Der „Jedermann“ gab bereits den Auftakt, am 26. Juli 2025 hebt sich der Vorhang für die erste Opernproduktion, Händels „Giulio Cesare in Egitto“. News traf den Intendanten Markus Hinterhäuser zum Gespräch über sein Programm, den bevorstehenden Umbau der Festspielhäuser und die Zukunft des Schauspiels.
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Auf der Bühne des Großen Festspielhauses prangen zwei gigantische Drehscheiben, eine dritte hängt von der Decke. Alle drei befinden sich in ständiger Rotation. Wer die Inszenierungen des deutschen Regisseurs Ulrich Rasche kennt, wird das monumentale Räderwerk gleich als dessen Bühnenmaschinerie identifizieren. Die gelangt nun für Donizettis „Maria Stuarda“ zum Einsatz, eine der zentralen Opernproduktionen der aktuellen Salzburger Festspiele.
Die beiden Scheiben auf der Bühne symbolisieren die Machtblöcke. Auf einer thront die schottische Königin Maria Stuart, auf der anderen ihre Cousine und Rivalin, Elisabeth I. von England, die am Ende Maria enthaupten lässt.
Als Markus Hinterhäuser im Oktober 2016 die Intendanz in Salzburg übernahm, war die westliche Welt noch in Ordnung. Da war Krieg etwas, das auf anderen Kontinenten stattfand. Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine 2022 und seit dem Terroranschlag der Hamas auf Israel gehören Nachrichten über kriegerische Auseinandersetzungen, die nur einige hundert Kilometer von uns entfernt sind, zum bitteren Alltag. Das manifestiert sich auch in der Kunst: Im neunten Jahr seiner Intendanz ergründet Hinterhäuser die Mechanismen der Macht.
Einer der angesagtesten Regisseure der Gegenwart, der gebürtige Russe Dmitri Tcherniakov, setzt Händels „Giulio Cesare in Egitto“ am Eröffnungswochenende in Szene. Die französische Dirigentin Emmanuelle Haïm steht am Pult ihrer Originalklangtruppe.
Bevor sich dafür der Vorhang hebt, nahm sich Hinterhäuser Zeit für ein Gespräch über sein Programm und die nächsten Herausforderungen. Davon gibt es genug: Die abrupte Trennung von der Schauspielchefin, Marina Davydova endete im Einvernehmen. Aber über die Zukunft des Schauspiels muss nach den Festspielen diskutiert werden. Den Sommer 2026 hat Hinterhäuser bereits selbst geplant. Das nächste fordernde Großprojekt ist der Umbau des Festspielbezirks, der das Große Haus 2028 und 2029 unbespielbar machen wird.
Herr Hinterhäuser, wie blicken Sie den ersten Premieren entgegen?
Für mich ist es sehr anregend, wenn ich beobachte, wie sich alles entwickelt und zu einem Ganzen fügt. Es ist ein Festspielsommer, der einiges an Überraschungen und Wagnissen bereithält.
Meinen Sie damit die Produktionen am Eröffnungswochenende? Händels „Julius Cäsar in Ägypten“ erzählt vom Krieg. Peter Sellars kombiniert Schönbergs „Erwartung“ mit „Abschied“ von Gustav Mahler.
Wagnis als Spekulation ist ganz und gar uninteressant, genauso wie Provokation als Strategie ganz und gar uninteressant ist. In den von Ihnen erwähnten Werken geht es um einen klar definierten, klugen Umgang mit dem Menschsein und mit dem, was uns in der Welt oder von der Welt aufgebürdet wird. Auch in „Maria Stuarda“ werden ganz entscheidende Fragen gestellt, mit denen wir Tag für Tag konfrontiert sind. Das bedeutet aber nicht, dass auch Antworten gegeben werden. Wir sind in einer Art Endspielsituation. Ob Kriege, Migrations- oder Umweltprobleme, die immer unverhohlener werdenden Angriffe auf die liberale Demokratie: Vieles von dem, was wir jeden Tag „geboten“ bekommen, übersteigt unser Vorstellungsvermögen. Wir sind bei den Festspielen nicht dazu aufgerufen, eine Wohlfühlzone zu proklamieren. Wir sind aufgerufen, über die Welt nachzudenken. „Giulio Cesare“ ist ein einziger Kampfplatz, ein einziges Gegeneinander, niemand, aber wirklich niemand, wird verschont. Am Ende steht die Erkenntnis, dass all diese Kämpfe vollkommen sinnlos sind.
Wir sind bei den Festspielen nicht dazu aufgerufen, eine Wohlfühlzone zu proklamieren
Von sinnlosen Morden erzählt auch Verdis „Macbeth“, den Sie in der furiosen Inszenierung von Krzysztof Warlikowski aus dem Jahr 2023 wieder aufnehmen.
Macbeth gehört tatsächlich zu den schonungslosesten und dunkelsten Analysen der Macht. Die Grausamkeit der Macht, der Irrsinn der Macht, das Irrewerden an der Macht und auch die Lächerlichkeit der Macht. Und dann kommen wir zu „Maria Stuarda“. Was den Komponisten an Schillers fantastischer Vorlage interessiert hat, sind die letzten Stunden vor der Hinrichtung Maria Stuarts. Bei ihrem Gang zum Schafott wird klar, was sie in ihrem Kleid eingewebt hat: „In my end is my beginning“. Sie inszeniert sich als katholische Märtyrerin, ganz im Gegensatz zur Protestantin Elisabeth von England. Stefan Zweig sprach im Zusammenhang von Maria und Elisabeth von einer „großen welthistorischen Antithese“. Endspiele, apokalyptisches Denken hat es in jedem Moment der Menschheitsgeschichte gegeben. Im letzten Buch des Neuen Testaments erscheint die „Apokalypse“ des Johannes als Offenbarung. Jeder Vision vom Ende der Welt wohnt also der Wortbedeutung nach auch die Vision eines neuen, auch tröstenden Himmels inne. Einen nahezu kosmischen Trost erfahren wir in Mahlers „Lied von der Erde“ in der Inszenierung von Peter Sellars. In Peter Eötvös’ Oper „Drei Schwestern“ sieht man diesen merkwürdigen Zustand der Illusionslosigkeit, das Verschwinden aller Träume, aller Wünsche, aller Hoffnung. Und dennoch bleibt immer der alles bestimmende Gedanke: Es wird weitergehen, wir werden dort hinkommen, wo wir hinkommen wollen.
Donizettis Belcanto-Oper inszeniert der Theaterregisseur Ulrich Rasche. Wie kamen Sie auf ihn?
Ich habe ihn lange zu dieser Oper hin verführt. Mich hat der Kontrapunkt, die Dialektik zwischen dem, was in dieser unfassbar schönen Belcanto-Oper musikalisch erlebbar ist, und der Monumentalität von Rasches Bühnenarchitektur interessiert. Diese Maschinerie aus drei riesigen Scheiben, die ständig in Bewegung sind, ist wie geschaffen für dieses Königinnendrama. Eine dieser Scheiben könnte Schottland sein, eine andere England und dann gibt es dahinter noch eine immens große dritte Scheibe, die unter anderem eine fantastische Reflexionsfläche für die Stimmen ist.
Das Zeitgeschehen schwingt wieder in Ihrem Programm mit, Machthaber und kriegerische Auseinandersetzungen stehen im Zentrum. Kann man auch das aktuelle Programm der Festspiele als Kommentar zur Weltlage interpretieren?
Nächstes Jahr wird es vielleicht anders sein. Ich programmiere nicht auf dem Reißbrett. Manches passiert mir auch. Das ist ja das Schöne. Es ist so eine Mischung aus Interesse an den Stücken und vielleicht auch aus Intuition. Ich bin planetenweit davon entfernt, irgendeine Art von Belehrung vorzunehmen. Für mich ist die Untersuchung von Kunstwerken, auch im Hinblick auf das, was sie uns heute zu erzählen vermögen, von allergrößter Wichtigkeit. Weder können wir so tun, als würden wir in einem politikfreien Raum leben, noch ist je ein großes Kunstwerk in einem politikfreien Raum entstanden. Mit Tagespolitik hat das weniger zu tun. Deren Trostlosigkeit interessiert mich auf der Bühne nicht. Das Entscheidende ist das Öffnen eines Denkraums, eines Reflexionsraums.


Machtspiele: Probenfoto aus Donizettis „Maria Stuarda“. Premiere ist am 1. August 2025.
© Florian Hetz/Salzburger FestspieleSieht man vom „Jedermann“ und der Wiederaufnahme von Verdis „Macbeth“ mit Asmik Grigorian ab, lässt sich keine Produktion finden, die man einen Blockbuster nennen könnte. Wie ist der Kartenverkauf? Sind Sie damit zufrieden?
Sogar sehr zufrieden. Der Verkauf ist auf einem ähnlichen Niveau wie im Vorjahr, und das war ja alles in allem nicht ganz schlecht. Wir verkaufen während des Sommers Karten für über zwei Millionen Euro. Wenn eine Aufführung Anklang findet, führt das zu einer sehr unmittelbaren Reaktion des Publikums. Es gab Zeiten, in denen viele Produktionen sehr schnell ausverkauft waren. Allerdings wurden damals auch sehr viel weniger Karten angeboten. Wir sind jetzt auf einem Niveau von ca. 220.000 Karten. Während des Sommers entsteht also ein Mechanismus, der für uns sehr wesentlich ist. Ein Beispiel: „Der Idiot“ von Weinberg im Vorjahr, eigentlich alles andere als ein Blockbuster. Nach dem überwältigenden Erfolg der Premiere waren die restlichen Vorstellungen in kürzester Zeit ausverkauft.
Hält Ihre Freude am Jedermann an?
Mit dem neuen Jedermann bin ich in der Tat sehr glücklich. Das war die mit Abstand schwierigste Aufgabe, die ich bei den Festspielen zu bewältigen hatte.
Wie wird es mit dem Theater weitergehen? Wird der Posten der Schauspielleitung nach der Trennung von Marina Davydova neu besetzt?
Die Planung der kommenden Jahre wird, und das nicht nur im Schauspiel, sehr von den Gegebenheiten des Umbaus bestimmt werden. Den nächsten Sommer habe ich bereits geplant. Von Marina Davydova gab es für das Jahr 2026 keinerlei Vorbereitungen, die Zeit war also denkbar knapp. Nach den Festspielen werden das Kuratorium und das Direktorium sich in einer Klausur mit der Zukunft des Schauspiels beschäftigen.
Markus Hinterhäuser
Markus Hinterhäuser wurde am 30. März 1958 in La Spezia, Italien, geboren, als Pianist gastierte er weltweit. Bei den Salzburger Festspielen verantwortete er von 2007 bis 2011 das Konzertprogramm. Von 2014 bis 2016 leitete er die Wiener Festwochen. Seit Oktober 2016 ist er Intendant der Salzburger Festspiele, sein Vertrag wurde bis 2031 verlängert.
Überall ist von Sparmaßnahmen die Rede. Wird der Umbau der Festspielhäuser wie geplant stattfinden?
Der Festspielbezirk 2023, also der Umbau und die Generalsanierung der Häuser, sind die wohl größte Herausforderung in der Geschichte der Festspiele. Für die Zukunftssicherung dieser Unternehmung ist die Generalsanierung allerdings alternativlos. Ich habe das Programm bis 2027 geplant. 2028 und 2029 ist das große Festspielhaus definitiv nicht verwendbar.
Was wurde aus Ihren Plänen, den Domplatz zu überdachen?
Das wäre nur temporär während der Festspiele, aber noch haben wir keine wirkliche Lösung dafür. Die Überdachung wäre aber eine große Hilfe. Wenn das Große Festspielhaus geschlossen ist, wüssten wir im Moment wirklich nicht, wohin wir bei Regen mit dem „Jedermann“ ausweichen sollten. Auch bei extremer Hitze könnte ein Dach von Nutzen sein. Die Sommer werden heißer und die Nachmittagsvorstellungen sind wirklich ein Thema.
Das Programm
Oper
Giulio Cesare in Egittovon Händel. Mit: Christophe Dumaux, Olga Kulchynska, Federico Fiorio. Regie: Dmitri Tcherniakov, Emmanuelle Haïm dirigiert Le Concert d’Astrée, Ab 26. 7.
One Morning turns into an eternity. Peter Sellars kombiniert Schönbergs „Erwartung“ mit Mahlers „Der Abschied“ Mit Aušrinė Stundytė und Wiebke Lehmkuhl. Esa-Pekka Salonen dirigiert die Wiener Philharmoniker. Ab 27. 7.
Hotel Metamorphosis Opern-Pasticcio mit Musik von Vivaldi. Mit Cecilia Bartoli, Philippe Jaroussky. Regie: Barrie Kosky, Gianluca Capuano dirigiert Les Musiciens du Prince - Monaco Ab. 31. 7.
Maria Stuarda von Donizetti. Mit Lisette Oropesa, Kate Lindsey Regie: Ulrich Rasche. Antonello Manacorda, Wr. Phiharmoniker. Ab 1. 8.
Drei Schwestern von Peter Eötvös Mit Dennis Orellana, Cameron Shahbazi, Aryeh Nussbaum Cohen. Regie: Evgeny Titov. Maxim Pascal und Alphonse Cemin dirigieren das Klangforum Wien. Ab 8. 8.
Macbeth von Verdi. Mit Asmik Grigorian, Vladislav Sulimsky, Tareq Nazmi, Regie: Krzysztof Warlikowski. Dirigent: Philippe Jordan, Wiener Philharmoniker. Ab 9. 8.
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 30+31/25 erschienen.