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Spitzentöne: Salzburger Festspiele – Wohin steuert die Schauspielsparte?

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August Diehl als Dr. Garin in „Der Schneesturm“

©Salzburger Festspiele / Sandra Then

Zum Finale der Salzburger Festspiele bleibt die Frage nach der Zukunft der Schauspielsparte. Sie präsentierte sich heuer ansehbarer als zuletzt. Aber wer sie künftig leiten soll, entscheidet sich erst im Herbst. Intendant Hinterhäuser in Doppelfunktion oder wechselnde Kuratoren wären vorstellbar.

Jetzt ist die schöne, aber fordernde Pendelmission nach Salzburg auch schon wieder abgedient. Zuletzt habe ich noch auf der Pernerinsel in Hallein Vladimir Sorokins „Schneesturm“ gesehen, eingerichtet von Kirill Serebrennikov, der hier in seinem Element hätte sein müssen: Autor und Regisseur sind russische Regimegegner im Berliner Exil, beider Themen sind die Perversion der Macht und die kulturhistorische Größe der verlorenen Heimat.

Tatsächlich beruft sich Sorokins originell ins Absurde überdrehende Dystopie aus dem Jahr 2010 bis ins Detail auf Tolstois „Schneesturm“ und Tschechows „Pferdediebe“: Ein Arzt versucht, durch einen ungeheuren, gleißenden, rasenden Schneesturm zu einer Enklave vorzudringen, um deren Bewohner gegen ein Virus zu impfen, das sie zu Bestien macht. Das kann man gut als Widerstandstext lesen.

Von konsolidierten Verhältnissen ist die Schauspielsparte seit Menschengedenken ein Stück entfernt

Überraschend beschränkt sich das Ereignishafte des Abends aber auf den Unterschiedspieler August Diehl, der damit vom Film auf die Bühne zurückgekehrt ist. Man hätte ihm begeistert zugesehen, auch wenn er nicht im Cinemascope-Format auf drei Videowände übertragen worden wäre. Auch das plärrende Gesichtsmikrofon hätte er nicht gebraucht. Leider musste er den lärmenden, trommelnden, Schubert beleidigenden Turn- und Gesangsverein niederschreien, der ihn nicht und nicht arbeiten ließ. Mit jeder der zwölf Viertelstunden wuchs meine Sehnsucht nach einem puren Tolstoi oder Tschechow (gern auch Sorokin) in Diehls Händen.

Krisenbiotop Schauspiel

So bleibt der mittlerweile gekündigten Spartendirektorin Marina Davydova von zwei überschaubar geglückten Saisonen das Hauptverdienst, Diehl zurückgeholt zu haben. Dabei war das Gebotene im Gegensatz zu ihrer horriblen Einstandssaison heuer diskutierbar. Aber von konsolidierten Verhältnissen ist die Schauspielsparte, schicksalhafte Nummer drei hinter Oper und Konzert, dennoch ein Stück entfernt.

Und das seit Menschengedenken. Um sich an diesbezüglich konfliktfreie Zeiten zu erinnern, muss man sich zuerst in die frühesten Neunzigerjahre bemühen: Der belgische Radikalreformer Gerard Mortier war nach Salzburg berufen worden, um die Festspiele aus der panischen Lethargie nach Karajans Tod zu erlösen. Als Schauspieldirektor konnte er Peter Stein verpflichten, ein maßloses Genie von ebensolchen Ansprüchen. Der kluge Kunstminister Rudolf Scholten stellte deshalb ein Sonderbudget zur Verfügung, und Stein drang mit breitwandigen Shakespeare-Inszenierungen vom Zimmer-Kuchl-Kabinett-Betrieb im Landestheater bis in die imperiale Felsenreitschule vor.

Es kam, wie es kommen musste: Mortier brauchte die Festspielhäuser für sein Opernprogramm und exilierte größer dimensionierte Schauspielproduktionen auf die dafür adaptierte Pernerinsel im fernen Hallein. Als dann auch noch das Sonderbudget verbraucht war, begann der Streit um Geld und Bedeutung, der seither nur zur Ruhe kam, als Schauspieldirektor Sven-Eric Bechtolf kurzfristig sein eigener Intendant wurde.

Wohin mit dem Schauspiel?

Ebendiese Doppelfunktion übernimmt für den Sommer 2026 Hinterhäuser, ein Homme de Lettres, der als Übersetzer italienischer Literatur akklamiert wurde und dessen schon ruchbar werdende Programmfragmente Interessanteres versprechen als der Ausstoß von eineinhalb Fachdirektorinnen vor ihm.

Bliebe es bei dieser Konstellation, etwa unter Beiziehung eines Dramaturgen, wäre das gewiss eine ansehbare Lösung. Ebenso kann man sich das Schauspielprogramm unter der Verantwortung wechselnder Gastkuratoren vorstellen.

Und noch etwas lässt sich aus dem soeben finalisierten Programm hochrechnen: Auch abgesehen vom quasi exterritorialen „Jedermann“ waren die Theateraufführungen atypisch gut besucht. Ausgenommen war ein von mir nicht gesehener Viereinhalbstünder des Franzosen Julien Gosselin, von dem sich das spärliche Publikum bei laufenden Ereignissen fluchtartig verabschiedete. Weshalb das so schlimm gewesen sein soll, kann ich nicht beantworten: Bei den Wiener Festwochen hat Gosselin eben erst Respektables vorgewiesen.

Was das Schauspiel braucht

Aber genau im Unterschied zu Milo Raus ungestümem Aktivismus mag die Antwort zu suchen sein: Seit Reinhardts simultaner Salzburger „Faust“-Stadt, die dann wundersam auch auf die schmale Josefstadt-Bühne passte, war das Profil vorgegeben, von Steins „Caesar“ über Andrea Breths „Verbrechen und Strafe“ und Kusejs „Ottokar“ bis zu den vergleichsweise schmächtigen „Letzten Tagen der Menschheit“ in diesem Sommer: Idealerweise ging es um die Konzentration herausragender Schauspieler auf große, möglichst unbehelligte Texte. Bleibt davon gar nichts – wie bei Nicolas Stemanns beschämender „Orestie“ im Vorjahr –, fährt schlimmstenfalls gleich die Schauspieldirektion mit in den Abgrund. Aber erhellt wenigstens ein Ausnahmeformat wie Diehl den Schneesturm, verzeiht man einiges.

Diehl übrigens war einst eine der zentralen Personen im Kosmos der großen Andrea Breth, die mit Faurés „Penelope“ soeben ereignishaft an der Münchner Oper debütiert hat. Zuvor wurden in Aix „Salome“ und „Butterfly“ aus der Breth’schen Wunderkammer gefeiert. Ihre Kunst der Schauspielregie kann man in der nun beginnenden Saison an der Josefstadt begutachten. Aber dass sie bei den Rieseninstituten, in denen sie am nötigsten gebraucht würde, unbeschäftigt ist, und das auch noch spartenübergreifend: Das weist in die Abgründe österreichischer Selbstbeschädigungsversessenheit.

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Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr.35/2025 erschienen.

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