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Şinasi Bozatli: "Eigentlich sollte ich Archäologe sein!"

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©Patrick Schuster

In seiner Malerei begibt sich der kosmopolitische Künstler Şinasi Bozatli auf Spurensuche. Inspiriert von zahlreichen Reisen, schafft er abstrakt-expressive Arbeiten, die Betrachtenden einen Augenblick Freiheit schenken sollen.

Video: Atelierbesuch bei Şinasi Bozatli

© VGN | Osama Rasheed

"Kaffee?“, fragt Şinasi ­Bozatli noch ehe die Türschwelle in sein Wohnatelier überschritten ist. Türkische Gastfreundschaft eben. Das Türkische legt er ab, als er zwei Löffel Löskaffee in kochend heißes Wasser rührt. „Meine Ahnen wären wohl nicht stolz darauf“, kommentiert er scherzhaft. Und fügt hinzu: „Ich bin eben längst ein Austro-­Türke.“ Mit dem sofortigen Verweis, dass er für derart nationalistisches Denken und übersteigerte Zugehörigkeitsgefühle ohnedies wenig überhabe. Beides gelte es abzulegen. Sein künstlerische Ziel: „Betrachtende meiner Kunst sollen sich von Engstirnigkeit loslösen und zumindest für den Moment des Betrachtens frei sein können.“

Als wir in der Biedermeier-Sitzgruppe seines Vorraums vor den zwei dampfenden Tassen Löskaffee – der überraschenderweise deutlich besser schmeckt als man vermuten möchte – zu versinken drohen, deutet er auf ein gerade fertiggewordenes Bild, das vis à vis an einer der hohen Altbauwände lehnt. Und unterstreicht: „Unser Universum“, springt der in seinen vom Zufall tachistisch-gestalteten Malerkittel gehüllte Künstler auf, um sich dem großformatigen, abstrakt-expressiven Farbkosmos zu nähern. „Und das hier“, so Bozatli, der mit gestrecktem Finger mahnend auf einen leuchtend gelben Punkt, kleiner als ein Quadratzentimeter, zeigt, „das ist unser Sonnensystem. Und bloß ein winzig kleiner Teil davon ist unsere Erde, die wir mit rund 8,2 Milliarden Menschen teilen.“ Was er damit zum Ausdruck bringen möchte? „Betrachtet man also das große Ganze, sind wir – ungeachtet unserer Herkunft und Religion – alle Menschen. Und genau darauf sollte man stolz sein …“

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Seine Anfänge findet Bozatli in der figurativen Malerei – zunächst setzte er sich mit seinen Wurzeln auseinander, ehe er seine Reflexion auf weitere Kulturen ausweitete

Mit kosmopolitischem Weitblick

Zuhause fühle sich der Kosmopolit, der heute zwischen Wien, Ankara, Bodrum und New York pendelt und arbeitet, immer dort, wo er sich gerade aufhält. „Wenn ich durch die Straßen Wiens gehe, fühl ich mich genauso wenig als Türke, wie in den USA als Österreicher – ich bin einfach da, im Hier und Jetzt.“ Sich darauf einzulassen und anzupassen, sei ausschlaggebend. Nur wenn das gelingt, könne man sich überall zuhause fühlen. Außerdem wichtig: ein regelmäßiger Tapetenwechsel. „Bloß nicht sesshaft werden“, mahnt er mit breitem Grinsen. „Ehe man sich versieht, beginnt man, von einem ‚bei uns‘ zu sprechen und damit verfällt man in Gewohnheit, die einen im Genuss einschneidet – das engt ein.“

Und für Enge ist in Bozatlis Welt kein Platz. Immerhin stünde sie seinem Schaffen diametral entgegen. Sein kosmopolitisches Dasein spiegelt sich sinnbildhaft in der Vielschichtigkeit seines Œuvres wider. Dennoch scheint es, als wäre er – anders als im echten Leben – in der Kunst längst angekommen: Die Malerei scheint, zumindest heute, Medium seiner Wahl zu sein. Das Talent dafür hatte man früh erkannt – und gefördert. Für seine Eltern stand schnell fest: der Sohn wird weder Anwalt noch Mediziner oder Ingenieur. Wie einst Picasso, der neben Matisse und Cézanne größtes Vorbild des Künstlers ist, war auch Bo­zatli früh der Überzeugung, er könne nichts anderes, außer malen und zeichnen. „Darin war ich immer gut – ganz im Gegensatz zu den Hauptfächern“, schmunzelt er. Die Matura? Ein quälender Kampf. Die Aufnahmeprüfung an der Akademie in Gazi, wo Bozatli Malerei und Bildhauerei studierte, gelingt hingegen auf Anhieb. Doch seine Entscheidung, als Künstler leben zu wollen, forderte ihren Tribut: „Als ich beim Vater meiner ersten großen Liebe um deren Hand anhielt, hat er mich davongeschickt.“ Einen Künstler, dessen Zukunft ungewiss ist, könne man nicht heiraten. Vor allem nicht in der Türkei der 70er-Jahre.

Wien statt New York

Noch heute erinnert eine Skulptur, die den Innenhof des Pressezentrums des Journalistenverbands in Ankara ziert, an Bozatlis erste große Liebe. Damals, Mitte der 80er-Jahre, entstanden einige dieser Auftragsarbeiten – damals schien die Skulptur präferiertes Ausdrucksmittel des Künstlers gewesen zu sein. 1986 übersiedelt der damals 25-jährige Künstler der Liebe wegen nach Wien. Aus einem geplanten Zwischenstopp wird Bozatlis neues künstlerisches Zuhause. „Eigentlich wollten meine damalige Frau – eine Wienerin – und ich nach New York“, erinnert er sich. Doch seine erste Wien-Ausstellung veranlasst das Paar, seine Pläne zu überdenken. „Helmut Zilk hatte die Ausstellung eröffnet“, freut sich Bozatli über den damaligen Erfolg. „Er meinte, warum wir nach New York wollen, wo ich den Traum von der Kunst doch mit so vielen teilen müsste – hier in Wien wären die Voraussetzungen viel bessere.“

Bozatli, der bereits studierter Künstler war, wird 1987 schließlich an der Angewandten vorstellig. In Anbetracht seiner Mappe mit bereits im öffentlichen Raum installierten Skulpturen fragten Bertoni, Frohner und Oberhuber unisono, was er denn überhaupt noch hier an der Hochschule suche. Begeistert von der Reife des Werks, ist es schließlich Oswald Oberhuber, der sich seiner annimmt. Als Verfechter des steten Wandels nährt er den Bozatli innewohnenden Stilpluralismus – sein Werk oszilliert zwischen den Polen der Grafik, Malerei und Skulptur. Bis Letztere fast schlagartig aus Bozatlis Œuvre verschwindet. Eine Autoimmunerkrankung, die schweres Heben unmöglich macht, zwingt ihn, die Bildhauerei aufzugeben.

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Schließlich ebnete er sich seinen Weg über geometrische Formen in die grenzenlose Welt der Astraktion

Malerei im Mittelpunkt

Fortan wird die Malerei zu seiner künstlerischen Heimat. „Die Grafik wäre mir in ihrer Zweidimensionalität schlicht zu flach“, so der Künstler. „Da fehlt es an allen Ecken und Enden an Tiefe.“ Bozatlis Malerei – die er immer wieder um grafische Elemente anreichert – hilft ihm dabei, seine Sehnsucht nach Skulptur zumindest ansatzweise zu stillen. Mit ihren reliefartigen, pastösen Strukturen erarbeitet er sich eine Bildsprache, die einem Befreiungsschlag in Richtung Dreidimensionalität gleicht. Doch ehe Bozatli dieses malerische Experiment startet, beginnt auch er zunächst figurativ: Als eine Art Reflexion der eigenen Wurzeln, beschäftigt er sich zu Beginn mit der über 4.000 Jahre alten Kultur der Hethiter, ehe Kulturen aller Welt Gegenstand seiner künstlerischen Auseinandersetzung werden. Nach etlichen Jahren der Figuration emanzipiert er sich letztlich von der Gegenständlichkeit. „Das ist, als würde man tagtäglich das gleiche essen – das kann noch so gut schmecken: irgendwann wird alles langweilig.“

Ende der 90er Jahre wird Bozatlis Narrativ zusehend abstrakter: „Die Ab­straktion gleicht einem endlosen Kosmos, der die Möglichkeit bietet, sich immer wieder neu zu erfinden“, so der Verwandlungskünstler. Seine abstrakten Anfänge gründen auf den Serien „Verkettungen“ und „Verbindungen“ – der Kreis wird darin zum wiederkehrenden Motiv. „Er symbolisiert einerseits Ringe und andererseits Ketten – während beides für Zugehörigkeit steht, so sind Erstere positiv besetzt und Zweitere negativ behaftet“, führt er aus. Deshalb spreche er lieber von Ringen. „Ketten gehören gesprengt – wir haben schließlich nur ein Leben.“

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In seinen jüngeren Arbeiten begibt sich der Künstler – inspiriert von zahlreichen Reisen – auf landschaftliche Spurensuche

Archäologie des Abstrakten

So befreit sich Bozatli letztlich auch von seinen abstrakt-geometrischen Formen. Seine Bildsprache wird luftig-leicht, ehe sie sich mit fortschreitender Genese erneut zu verdichten beginnt. Zum besseren Verständnis führt er in sein Wohnzimmer, wo gerade zwei großformatige Leinwandarbeiten, die er für eine Ausstellung auf Mallorca vorbereitet, auf Vollendung warten. Sanft gleiten seine Fingerkuppen über die noch nicht vollends getrocknete Acrylfarbe. Acryl deshalb, weil ihm Terpentin Kopfschmerzen bereitet. Außerdem entsprechen die Eigenschaften der Acrylfarbe eher seinem Charakter: „Mein Malprozess ist ein schneller und sehr flüssiger – die kurze Trocknungszeit spielt mir dabei in die Karten. Stillstand ist nicht gerade meine Stärke.“ Trotz der Schnelligkeit im Schaffen sind gerade einmal 20 Prozent vom Zufall geleitet. Wie genau aber ein Bild am Ende aussehen wird, weiß er zu Beginn nicht. „In meinem Kopf ist nichts als Unendlichkeit und da suche ich mir zurecht, was passt und setze es zusammen.“ Sollte eine Schicht nicht gefallen, wird sie kurzerhand übermalt.

„Siehst du, wie die untergehende, afrikanische Sonne“, ertastet er das Relief. „Die Textur meiner Arbeiten lässt sich mit Bergen, Tälern und Ozeanen vergleichen.“ Inspiriert durch die Eindrücke zahlreicher Reisen nach Afrika, in den mediterranen Raum und die Karibik, gleicht Bozatlis Malerei einer landschaftlichen Spurensuche. „Eigentlich sollte ich ein Archäologe sein.“ Wie diese strukturellen Spuren entstehen? „Wenn die Kreativität einen erstmal heimsucht, entdeckt man in allem ein Arbeitsgerät“, deutet er auf asiatische Essstäbchen. „Moment“, entschuldigt er sich in Richtung Küche. Sekunden später kehrt er mit einem Schneebesen wieder und spritzt damit pastöse Farbkleckse auf die entstehende Arbeit. Wobei er selten von Farbe spricht. Was er damit vermitteln möchte, sind nichts anderes als unterschiedliche Lichtstimmungen in der Landschaft. Oder eben im Universum. „Ohne Licht keine Farben“, gibt er zu verstehen.

Kulturtipp

Vom 11. bis 31. Oktober sind Bozatlis jüngste Werke in der Galeria HMH auf Mallorca zu sehen.

In Wien wird der Künstler durch die galerie artziwna vertreten. Zu sehen sind Arbeiten aus den unterschiedlichsten Schaffensphasen des Künstlers.

artziwna.com

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