Getragen von biografischem Erleben, folgt Richard Jurtitsch in seiner Malerei stets einem ikonografischen Anspruch: In seinen klar formulierten Bildwelten – einem Spannungsfeld zwischen assoziativer Abbildung und ungegenständlicher Abstraktion – öffnen sich Räume, die aufzeigen, ohne vorwegzunehmen.
Atelierbesuch bei Richard Jurtitsch
© VGN | Osama Rasheed
„Noch nicht ganz“, dreht Richard Jurtitsch wiederholt am Stimmwirbel der alten Gibson 330. Die Augen leicht zusammengekniffen, lauscht er mit gespitzten Ohren dem ansteigenden Ton der tiefen E-Saite. Noch einmal stimmt er sie an. Eine letzte, leichte Drehung von nur wenigen Graden. Die Nuance, kaum wahrnehmbar, scheint für Jurtitsch den Unterschied zu machen: „Jetzt aber“, schlägt er mit zufriedenem Grinsen in die Saiten seiner Jazzgitarre aus dem Jahre 1959. Virtuos gleiten seine Finger mit beachtlicher Geschwindigkeit über den Hals des Instruments. Warme Bluesklänge erfüllen das alte Gemäuer seines Ateliers – eine ehemalige Werkstätte eines Lichtverleihs. Was einfach aussieht, klingt komplex. Als das Brodeln der Bialetti am Herd hektischer wird, führt er noch ein letztes Mal durch das eigens komponierte Riff. Mit flacher Hand lässt er die Gitarre abrupt verstummen. „So, Schluss jetzt“, stellt er das Instrument behutsam zu seinen Artgenossen zurück. 40 Gitarren umfasst seine „Ansammlung“, wie er sie selbst bezeichnet. Von wertvollen Sammlerstücken bis hin zu alten Gitarren, die er selbst restauriert hat, ist alles dabei.
Dass Jurtitsch kein Musiker wurde, war eine bewusste Entscheidung. „Aber definitiv keine einfache“, fügt er hinzu. „Irgendwann steht man aber an einem Punkt, an dem man sich für eine Kunst als Brotberuf entscheiden muss – beides geht sich einfach nicht aus.“ Mit Anfang 20 entscheidet sich Jurtitsch für die Malerei. „Meine damalige Lebensgefährtin war ebenfalls Künstlerin – die Musik wäre zu zeitintensiv gewesen und Kunst mit Kunst, das schien mir schlüssig.“
Meine Reise, die künstlerische Suche, ist geprägt von einem konstanten Nachschärfen der Bildsprache.
Vom Handwerk zum Wollen
Das Talent dazu, das Teil seiner DNA sein dürfte, entdeckt er früh. „Das habe ich wohl von meinem Vater, der selbst immer gemalt hat, mitbekommen.“ Bereits im Kindergarten stößt seine Malerei auf Begeisterung. Als 13-Jähriger malt er perspektivisch korrekt Bauwerke wie etwa die Karlskirche: „Ein Abmalen“, so der Künstler, „von Eigenständigkeit war da noch keine Spur.“ Zunächst müsse man das Handwerk beherrschen, ehe das künstlerische Wollen und damit die Verwirklichung und Entwicklung eines eigenen Werkes in den Vordergrund rücken – „das Handwerk ist die Basis, das Wollen entscheidet“. Um das künstlerische Fundament zu festigen, folgen der Lehre als Siebdrucker Ausbildungen zum Gebrauchsgrafiker an der Graphischen in Wien und zum Lithografen. „Sämtliche Techniken, die ich erlernt habe, sind letztlich meiner heutigen Malerei zugutegekommen.“
Und die war für den gelernten Grafiker stets präsent. „Auch in der Gebrauchsgrafik war das Malen natürlich Thema.“ Die realistische Darstellung des Gesehenen und Erdachten war zentraler Bestandteil seiner grafischen Ausbildung. Dennoch sind Jurtitschs frühe Arbeiten „abstrakter Natur“: „Abstraktion, so man sie ernsthaft betreibt, ist immer vom Naturalismus ausgehend“, hält er fest. „Mein Zugang war damals bereits ein realistischer – bloß die Bildsprache nicht.“ Vor allem archäologische „Wunschfundstücke“ waren seinerzeit Ausgangspunkt seiner Abstraktion. „Was auf der Grabung nicht gefunden wurde, habe ich kurzerhand gemalt“, lacht er. Drei Jahre war Jurtitsch als Zeichner bei archäologischen Ausgrabungen in der Türkei engagiert; zeichnete figurale, reliefartige Rudimente einstiger Bauteile oder Grabmäler. „Weil Fotografien zu stark verzerrt hätten.“


Zu Gast bei … Zumeist monochrom gibt die Serie Einblick in den Wohnraum bedeutender Persönlichkeiten – im Stil der Doppelbelichtung alter Fotografien eröffnet Jurtitsch Betrachtenden zusätzliche Bildebenen.
© beigestellt, Richard JurtitschRichtung Realismus
Von der einstigen Abstraktion – die einer geschichtlichen Spurensuche nach geheimnisvoller, verlorener Information gleicht und damit das nicht Erfrag- bzw. Erfassbare thematisiert – ist heute kaum noch etwas zu spüren. Ein Blick ins Œuvre des 72-Jährigen offenbart eine künstlerische Genese entlang der unterschiedlichsten Stile: „Meine Reise, die künstlerische Suche, ist geprägt von einem konstanten Nachschärfen der Bildsprache.“ Ein informativer Wegweiser, der mit der Zeit in eine immer deutlichere Richtung zeigt: Realismus. „Unabhängig vom Stil, muss ein Bild für mich immer stringent und logisch sein, um am Ende zu überzeugen“, holt Jurtitsch aus. Die teils hyperrealistische Darstellung ist dabei der Versuch einer möglichst deutlichen, klaren und nonverbalen Formulierung. „Die Präzision ist dabei allerdings kein Streben nach narrativer Schärfe, sondern nach einer möglichst exakten Gefühlsformulierung.“ Es geht um die konkrete, im Motiv verhaftete Assoziation, die in den Betrachtenden emotionale Regung hervorrufen soll. Jede Emotion sei dabei erlaubt: „Wichtig ist, dass es etwas mit einem macht – fühlt man beim Betrachten nichts, ist der Versuch ein künstlerischer Schlag ins Wasser“, lacht er.
Ein immanenter Drahtseilakt – schließlich dürfe der Anspruch einer möglichst klaren Bildsprache der individuellen Interpretation niemals entgegenstehen. „Am Ende des Tages möchte man nicht zu viel vorgeben, ausschließen oder vorwegnehmen – der Raum zur individuellen Deutung muss offen bleiben.“


Curtains. Der Blick durch den Vorhang reflektiert nostalgisch-schmerzliche Erinnerungen aus Kindheitstagen
© beigestellt, Richard JurtitschVom visuellen Erfassen
Die schmale Gratwanderung beginnt dabei im Tal der Motivsuche. Wobei Suche nicht ganz treffend scheint: Als passionierter Sammler – man denke an die Gitarren und das Mobiliar unterschiedlichster Designepochen im Atelier – sucht man nicht. Man findet. So verhält es sich auch bei Jurtitschs Motiven. „Zumeist ist es Alltägliches, das eine Faszination auf mich ausüben muss“, so der Künstler. „Dinge müssen mich zunächst berühren, um überhaupt erst eine Begeisterung dafür aufbringen zu können.“
Entscheidend sei das Sehen. Oder besser gesagt „Die Schule des Sehens“ nach dem Künstler Oskar Kokoschka, die das visuelle Erfassen als zentrales Mittel der Weltwahrnehmung versteht: „Mit dem Erlernen des Sehens verändert sich die Qualität der Wahrnehmung“, erklärt Jurtitsch. „Je mehr ich durch das Sehen erfassen kann, desto klarer wird der Horizont der individuellen Vorstellungskraft.“ So ist der Anspruch seiner zahlreichen Werkgruppen, die sich monothematisch unterschiedlicher Motive bedienen, stets ein ikonografischer: Während etwa der Blick durch einen Vorhang in der Werkgruppe „curtains“ eine nostalgische Melancholie aus Kindheitstagen reflektiert, ist der Zugang der „Schmetterlinge“ – etwa unter dem Titel „Erneuerung im Aufwind“ – ein philosophischer. „Zu Gast bei …“ ist hingegen Ergebnis der Neugierde: „Der Wohnraum bedeutender Persönlichkeiten unterschiedlichster Professionen wird zum Protagonisten der Werkgruppe“, so der Künstler. „Mir geht es darum, ihnen über ihr Lebensumfeld näher zu kommen – sie in ihrer Tiefe und damit ihren geistigen Zugang zu erfassen und zu verstehen.“ Ein komplett konträres Bild formen Jurtitschs „Pfingstrosen“: Ähnlich einem Passfoto – zentriert auf schwarzem Untergrund platziert –, ist die üppige Blütenpracht detailreiches Sinnbild blühender Schönheit. Dem Stigma des Kitschs floraler Abbildungen müsse man sich stellen: „Wenn man mich fragt, warum ich Pfingstrosen male, entgegne ich immer: Weil sie mir gefallen und ich es kann“, so der Künstler. Es sei ein Luxus des Älterwerdens, niemandem etwas beweisen zu müssen. „Ich mache einfach das, wovon ich überzeugt bin – gründlich und ordentlich.“


Pfingstrosen. Zentral positioniert ist die üppige Pracht der Blüte detailreiches Sinnbild floraler Schönheit
© beigestellt, Richard Jurtitsch„Ich möchte gute Kunst machen“
Jurtitschs Malerei ist – getragen von biografischem Erleben – ein stetes Spiel mit seiner unmittelbaren Realität, das ein künstlerisches Spannungsfeld zwischen assoziativ Abbildhaftem und abstrakt Ungegenständlichem eröffnet. Ganz gleich, an welchem Pol er gerade arbeitet: Der Prozess ist ein stetes Wandeln zwischen Farbschichten und Bildebenen, die als multidimensionales Erlebnis den Raum für Betrachtende erweitern sollen. Grundlage dafür sind zumeist eigens angefertigte Fotografien oder Fotodokumentationen. Die collagierte Ästhetik seiner Arbeiten, das Verzerren der Realität, geschieht im direkten Malprozess: „Meine Bilder entstehen immer in Ebenen, in einzelnen Malschichten – daraus ergibt sich der Aufbau homogener Schichten aus Ölfarbe, die wiederum eine detaillierte Wiedergabe des Motivs ermöglichen.“ Eine schichtweise Formulierung des finalen Ausdrucks, wenn man so will.
Was Jurtitsch mit diesem finalen Ausdruck zu vermitteln vermag: „Am Ende des Tages möchte ich gute Kunst machen.“ Wie er diese definiert? „Kunst, bei der alles stimmt – die Abbildung, die Emotion und mein persönlicher Malanspruch stimmt.“ Ein Selbstverständnis, das aus der Arbeit an sich und der Erfahrung des Sehens resultiert. „Ein Qualitätsanspruch, den ich zu erfüllen versuche."







