Es wird ernst: Da die Republik nachweislich an keinen anderen Problemen laboriert, will der Bildungsminister die „toten Sprachen“ Griechisch und Latein guillotinieren. Dabei scheinen mir Plato und Vergil deutlich bestandssicherer als die amtierende Bundesregierung.
Immer, wenn man glaubt, die Politik sei durch ihr eigenes Elend von der Häckselung der zivilisatorischen Restbestände kurzfristig abgelenkt, fährt der Schredder wieder hoch. Da saß ich erst vor ein paar Tagen herzensfroh auf dem Podium im Festsaal des Wasagymnasiums und lobte mit anderen, viel jüngeren Alt-Wasas das Buch der institutsansässigen Griechischprofessorin Michaela Masek.
„Von jedem guten Geist verlassen“, fein eingeleitet durch Konrad Paul Liessmann, sucht in der antiken Philosophie Auswege aus dem Wahnsinn der Gegenwart. „Sokrates, Aristoteles, Diogenes statt Trump, Putin und der österreichischen Bundesregierung als Wegweiser“, schrieb ich anschließend. „Ein Traum, diese eineinhalb Stunden.“

Von jedem guten Geist verlassen?: Warum wir uns in einer maßlosen Gesellschaft auf antike Tugenden besinnen müssen
„Von jedem guten Geist verlassen“ wird am 4.Dezember, 19 Uhr, von Autorin Michaela Masek und Konrad Paul Liessmann im Wiener Jesuitenkeller, Dr.-Ignaz-Seipel-Platz 1, diskutiert.
Interessant ist, wer da außer mir vom betörend weiten Horizont der klassischen Sprachen schwärmte: Felix Kammerer war das, Burgschauspieler und Filmgröße, die Umweltaktivistin Nunu Kaller und der Virologe Prof. Lukas Weseslindtner. Weiter voneinander entfernt konnten unsere Biografien nicht sein. Aber wir wussten, was wir gelernt hatten und wozu.
Und jetzt grätscht mir just besagte Bundesregierung ins Wohlgefühl: Die „toten Sprachen“, so orakelte sich der Bildungsminister bang durch die „ZiB 2“, bedürften der Einschränkung zugunsten irgendwelcher Realitäten aus den Bereichen der Medienkunde und der politischen Bildung.
Zur nämlichen Zeit erreicht mich eine Meldung, deren Erstauftauchen mich im Mai 2024 zur sechs Seiten starken Geschichte „Warum Latein und Griechisch unverzichtbar sind“ bewogen hat: Die Gebärdensprache wird auf Maturaniveau gestellt, und man kann mit ihr Latein und Griechisch substituieren.
Gschaftlhuber, Analphabeten
Um nun Missverständnissen vorzubeugen: Ich ehre die Gebärdensprache von Herzen. Aber durch sie die klassischen Sprachen zu ersetzen, das ist so widersinnig, als wolle man gesetzlich alle Brillen einziehen, um mit dem Erlös Rollstühle anzuschaffen.
Ging es also im Mai 2024 noch um eine bizarre Petitesse aus dem Gschaftlhubersegment akademisch graduierter Analphabeten, so wird es jetzt ernst: Das Fach Griechisch und die sechsjährige Langform Latein stehen zur Diskussion. So berichten mir Personen, die sich in Schulbelangen besser auskennen als ich.
Das ist nur folgerichtig, wurde doch mit der Einführung der Zentralmatura schon der Literaturunterricht guillotiniert (man verfeinert sich jetzt in der Verfertigung von Leserbriefen und analysiert statt Kleist und Brecht „Falter“-Leitartikel).
Was man mit Altgriechisch werden kann? Nobelpreisträger oder Hollywoodstar
Nobelpreisträger, Hollywoodstar
Jetzt werden Sie mich fragen, was man mit Griechischkenntnissen denn werden kann. Genügt Physiknobelpreisträger? Oder bevorzugen Sie Hollywoodstar? Zum besagten Mai-Termin 2o24 jedenfalls antworteten sechs befragte Sonderformate so:
Anton Zeilinger, Nobelpreis für Physik 2022: „Eines meiner Schlüsselerlebnisse war die Verteidigungsrede des Sokrates, die Apologie. Das ist ein Augenöffner! Weil man merkt, dass die menschlichen Probleme damals genau die gleichen waren wie heute. Man sieht die heutigen Dinge dann nicht mehr als so zentral, wenn man das begriffen hat.“
Heinz Fischer, Altbundespräsident: „Die antiken Sprachen haben mir im Verständnis für vieles geholfen. In unserem Griechischunterricht wurden die Probleme der antiken Welt in eine Beziehung zur Gegenwart gebracht: das Problem des Krieges, der so viele Opfer fordert, der Flucht, der Loyalität.“
Felix Kammerer, Schauspieler: „Ich fühle mich bis heute durch den Altgriechisch-Unterricht bereichert: intellektuell und emotional. Die eigene Sprache wird nicht mehr als selbstverständlich gesehen und das stärkt die Kommunikationsfähigkeit – eine wunderschöne Erfahrung, die viel mit Demut und Neugier zu tun hat.“
Milo Rau, Intendant der Wiener Festwochen: „Das tragische Denken gesteht immer auch der Gegenseite die Möglichkeit zu, dass die Wahrheit auf deren Seite sein könnte und wir uns vielleicht geirrt haben. Dieses zuinnerst demokratische Prinzip ist heute gar nicht mehr denkbar, am wenigsten in der Politik. Bei den Griechen lernt man, dass es immer um alles geht.“
Markus Hengstschläger, Genetiker: „Wenn wir zu sehr spezialisieren, unterbinden wir das Denken in neuen Zusammenhängen. Man muss die alten Lösungen kennen, um zu wissen, dass man mit ihnen nicht mehr das Auslangen findet. Dort, wo Dinge, die nicht auf den ersten Blick zusammengehören, zusammenstoßen, sind die neuen Ideen zu Hause.“
Lisz Hirn, Philosophin: „Derzeit steht das generelle Verständnis von Bildung unter Beschuss, und damit erhebt sich die Frage, ob wir Geschichte, Literatur, Musik, Rhetorik, das Wachsen und den Wechsel der Sprachen überhaupt noch ernst nehmen. Oder ob wir sie und ihr Verständnis für überflüssig erklären.“
Aufstehen, jetzt!
Sollten Sie gleichfalls der Meinung sein, dass die eben zu Wort gekommenen Personen vor Bundesminister Wiederkehr nicht zu erröten brauchen, leisten Sie Widerstand! Protestieren Sie schriftlich, beim Minister, bei Zeitungen, auch wenn Sie noch mit Goethe statt dem „Standard“-Forum ausgebildet wurden. Und sollten Sie, etwa auf der Plattform aufstehn.at, etwas organisieren wollen: Ich bin für Sie da.
Was meinen Sie? Schreiben Sie mir bitte: sichrovsky.heinz@news.at
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Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 48/2025 erschienen.
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