als geschlossene Gruppe von Schauplatz zu Schauplatz, beginnend im Foyer. „Die Natur ist überall, rundherum. Sie ist der größte Kulissenschieber aller Zeiten, der uns jeden Tag eine andere Vorstellung beschert.“ Man darf hoffen, dass die Fachkraft viel von ihrem Repertoire auspackt, denn der „Sommernachtstraum“ ist ein Stück purer, anarchischer Wildnis, die in die Zivilisation eindringt. „Das Publikum geht auf eine Zeitreise, es checkt in einem Hotel der Jahrhundertwende ein, da gibt es Zimmermädchen, Köchinnen, Dienstmädchen, die dann zu Elfen werden. Und es gibt noch eine zusätzliche Figur, einen uralten, von Martin Schwab gespielten Poeten als Bindeglied zwischen Shakespeare, Hofmannsthal und Schnitzler. Einen Sprachverwalter in sprachloser Zeit.“
Heute ist der Semmering Maria Happels Heimatort. Als sie dort 2009 die „Strudlhofstiege“ inszenierte, sah sie vom Hotelzimmerfenster aus, wie das Haus gebaut wurde, das sie viele Jahre später erwerben konnte. Als es zufällig frei wurde, fuhr sie mit ihrem Mann, dem Schauspieler Dirk Nocker, zur Besichtigung. „Das Tor stand offen, wir standen auf der Terrasse und haben ins Tal geguckt. Und dann hat mein Berliner zu mir gesagt: Ach weeßte, Mariechen, hier möchte ick mit dir alt werden.“
Jetzt zieht sie im nahen Reichenau ein feines, elegantes Programm nach Art des Hauses hoch: Namhafte Schauspieler – mehr im nebenstehenden Programmkasten – treffen auf die besten Jungen und ein Repertoire zwischen textgenau dargebotener Klassik und unterhaltsamer Gegenwart. Der Vorverkauf lag einen Monat vor Eröffnung bei 80 Prozent.
Es gibt zu viele Schulen, und jeder, der ein Tablett über die Bühne getragen hat, nennt sich Schauspieler

Reichenau war am Ende
So war das seit Kritikergedenken gewesen. Und doch waren die Festspiele erst vor vier Jahren der Liquidierung näher als dem Fortbestand. Nach 42 schwerelosen Jahren hatte man 2020 unter dem Zugriff der Pandemie den Betrieb eingestellt. Andere hielten das auch so, aber die konnten sich unter dem staatlichen Schutzschirm ein langes, oft kreatives Atemholen genehmigen. Für Privatunternehmen war dergleichen nicht vorgesehen. Im Jänner 2021 verdächtigte dann ein Rechnungshof-Rohbericht das Gründerehepaar Loidolt intransparenter Geschäftsgebarung und regte die Rückforderung enormer Subventionen an. Daraufhin traten beide empört zurück und sagten zuvor den Festspielsommer 2021 ab.
Nach eiliger Ausschreibung stand alsbald eine der namhaftesten Schauspielerinnen des Landes als Intendantin fest: Maria Happel, heute 62, geboren im literaturnotorischen Spessart und seit Peymann Fulminanzbestand des Burgtheaters, improvisierte binnen Monaten ein Mischprogramm aus Ererbtem und Selbsterfundenem.
Land und Gemeinde Reichenau stiegen finanziell ein, und für junge Schauspieler öffnete sich der Weg in die Wahrgenommenheit: Maria Happel, die ein Jahr zuvor die Leitung des Reinhardt-Seminars übernommen hatte, bezog ihre Studenten in die Planung ein.
In solchem Ausmaß profilierte sie sich als kreative, begeisternde Führungskraft, dass sie bald als Kandidatin für alles Freiwerdende genannt wurde. Das Burgtheater wurde es nicht, Maria Happel fühlt sich dort nach den nicht einfachen Kusej-Jahren bei Direktor Stefan Bachmann gut aufgehoben und spielt zwei Premieren pro Saison.
Schmutzige Intrigen
Aber für das Volkstheater nach der Katastrophenintendanz des Deutschen Kay Voges schien sie beinahe gesetzt und wurde auch für die im kommenden Herbst neu besetzte Josefstadt genannt.
Da schlug der Blitz ein wie zuletzt bei vielen Herausragenden: Anonyme Studenten lancierten eine Zeitungskampagne, derzufolge im Seminar repressive Zustände herrschten, zum Beispiel, weil Happels Stellvertreterin jemanden zum Weinen gebracht habe! Zahlreiche große Kollegen wiesen den Stumpfsinn zurück, aber Maria Happel trat als Leiterin zurück, und die Aussichten, ein Theater zu übernehmen, waren wegintrigiert.
Im vergangenen Februar gab sie auch die Lehrtätigkeit auf. „Ich habe noch einmal ein Semester angehängt, weil ich für mich einen anderen Abschluss haben wollte, und mich dann verabschiedet. Freiwillig, Ich habe einfach gemerkt, dass es mich nicht mehr freut.“


Hiob nach Joseph Roth, inszeniert von der herausragenden Alexandra Liedtke, mit Julia Stemberger und Joseph Lorenz
Aus dem Nichts
Begonnen hatte sie mit der ihr eigenen Unerschrockenheit: Das komplette Direktorium war nach Differenzen zurückgetreten, die prominente und erfolgreiche Lehrkraft übernahm fliegend. Am 1. März 2020 trat sie an, am 11. musste sie pandemiebedingt schließen. Den „Unterricht im Briefmarkenformat am Computer“ bewältigte man kreativ: Pia Zimmermann, jetzt im „Sommernachtstraum“, war die Zofe Franziska und Caroline Baas, heute erste Adresse im Niederösterreichischen Landestheater, die Titel-Minna in Lessings Komödie. Sie interagierten aus ihren privaten Badezimmern in Berlin bzw. Bayern.
Maria Happel nennt Schüler wie Paul Basonga von der Burg oder Nils Arztmann, der gerade als junger Kreisky vor der Kamera steht. Auch beide Liebespaare im „Sommernachtstraum“ kommen aus diesem Stall. „Es gibt ja den klugen Spruch, den wahren Meister erkennt man an seinen Schülern. Jetzt treten sie mit Martin Schwab und Barbara Petritsch auf, eine Zeitspanne von 60 Jahren. Eine bessere Schule gibt es gar nicht für die jungen Leute.“ Denen soll jetzt die Chance eröffnet werden, Intendanten einzuladen und sich auf der Bühne zu präsentieren, nachdem ihnen die Pandemie die Abschlussvorstellungen gestohlen hat.
Die anonymen Denunzianten vom Seminar sind ihr mittlerweile bekannt, sie will da nichts mehr aufrühren. „Anonyme zielen im Hintergrund auf jemanden, der sich nicht wehren kann“, kommt sie auf vergleichbare Tumulte und dann auf Grundsätzliches. „Es müssen halt in den Seminaren auch jedes Jahr genügend Menschen aufgenommen werden. Die Kapazitäten haben wir gar nicht mehr an den Theatern. Es gibt insgesamt zu viele Schulen, und Schauspieler ist ja kein geschützter Beruf. Jeder, der einmal ein Tablett über die Bühne getragen hat oder nicht einmal das, kann sich Schauspieler nennen. Einige können sich mit Netflix retten, aber dass jemand mehr als fünf Jahre mit einer Serie versorgt ist, glaube ich nicht.“
Und die Tochter!
Paula Nocker, die Tochter, ist ein glücklich besetztes Thema. Sie glänzt an der Volksoper als Eliza Doolittle in „My Fair Lady“ und im Ensemble der „Josefstadt“ und wurde mit kommender Saison vom neuen Volkstheaterdirektor Jan Philipp Gloger abgeworben.
Da hat Maria Happel voll mütterlicher Freude eine Geschichte zu erzählen. Die Tochter verfehlte in letzter Runde die Aufnahmsprüfung ans Reinhardt-Seminar. „Da hat sie gesagt, na gut, dann war es das, und hat angefangen, Volksschulpädagogik zu studieren. Es war wie früher. Sie kam nach Hause und hat gesagt: ,Mama, hilfst du mir beim Basteln?’ Das Leben war in Ordnung.“ Dann suchte die Josefstadt desperat eine Lucy für die „Dreigroschenoper“, und da die Brecht-Erben keine Adaptionen dulden, obwohl die Rolle irrsinnig hoch ist, wurde die eine genommen, die solche Höhen vorweisen konnte.
Aber ein Theater hätte die Energetikerin Maria Happel doch gern geleitet. „Ja, schon.“ Pause. „Aber ich hab ja eins.“


Maria Happel
Geboren am 16. Oktober 1962 in Elsenfeld, Spessart, studierte in Hamburg Schauspiel, wurde 1991 von Claus Peymann an die Burg engagiert, wechselte 2000 ans Berliner Ensemble, ist seit 2002/2003 wieder an der Burg. Leitete 2020 bis 2023 das Reinhardt-Seminar. Seit 2021 Intendantin in Reichenau. Kainz-Medaille, Nestroy-Preis und andere Auszeichnungen.
Sie ist mit dem Schauspieler Dirk Nocker verheiratet und hat zwei Töchter. Paula Nocker ist eine erfolgreiche Schauspielerin.
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 25/25 erschienen.