Es zu lösen, beabsichtigt Johann Julian Taupe nicht – schließlich ist die stete Suche Motor seiner Kunst. Sich gänzlich der Malerei ergebend, schichtet er in einem intentionslosen Malprozess Farben zu expressiven Bildwelten, die erst durch die Projektion Betrachtender zum Leben erwachen.
Atelierbesuch bei Johann Julian Taupe
© VGN | Osama Rasheed
„Bloß zufrieden darf man nicht sein“, sinniert Johann Julian Taupe und zieht dabei genüsslich an seiner Short Robusto. Ein kurzer Augenblick verstreicht, ehe er umso genussvoller ausatmet. Langsam steigt der schwere Zigarrenrauch Richtung Deckengewölbe seines Altbauateliers. Der Geruch vermischt sich mit dem frischer Ölfarbe und drängt diesen mit jedem weiteren Zug zunehmend in den Hintergrund. „Es ist genau diese Unzufriedenheit, die mich antreibt“, setzt er nach. Seine Kunst ist eine rastlose, erfahrungsbasiert-experimentelle Suche nach Neuem. Er konkretisiert: Es ist die Suche nach dem Bild. Jemals fündig zu werden, schließt er aus – „dazu bin ich zu sehr Realist.“ Frustran sei das aber keinesfalls. Schließlich beabsichtige er es auch gar nicht zu finden, wonach er vermeintlich sucht. „Das Suchen ist ein Motor, der dazu antreibt, mich und meine Arbeit mit jedem Bild aufs Neue zu hinterfragen – genau das ist das Spannende. Nur so kann sich Kunst stetig weiterentwickeln.“ Und das tut sie im Falle Taupes seit bereits 49 Jahren.
Beleg dafür liefern die Bilder, die sorgfältig sortiert an den Wänden lehnen und die Fläche des Raumes progressiv einnehmen. Seit zwölf Jahren ist der Wiener Altbau im 7. Wiener Gemeindebezirk Schaffenszentrum seiner Kunst. Davor hat er einige Male Atelier gewechselt. „Lustigerweise immer so ziemlich entlang der 5er-Linie“, stellt er fest. Gewechselt wurde dann, wenn es räumlich eng wurde. „Eigentlich wäre es wieder an der Zeit“, betrachtet er die täglich wachsenden Bildreihen. „Ein Übersiedeln einiger Bilder ins Kärntner Lager sollte aber fürs Erste reichen.“ Obwohl Taupe nächstes Jahr 50-Jahr-Wien-Jubiläum feiert, fühlt er sich nach wie vor als Kärntner. Und wird es auch immer tun.


Abstraktion. Geschichtete Farbflächen formen die expressiven Bildwelten Taupes
© BeigestelltVom Bauernhof an die Akademie
Dass er nach Wien gekommen ist, um Künstler zu werden, ist beim Blick in seine Vita alles andere als selbstverständlich: Taupe wird 1954 nahe Villach in eine Landwirtschaftsfamilie geboren. Den elterlichen Hof eines Tages zu übernehmen, stand nie zur Debatte – „mir standen damals tatsächlich alle Türen offen“. Bereits während seiner Hauptschulzeit zeigt sich zeichnerisches Talent. Der Wunsch, Künstler zu werden und die immanente Sehnsucht nach kreativer Entfaltung wachsen, als Taupe während seiner Zeit am Polytechnikum eine Van-Gogh-Biografie und Handkes „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“ liest. Folglich bahnt er sich früh seinen Weg in Künstlerkreise; lernt noch zur Handelsakademiezeit den Kärntner Hans Bischoffshausen kennen. Der 27 Jahre ältere Künstler wird für den jungen Taupe zu einer Art Mentor.
Nach der Matura und dem Wehrdienst macht sich Taupe 1976 mit einer Mappe abstrakter Arbeiten auf nach Wien. Sein Ziel: die Akademie. Ohne zu wissen, wer dort unterrichtet, wird er vorstellig und aufgenommen. Dass er, der dem Gegenständlichen nie etwas abgewinnen konnte und sich so seit Anbeginn der Abstraktion verschrieben hat, ausgerechnet beim Naturabstraktionisten Max Weiler landet, gleicht schicksalhafter Fügung. „Der Weiler war schon eine gute Schule“, blickt Taupe zurück. Er erinnert sich an dessen unkonventionelle Lehrmethode: „Während die anderen nach Lehrbuch mit dem Aktzeichnen begonnen hatten, mussten wir zunächst einen Gerümpelhaufen mit einem harten 7HB-Bleistift zu Papier bringen – da konntest du noch so fest aufdrücken und hast so gut wie nichts gesehen“, lacht er. „An die Farbe führte er uns heran, als wir später mit reinem Pigment kolorierten – dann ging er durch die Reihen, hat auf das Pigment gepustet und weg war die Farbigkeit. Erst dann folgte der Akt.“ Nach dem Akt folgten die Ferien. Und denen die Krise: „Da ging es uns Weiler-Studierenden allen gleich; seine Methode hat einen Reset-Knopf gedrückt – man hat alles, was man zuvor gemacht hat, infrage gestellt oder vergessen.“ Ein künstlerischer Nullpunkt, auf dem man fortan aufbaute.
Malerei ist Malerei
Seine abstrakte Malerei ist damals noch verstärkt von monochromer Pastosität, ehe sie sich mit der Zeit und dem Einzug geometrischer Formen in eine zunehmend malerische Richtung entwickelt. „Meine Malerei ist heute Malerei in ihrer reinsten Form – die pure Essenz dessen“, holt er aus. Es gehe dabei um nichts, außer um das Malen per se. Was damit gemeint ist, verdeutlicht sein konzentrierter Prozess: Ohne Motiv, ohne Thema und ohne Idee macht er sich – ganz ohne jegliche Absichten und losgelöst von inneren Emotionen – an die Arbeit. Er ergibt sich gänzlich der Malerei.
„Die bewusste Überlegung einer Bildidee hat für mich ebenso wenig funktioniert wie der Ausgang von einem konkreten Motiv.“ Taupe abstrahiert nicht, er malt abstrakt. Im Prozess tastet er sich an seine Bilder heran. Auf Titel verzichtet er bewusst – „zu schwülstig“. Dass Betrachtende etwa Figuren oder die Natur in seiner Abstraktion erkennen, ist Projektion persönlicher Erfahrungen. „Das macht meine Arbeit überhaupt erst lebendig.“ Taupe sieht darin nichts als Schichten aus Farbe – nicht mehr, nicht weniger. Der oftmals entdeckten Natur könne er in seiner Malerei nichts abgewinnen: „Da kann ich für meine Arbeit und mich nichts herausholen – ich bin im Prozess immer auf mich zurückgeworfen.“


© Beigestellt
Wechselseitiges Wirken
„Jedes Bild ist zunächst ein riesiges Problem“, lacht er. Aber das sei in Ordnung. Schließlich malt er für sich selbst – „meine Malerei ist letzten Endes eine Suche nach dem eigenen Ich, eine Reise zu mir.“ Einen Lösungsansatz liefern unterbewusst gesammelte Reize des Alltags, die erst im unmittelbaren Malprozess zutage gefördert werden. Schmunzelnd schweift sein Blick durch die Bildmengen im Atelier: „Die Festplatte da oben muss ordentlich Kapazität haben.“
Ausdruck verleiht er seinem Unterbewussten durch Farbe. Ausprobiert habe er dabei entlang seines Weges so einiges. Sein Œuvre bestätigt das. Manche Farben kommen, um zu bleiben. Manche verschwinden. Heute sind seine Bilder von sanfter Farbgewalt. Die Intensität deren knalligen Ursprungs schraubt er bewusst zurück – entsättigt mit Weiß, ohne dabei aber an Expression zu verlieren. Die Farbe sei außerdem bloß das eine, die harmonische Komposition das andere. Zu harmonisch dürfe es aber nicht werden: „Bewusste Brüche sind essenziell – die machen ein Bild überhaupt erst interessant.“
Und obwohl die vordersten Bilder der Reihen einander ähneln, ist es doch der stete Wandel, der den Künstler neben der Abstraktion seit jeher begleitet. So hat etwa das Zeichnen – mit dem Taupe erst 2009 auf Anraten, um nicht zu sagen auf Drängen, eines Kollegen begonnen hat – unmittelbaren Einfluss auf seine Malerei gehabt. Die Nichtfarbe Weiß hält plötzlich markanten Einzug in sein malerisches Werk. Das grafische Arbeiten sieht Taupe mittlerweile als eine Art Urlaub – eine geradezu meditative Auszeit von der Malerei. Außerdem sei es eine sinnvolle Ergänzung des künstlerischen Repertoires: Die zwei Disziplinen beeinflussen und begünstigen einander – das treibt die Genese voran.


Grafisch. 2009 erweitert Taupe sein Repertoire um Zeichnungen, die auch Einfluss auf seine Malerei haben
© BeigestelltWandel ohne Stillstand
Dabei wäre Stillstand schon aufgrund seines Malprozesses ausgeschlossen: Bei Taupe bedingt ein Bild das nächste. Als Farbpalette dient ihm stets eine Leinwand, die den Ausgangspunkt der nächsten Arbeit schafft. „Ursuppe“, bezeichnet Taupe diese grundlegende, vom Zufall bestimmte Abstraktion mit reliefartiger Struktur. Ein Grundrezept, aus dem er künstlerisch schöpft. Zum „Taupe“ wird die „Ursuppe“ aber erst durch den folgenden, schichtweisen Farbauftrag. Er ist ein malerisches Herantasten an eine finale Fügung amorpher Flächen – denen später durch individuelles Betrachten Leben eingehaucht wird. „Mein Vater hat immer gesagt: Der macht aus nichts etwas.“
Wann dieses Etwas erreicht und damit ein Bild fertig ist, weiß der Künstler heute – ohne jemals zufrieden zu sein, versteht sich – genau. „Jahrelange Erfahrung“, plädiert er. An diesem Punkt der Vollendung angelangt, ist für Taupe noch lange kein Ende in Sicht – mit der nächsten Palette, die darauf wartet, zum „Taupe“ zu werden, steht er vor seinem nächsten Problem. Sisyphos sei Dank.
KUNSTTIPP
Eine kuratierte Auswahl an Arbeiten aus Taupes Œuvre ist in der Salzburger Galerie Welz zu sehen.







