Es ist die Realität, der Linda Hnatovič in ihren surrealen Bildwelten neue Räume eröffnet. In ihrem experimentellen Schaffensprozess – ein Streben nach grenzenloser Freiheit – löst sie sich von väterlicher Dominanz und findet darin zurück zu sich selbst.
Atelierbesuch bei Linda Hnatovič
© VGN | Osama Rasheed
„And I’m feeling good“ – erfüllt Nina Simones Stimme mit ungewöhnlichem Timbre das kleine Wohnzimmer der Altbauwohnung im Mezzanin. Der schummrige Schein gedimmter Lampen verstärkt die von Simones Stimmfarbe ausgehende Atmosphäre einmal mehr. Das Glas Rotwein tut all dem keinen Abbruch. Ganz im Gegenteil. Mit jedem Schluck wächst der Anschein, als würde die Sängerin jeden Moment aus einer der Ecken hervortreten. Doch der Blick in ebendiese offenbart anderes: Dort, im Halbdunkeln, lehnen großformatige Leinwände, die mit ihrer Strahlkraft gegen die Lichtverhältnisse anzukämpfen versuchen.
„Caravaggio“, erklärt Linda Hnatovič das von ihren Arbeiten ausgehende Leuchten und deutet auf einen der dicken Wälzer über kunstgeschichtliche Größen, die sich vor ihr auf dem kleinen Esstisch türmen. Mit der Technik braucht es gerade einmal zwei Farben, um die Haut ihrer weiblichen Akte im gemalten Lichteinfall zum Glühen zu bringen: Weiß und gebranntes Umbra. „Zunächst wird das Weiß in Schichten, die sich an den ausgeleuchteten Stellen häufen und so für Dreidimensionalität sorgen, aufgetragen, ehe Umbra die Schattierungen ergänzt“, wird ihre Passion für das, was sie tut, deutlich.


Meisterlich. Technisch als auch Perspektiv findet die Künstlerin Inspiration in der Arbeit alter Meister.
© BeigestelltSeit zwei Jahren dient ihr das Wohnzimmer, das in seiner eigentlichen Funktion – von dem kleinen Esstisch einmal abgesehen – mehr Atelier ist, als Wirkungsstätte. Über der Staffelei im gegenüberliegenden Eck des Raumes sorgt eine Tageslichtlampe auf Knopfdruck für konstante Lichtverhältnisse. Plötzlich wird es – für einen kurzen Augenblick – demonstrativ taghell. Eine Unabhängigkeit, die sie ebenso zu schätzen weiß, wie die unmittelbare Nähe zu ihrer Arbeit. Ein Vorteil des Wohnateliers: „Ich kann malen, wann immer mir danach ist.“
„Ich wollte immer Künstlerin werden“
Und das tut sie – eigentlich immer schon – am liebsten. „Seit ich mich erinnern kann, wollte ich Künstlerin werden“, sinniert die Künstlertochter, die sich bereits im Alter von vier Jahren für Van Gogh und Da Vinci faszinierte. Im väterlichen Atelier zwischen Farben und Pinseln aufgewachsen, war eine frühkindliche Sensibilisierung für die Kunst unausweichlich. „Ich kann mich noch ganz genau erinnern, als ich einmal Farben mit meinen bloßen Händen gemischt habe“, erinnert sie sich noch genau an das Gefühl auf der Haut. Ein Schlüsselmoment: „In der einen Hand Blau, in der anderen Gelb und plötzlich war da Grün – das hat mich nicht mehr losgelassen.“
Dass darüber hinaus eine gehörige Portion Talent vorhanden war bzw. ist, zeigte sich, als Hnatovič mit vier Jahren ein Briefmarkenmotiv proportionsgetreu in ein größeres Format übersetzte. Die wohl größte Bestätigung in jungen Jahren, brachte ihr jedoch ein Kunstraub: „In der Volksschule habe ich einmal ein Sonnenblumenbild nach Van Gogh gemalt“, holt sie aus. „Das fand derartigen Anklang, dass man es kurzerhand in der Schule präsentierte.“ Und eines Tages war der „Van Gogh“ verschwunden. „Rückblickend wohl die größte Bestätigung, die man sich wünschen kann“, schmunzelt Hnatovič.


Objekthaft. In ihren Arbeiten wird der objekthafte Charakter ihrer Figuren, die Auflösung der Identität, zur Projektionsfläche für Betrachtende. Sie oszillieren ziwschen Passivität und Handlungsmacht. Zwischen Fremdzuschreibung und Selbstbehauptung. Sie spiegeln eine Gegenwart, in der der Körper medial überformt, bewertet wird
© BeigestelltVon prägenden Zeiten
Auf ihrem Talent aufbauend, möchte sie zunächst Malerei studieren. Sie bewirbt sich an der „Akademie“ und der „Angewandten“. Doch erst der zweite Anlauf soll gelingen: 2006 meistert sie die Hürde der Aufnahmeprüfung an der Angewandten und besucht bis 2011 die Meisterklasse von Erwin Wurm. „Zu Beginn hatte ich keine Ahnung, wer das ist und mit wem ich es da zu tun hatte“, gesteht die Künstlerin. Doch rasch wird klar, welch Privileg ihr mit dem Meister, der damals gerade vor der Internationalisierung seiner Werke stand, zuteilwird.
Was folgt, sind lehrreiche, aber auch harte Jahre: „Erwin war immer schonungslos“, erinnert sie sich. „Er hat kunstgeschichtliches Wissen stets als Grundlage unserer Arbeit betrachtet und es auch vorausgesetzt – hat man etwas präsentiert, das es in irgendeiner Form bereits gegeben hatte, blieb das bei ihm nicht lange unbemerkt.“ Wonach er strebte, war stets das Neue: „Er hat mich vor allem die perspektivische Betrachtung und das ständige Infragestellen der unterschiedlichen, sich auftuenden Blickwinkel gelehrt – denn Kunst muss eines: mit der Zeit gehen.“
Für Hnatovičs OEuvre weit prägender als ihre Zeit an der Angewandten, war der Bruch mit ihrem Vater. Wie so oft, war er – selbst Künstler – ihr größter Kritiker; der Grund für ihr Streben nach Perfektionismus und damit für die Verhaftung im Realismus, als eine der wohl anspruchsvollsten Disziplinen der bildenden Künste. Die Tochter wird zunehmend zur väterlichen Projektionsfläche, möchte gefallen und strebt nach Anerkennung, die ihr nie zuteilwerden soll. Doch sie bemerkt, dass sämtliche Bemühungen vergebens sind und sie sich nicht länger dem steten Druck und der „nicht zeitgemäßen Kritik“ ausliefern möchte. Und kann. Folglich emanzipiert sie sich von der väterlichen Dominanz – der ständigen Manipulation – und damit vom einschlägigen Realismus.


© Beigestellt
Ein transmedialer Prozess
Ihrem Leitmotiv, dem Menschen, bleibt sie jedoch treu – der Akt ist weiterhin übergeordnetes Thema ihrer Arbeit. „Nach wie vor sind es die Geschichten hinter den Menschen, die mich faszinieren“, so Hnatovič. Dabei löst sie genau das in ihrer Arbeit: Das Persönliche verschwindet, die Identität wird teils ausgelöscht. Die Frage, was vom Menschen bleibt, wenn er nur noch im Blick anderer exisitiert, ist allgegenwärtig. Was ihre Menschenbildnisse auszeichnet, ist ihr sensorisches Feingefühl – die Gabe des Wahrnehmens, die ihr hilft, ihre Protagonisten in deren Tiefe, deren Persönlichkeit, zu erfassen. „Zunächst sind es ja meist Fremde, die mich auf irgendeine Art und Weise berühren“, erzählt sie von ihren Motiven, die sie auf Social Media gleichermaßen wie in der U-Bahn kennenlernt. Im nächsten Schritt werden diese fotografiert – „im Dialog komme ich ihnen unglaublich nahe.“ Nähe und Vertrautheit, die sich in den fertigen Arbeiten deutlich widerspiegeln.
Was sich seit der Loslösung vom Vater verändert hat, ist Hnatovičs künstlerischer Zugang – eine subtile Veränderung, die sich aufmerksamen Betrachtenden erschließt: Denn obwohl ihre Bilder auf den ersten Blick nach wie vor im Realismus zu verorten sind, offenbart der zweite, das genaue Betrachten und Hinterfragen, dass die räumlichen Kompositionen perspektivisch nicht existieren können. Die Grundlage dieser Irreführung entsteht unter digitaler Einflussnahme: Sie fotografiert bevorzugt Wiener Altbauräumlichkeiten und überarbeitet diese so weit, bis sich die gewünschten, surrealen Räume eröffnen, in denen sie schließlich ihre Modelle positioniert. „Letztlich sind meine Arbeiten heute digitale Collagen, die sich später ihren Weg in Ölfarbe und unter Neuinterpretation altmeisterlicher Techniken auf die Leinwand bahnen. Es ist also die Realität, die ich in meinen surrealen Bildwelten in eine neue Wirklichkeit überführe“, so Hnatovič. Die stets in Smaragdgrün grundierten Leinwände, deren Farbigkeit sich in den finalen Bildkompositionen als Untermalung zumindest an einer festgelegten Stelle wiederfindet, bespannt sie selbst: „Standardmaße schränken zu sehr ein – meine Figur nimmt sich den Platz, den sie für ihre Existenz benötigt.“
Raum, den sich heute auch Hnatovič für sich und ihre Arbeit nimmt. Dass etwa Abstraktion Einzug in ihre Arbeiten findet, war für die Künstlerin vor gar nicht allzu langer Zeit noch undenkbar. „Abstraktes war für meinen Vater nie Kunst“, erklärt sie. „Heute schätze ich das Abstrakte sehr, weil es mir Türen geöffnet hat – Türen in Richtung grenzenloser Freiheit.“ Nicht länger von selbst auferlegten Zwängen kontrolliert, gleicht ihr Schaffensprozess heute einem Experiment, das sie mit jeder Arbeit sich selbst ein Stück näherbringt. „Ich lerne mich von Bild zu Bild besser kennen.“ Und noch einmal singt Nina Simone: It’s a new life for me and I’m feeling good…