Am 6. März feierte Susanne Rieglers Dokumentarfilm „Verwegen. Mutig. Radikal. Künstlerinnen der Feministischen Avantgarde“ im Wiener Stadtkino Premiere. So treffend wie der Filmtitel selbst, portraitiert sie diese besondere Generation an Künstlerinnen und bietet ihnen damit eine Bühne, die einst alles andere als selbstverständlich war. Ein kollektiver Appell, dem es bis heute Gehör zu verschaffen gilt.
Der Trailer zum Film
© Susanne Riegler
„So richtig unbeschwert – feministisch – arbeiten, das konnte ich erst nach der Trennung von meinem Mann“, erzählt die Wiener Künstlerin Karin Mack, deren Narrativ der 1970er-Jahre eine klare Sprache spricht. Jene, gegen das oktroyierte, männlich-geprägte Ideal der Frau. Für diese Unabhängigkeitsbestrebungen zeigte ihr damaliger Mann wenig Verständnis. Eine Einstellung, die – zumindest unter Männern – dem Tenor entsprach: Denn ebenso stark wie die patriarchalen Strukturen der damaligen Zeit und die sich damit hartnäckig haltende Objektifizierung der Frau, war die Ablehnung jeglichen weiblichen Widerstands gegen ebendiese manngemachten Gesellschaftsnormen.
Aber auch Karin Mack war nicht alleine: „Feministin war ein absolutes Schimpfwort“, erinnert sich etwa ihre deutsche Künstlerkollegin Gabriele Stötzer. Doch als solche beschimpft zu werden, gab ihr damals „ein Gewand“; eine Identität. „Damit wusste ich, ich existiere.“ Eine ganze Generation an Künstlerinnen, die mit ihrer Arbeit in den 70ern weltweit für ein- und dieselbe Sache eintrat, teilte diese Identität – zog sie den Zuschreibungen sozial konstruierter Weiblichkeit vor.
Vom Objekt zum Subjekt
So inszenierten sie sich eben „VERWEGEN. MUTIG. RADIKAL.“ – spielten in ihren Arbeiten oftmals selbstironisch mit stereotypen Rollenzuweisungen und unterwanderten provokant tradierte Vorstellungen von Weiblichkeit und Männlichkeit. Während etwa die 2003 verstorbene Künstlerin Birgit Jürgenssen in ihren „Hausfrauenzeichnungen“ den Mann als „Waschlappen“ zum Bodenschrubben missbrauchte oder sich 1975 in ihrer „Hausfrauen-Küchenschürze“ als kochende Gebärmaschine inszenierte, nimmt auch Renate Bertlmann das „patriarchale Gockelgehabe“ bewusst aufs Korn. „Da kann man sich natürlich nicht erwarten, dass Männer davon begeistert sind“, resümiert die arrivierte Künstlerin, deren OEuvre an die 5.000 Arbeiten rund um die Themen Liebe, Sexualität, Religion und Pornographie umfasst. „Nur hatte ich doch auch immer die Hoffnung, dass auch sie irgendwann nachreifen – nicht alles todernst nehmen und sich immer gleich angegriffen fühlen.“
Ich hatte immer die Hoffnung, dass auch Männer irgendwann nachreifen.
Der Erfolg? Zunächst überschaubar. Denn Bertlmanns Hoffnungen sollen sich nicht erfüllen. Im Gegenteil: Es müssen erst Jahre vergehen, bis ihre Arbeit und die ihrer Kolleginnen auf gesellschaftliche Akzeptanz stoßen oder gar als herausragende Pionierleistung erkannt werden – zunächst sehen sich die Künstlerinnen jedoch mit Zensur konfrontiert; ihre Präsenz im öffentlichen Raum wird so gut es geht verhindert. Von Männern, versteht sich. Man(n) möchte sich schließlich nicht auf den Schlips getreten fühlen. Aber genau darum geht es: Frau möchte nicht begeistern, sie möchte aufrütteln – aufmerksam machen auf allgegenwärtige Missstände, sich aus den Fängen des Patriarchats befreien und mit Geschlechterzuschreibungen brechen. So emanzipiert sie sich von der Objektifizierung im kunsthistorischen Kontext und wird zum aktiven Subjekt. Losgelöst von männlicher Idealisierung, entsteht ein neues Bild der Frau.


Sling Shot Action. 1980 performte Renate Bertlmann mit ihrem "Doppelpenis mit Vibrationsgriff" eine Schleuderaktion im Franklin Furnace Center (NY).
© Susanne RieglerDie „Feministische Avantgarde“
„Die Frauen waren jung, dynamisch und sehr radikal“, lobt Gabriele Schor, Gründungsdirektorin der SAMMLUNG VERBUND, das feministische Engagement der Künstlerinnen der 70er-Jahre gleich zu Beginn des Dokumentarfilms von Susanne Riegler. „Sie wollten eine soziale Revolte und dem Patriarchat die Stirn bieten.“ Dass diese Bewegung starker Frauen von Museen, die einen Schwerpunkt auf diese Zeit hatten, jahrzehntelang übersehen wurde, stimmte Schor wütend. Umso größer war ihr das persönliche Anliegen als Feministin, diese Kunst sichtbar zu machen.
Als Feministin war es mir ein großes Anliegen, diese Kunst sichtbar zu machen.
Seit 2004 arbeitet sie unermüdlich an dieser Sichtbarkeit – bei der Gründung der SAMMLUNG VERBUND ließ man ihr freie Hand: „Mir war es wichtig, ein Alleinstellungsmerkmal zu entwickeln, um eine unverwechselbare Identität zu schaffen.“ Auf ihrer Suche nach dem Unverwechselbaren trifft sie eben auf diese bis dato vom Kunstbetrieb ignorierte, weltweite Strömung, für die sie im Zuge ihrer Forschung die treffende Bezeichnung Feministische Avantgarde findet. Rund 90 solcher Positionen umfasst die SAMMLUNG VERBUND heute.


v.l.n.r.: die Künstlerinnen Anita Münz, Leonore Maurer (Autorin), Florentina Pakosta, Margot Pilz, Regisseurin Susanne Riegler, Karin Mack, Renate Bertlmann und Gabriele Schor, Gründungsdirektorin der SAMMLUNG VERBUND
© Christian RedtenbacherVereinte Kräfte: Frauen für Frauen über Frauen
Das Schors dahingehendes Engagement kaum Grenzen kennt, wird deutlich, ehe es am Abend der Premiere heißt: Film ab. Der Dank von Regisseurin Susanne Riegler gilt neben den 17 im Film zu Wort kommenden Künstlerinnen vor allem Gabriele Schor. 2017 besuchte Riegler Schors Ausstellung „Feministische Avantgarde der 1970er-Jahre“ im MUMOK. Von der Radikalität, der Kraft und der Aktualität, die von den gezeigten Werken ausging, angespornt, gestaltete sie als Fernsehjournalistin einen Beitrag, ehe die Idee zum Film geboren war.
Der Film ist eine journalistische Recherche über Frauen, die während der 70er-Jahre dazu beigetragen haben, dass die Welt für Frauen eine nachhaltig bessere wird.
Vor rund acht Jahren beginnt sie mit den Dreharbeiten, trifft Künstlerinnen in Ausstellungen, besucht sie in deren Ateliers und finanziert das Projekt zunächst aus eigener Tasche. Bis zuletzt gestaltet sich die Suche nach Fördergeldern aus öffentlicher Hand schwierig – und scheitert. „Schließlich war es Gabriele Schor, die es ermöglicht hat, dass aus all dem gesammelten Material letzten Endes doch noch ein Film wurde“, bedankt sich Riegler. Es sei eben „ein Projekt des Miteinanders, das nun im Miteinander – dem gemeinsamen Schauen – seinen hoffentlich glanzvollen Höhepunkt findet.“ Riegler weiter: „Erwarten Sie aber bitte keine Hochglanzdokumentation – der Film ist vielmehr eine journalistische Recherche über Frauen, die während der 70er-Jahre dazu beigetragen haben, dass die Welt für Frauen eine nachhaltig bessere wird.“
FAZIT: Der Film vereint beides und ist damit eine absolute Empfehlung! Mit viel Feingefühl ist es Susanne Riegler gelungen, höchst persönliche, teils sehr berührend-emotionale aber auch wahnsinnig amüsierende Erinnerungen bedeutender Künstlerinnen zu einem wundervollen, großen Ganzen zu verweben – zu einem Zeitzeugnis, das einem Appell gleicht, dem es gerade heute (mit Dringlichkeit!) Gehör zu verschaffen gilt. Wo seitens männlich-dominierter Politik über den Körper von Frau oder Frauen im Allgemeinen verfügt werden soll…
KULTURTIPPS!
Der Dokumentarfilm ist zu sehen im:
Stadtkino
Freitag, 7. März – 17:00 Uhr
Sonntag, 9. März – 13:00 Uhr mit anschließendem Künstlerinnengespräch
Montag, 10. März – 17:30 Uhr
Admiralkino
Mittwoch, 19. März – 19:30 Uhr PIONIERINNEN Reihe – Film & Gespräch mit Regisseurin Susanne Riegler und Gabriele Schor
2025 sind Werke der Feministischen Avantgarde in der Staatsgalerie Stuttgart (21. März bis 22. Juni) sowie im Sprengel Museum Hannover (4. Juli bis 28. September) zu sehen.
Ab 3. April zeigt die SAMMLUNG VERBUND Arbeiten von Francesca Woodman in der ALBERTINA.