Man hat in den Opernhäusern und auf den Sprechbühnen schon betörendere Spielzeiten erlebt. Aber es gab Ausreißer: Christian Thielemann bestimmte den musikalischen Standard der Staatsoper. Stefan Bachmann übernahm mit Fortüne die Burg. Und Herbert Föttinger überstand eine Intrige Sitzengebliebener
Die Beurteilung der Bundesländerbühnen müssen wir uns mangels Detailkenntnissen versagen, freuen uns aber, wenn uns unsere Leser behilflich sind: Schreiben Sie mir, was Sie in der nun endenden Saison beeindruckt hat!
In Wien hat der neue Burgtheaterdirektor Bachmann das Amt mit Fortüne angetreten. Den wildesten Sturm bestand allerdings Josefstadt-Chef Herbert Föttinger in seiner vorletzten Saison. Und in der Staatsoper bestimmte für ein traumhaftes Jahr der Dirigent Christian Thielemann den musikalischen Standard.
Christian Thielemann: König auf Abruf
Respektables Format ist noch das Äußerste, was man Wiens Opernbühnen zu Beginn der Sommerpause nachrühmen kann. Zumal das, was die Wiener Musiktheatersaison weithin überleuchtet hat, leider ein unwiederholbarer Einzelfall bleiben muss: Der von Orchester und Publikum außer aller Norm geliebte Dirigent Christian Thielemann, 66, hat eine Saison lang de facto das Chefrepertoire der Staatsoper bestritten.
Die „Lohengrin“-Premiere als Koproduktion mit den Salzburger Osterfestspielen, dazu die Wiederaufnahmen von Pfitzners „Palestrina“ und Richard Strauss’ „Arabella“, beide auf ausdrückliches Begehren des Maestros: Viele Wiener Opernbesucher sahen sich da im Himmel.
Allerdings war die Traumkonstellation das Resultat glücklicher Umstände und fand überdies unter schmerzlichen Bedingungen statt, in deren Gefolge die „Palestrina“-Neueinstudierung im Dezember fast auf der Kippe gestanden wäre.
Monatelang hatte sich Thielemann durch seine Termine gequält, war mit den Philharmonikern auf Japan-Tournee gefahren, hatte sein Antrittskonzert als Generalmusikdirektor der Staatskapelle Berlin samt zugehöriger Staatsoper mit Glanz absolviert und bei den Salzburger Festspielen drei Mal Richard Strauss’ „Capriccio“ dirigiert.
Die Schmerzen nach einem Sturz bei Freunden hatte der Maestro dabei stand haft ignoriert, bis sie unerträglich wurden. Dafür hatte es dann die Diagnose in sich: Die Achillessehne war gerissen, und die deshalb ernstlich bedrohten Auftritte betrafen maßgeblich auch Wien.
Flüchtiges Glück
Opernchef Bogdan Roščić hatte zuvor von einem flüchtigen Glücksmoment profitiert: Thielemann war, nicht nur in Freundschaft, aus Dresden und von den Salzburger Osterfestspielen geschieden, wollte nie mehr eine Chefposition annehmen und suchte sich dafür an der Staatsoper und anderswo aus, was ihm am Herzen lag.
Da erkrankte in Berlin der große Kollege Daniel Barenboim derart schwer, dass die Chefposition der Staatskapelle nach 32 Jahren über Nacht vakant wurde. Berlin, sagt Thielemann heute, sei ja doch seine Stadt und sein Wohnsitz. Also unterschrieb er mit halsbrecherisch schmalen elf Monaten Vorlaufzeit. Freilich unter der Bedingung, bereits Vereinbartes einhalten zu können.
So kam Wien eine Saison lang zur uneingeschränkten Ehre, und dass es der geliebte „Palestrina“ war, den er schon als junger Chef in Nürnberg und dann weltweit zwischen London, New York und Berlin dirigiert hatte – das war wohl inmitten der Krankengeschichte die Rettung für das Projekt. „Ich habe kurz gezögert, aber der Arzt hatte mir gesagt, wenn es Ihnen hilft, dann ist es besser, als wenn Sie zu Hause herumsitzen und das Bein hochlegen. Es war unglaublich, wie sich die Wiener Staatsoper um mich gekümmert hat. Sie haben mich zur Stoßwellentherapie und von da wieder zurück ins Hotel gebracht, alles mit einem Rollstuhl, mit dem sie mich auch vom Sacher bis zum Orchestergraben und nachher auf die Bühne zum Applaus hochschoben. Die haben mich tatsächlich gerettet. So wie schon in der Corona-Zeit“, kommt Thielemann auf ein anderes bedrohliches Kapitel, „als ich in Dresden nichts machen konnte. Und dann riefen die Wiener Philharmoniker an und fragten, ob ich den ganzen Bruckner aufnehmen will.“ Das Resultat aus dem leeren goldenen Saal vor einem Dutzend Kritikern hat Interpretationsgeschichte geschrieben, der komplette Brahms ist in Arbeit.
Gegen „Palestrina“, das hoch spirituelle Porträt des gleichnamigen italienischen Renaissancekomponisten, wird mancherseits kunstfern opponiert, weil der Komponist Hans Pfitzner ein wirrer und verbohrter Nazi war. „Aber ich habe mich auch nie darum gekümmert, ob sich Beethoven frische Wäsche angezogen hat und ob Bach Manieren hatte oder Kraftausdrücke gebraucht hat“, weist Thielemann einschlägige Ansinnen zurück.
Generalpause an der Staatsoper
Nun ist nach dem glücklichen Jahr an der Staatsoper (aber nicht am Pult der Philharmoniker) leider Generalpause. „Sie wissen doch, was immer über GMD gesagt wird, dass sie nie da seien und sich um nichts kümmern. Ich kann das nicht, deshalb habe ich alles Mögliche aus dem Kalender genommen und mache außer Berlin nur noch Wien und Bayreuth. Ich möchte ja auch noch ein Privatleben haben und muss auch Partituren lernen, so etwas erledigt sich nicht, indem man die Noten unter das Kopfkissen legt. In meinem Alter darf man sich nicht erschöpfen, die Qualität muss noch nach oben gehen, und ich finde es auch künstlerisch unverantwortlich, bei diesem Zirkus allzu viel zu machen. Deshalb habe ich auch seit 20 Jahren keinen Agenten mehr, der mir sagt, was ich unbedingt noch tun sollte. Meine Telefonnummer liegt auf, das genügt.“
2026/27 kommt wieder etwas in der Oper, und zum 200. Todestag Beethovens anno 2027 bereitet er auch in Salzburg Markantes vor. Nur keine Oper, denn „das beißt sich mit Bayreuth“. Dort ist er nach schwachköpfigen Intrigen, die fast schwere Sanktionen von Fördererseite nach sich gezogen hätten, nächstens wieder hoch willkommen.
Und 2027/28 geht es in Wien mit dem neuen „Wagner“-Ring ins Allerheiligste der Opernkunst. Christian Thielemann als Zentrum des Vorhabens zu vermuten, dürfte nicht abseitig sein.


Von Mäusen und Menschen. John Steinbeck, denkwürdig in den Kammerspielen.
© Moritz SchellHerbert Föttinger: Sturm vor der Ruhe
19 Jahre, in denen nichts falsch gemacht wurde. Die Josefstadt ist konsequent gut besucht und überdies das aktivste Uraufführungstheater des Landes. Wer statt Diskursgeschwafel und Wikipedia-basiertem Agitprop lieber sein Stück auf der Bühne sehen will, vertraut sich dem im Juni 2026 scheidenden Direktor Herbert Föttinger an. Zuletzt war das die Tirolerin Lisa Wentz, die mit der Dorftragödie „Azur“ großen Kollegen wie Peter Turrini, Felix Mitterer, Tom Stoppard, Daniel Kehlmann und Thomas Arzt folgte.
Das spektakuläre Programm der Abschiedssaison 2025/26 begann sich schon herumzusprechen, da setzte sich im September die Denunziationsmaschine in Bewegung. Zwölf von 360 Bediensteten der Josefstadt, die meisten anonym, mehrere in Unfrieden geschieden, beschuldigten den Direktor, u. a. durch Probenschreien ein „Klima der Angst“ erzeugt zu haben.
In dieser Situation bewährte sich das Prinzip des subventionierten Privattheaters: Der Stiftungsrat stellte sich hinter Föttinger, das Ensemble und Turrini erklärten ihm die Ehre, und Ruhe war.
„Geschwätz, Sensationslust“
Oder doch nicht? „Ich habe wenig Lust, mich dazu zu äußern“, sagt Föttinger, der mit seinen 63 Jahren sein Unternehmen als Protagonist, Regisseur und Direktor am Glühen hält. „Ich bin jetzt 45 Jahre lang Schauspieler, kenne die Befindlichkeiten von Kollegen und weiß, was man so schwätzt und erfindet. Es gehört halt zu diesem Beruf dazu. Das einzig Schlimme ist, dass die Medien in dieser sensationslüsternden Form da mitspielen. Dabei gibt es auf der Welt genug Probleme, die wirklich bedrohlich sind.“
Hat er also doch Schaden genommen? Der gern selbstbewusst Aufbrausende zögert für einen Moment. „Ich bin nicht so gestrickt, dass das alles an mir abgeronnen wäre. Es hat auch die ganze Direktionsetage ziemlich in Aufregung gehalten. Und wir haben leider nur 88 Prozent Auslastung“, findet er im Wissen um die mittelschweren Besucherprobleme der Konkurrenz gleich wieder zum Ton spöttischer Distanz zurück. „Das Ganze ist an den Besuchern, glaube ich, spurlos abgeperlt.“
Als Saisonpretiosen benennt er „Azur“ und den amerikanischen Achtstünder „Das Vermächtnis“ über die Unzukömmlichkeiten eines homosexuellen Freundeskreises in der Obama-Zeit. Dass das von Thema und Umfang beim mehrheitlich reifen Josefstadt-Publikum nur überschaubaren Ansturm erzeugt hat? „Das ist ein Marathon, auch schwer für das Publikum zu verdauen, dass man quasi von drei bis halb elf im Theater sitzt. Aber nach jeder Vorstellung springt das Publikum zur Standing Ovation auf. Nicht nur, weil das so toll ist, man hat auch das Gefühl, wir haben gemeinsam etwas durchgekämpft.“
Jetzt das Finale
Und jetzt die Abschiedssaison. Turrini, Mitterer, Kehlmann bringen neue Stücke, aus Berlin kommt Nikolaus Habjans Hitler-Groteske „Schicklgruber“. Und die vielleicht letzte epochemachende Regisseurin unserer Zeit, Andrea Breth, wird Christopher Hamptons Quasi-Solo „Ein deutsches Leben“ inszenieren, das auf den Aufzeichnungen der Goebbels-Sekretärin Brunhilde Pomsel beruht. Die große Schauspielerin Lore Stefanek, die Föttinger der Josefstadt eingemeinden konnte, hat das angebahnt, in Berlin wurde man sich einig, während Andrea Breth sonst an besten Bühnen, nur nicht in Wien inszeniert.
Zusehen, wie aus der ersten Bauprobe ein klar skizziertes Ganzes entstehe, sei schon ein Ereignis, sagt Föttinger, und dass man es bei einem Solo nicht bewenden lassen werde. Zu erwarten sei ein vielstimmiges Gebilde, das die unheilvolle Welt zur Zeit der Handlung auch in einer gewissen Schönheit zeigen werde.
Und dann: Welch ein Bekenntnis! Der erstklassige Regisseur und erfolgreiche Burgtheaterdirektor Matthias Hartmann wurde zwar von aller Mitschuld am Malversationsskandal des Hauses exkulpiert.
Inszeniert hat er allerdings an keinem Wiener Theater mehr. Jetzt nimmt er sich des Bernhard’schen „Theatermachers“ an. Föttinger spielt die Titelrolle, den in Wirtshaussälen gestrandeten Bühnendespoten. „Da denken wir beide über das Theater nach, zwei alte weiße Männer“, kommt der Direktor auf das Stereotyp, das „Rassismus, Sexismus und Altersdiskriminierung“ in einem transportiert. „Er hat mir von seiner Fantasie erzählt, dass er nicht nur den Despoten zeigen will, sondern auch einen verzweifelten Theatermenschen, der um sich schlägt, weil er weiß, wo er sich befindet.“
Die Zeit nach Föttinger
Marie Rötzer, derzeit noch erfolgreich in St. Pölten aktiv, übernimmt im September 2026. Sie hat schon mit allen Ensemblemitgliedern gesprochen, aber noch niemanden über seine Zukunft informiert. Dass sie die Suppe wegschütten werde, wie der feinsinnige Burgtheaterdirektor Martin Kusej vor Dienstantritt zu verstehen gab, ist nicht zu erwarten, würde von der Öffentlichkeit auch unfreundlichst zur Kenntnis genommen.
Sicher ist nur: Föttinger wird in der neuen Direktion nicht vorkommen. Auch der „Theatermacher“ muss weichen. „Ich werde das Land verlassen“, sagt der Direktor, „weil ich jetzt einmal eine Pause brauche. Ich muss wieder brennen, und im Moment ist der Drang, im Hamsterrad Theater zu machen, ein bisschen beschädigt.“
Also hat er ein Haus am Roten Meer gemietet. „Ich werde dort tauchen und den Barracudas und den Haien zuschauen.“ Gibt es die im geografisch unbedenklicheren Wien denn nicht zur Genüge? „Schon, aber am Roten Meer sind sie ehrlicher. Die Muräne zeigt dir dort wenigstens deutlich, dass du ihr besser nicht zu nahe kommst, weil du sonst keinen Finger mehr hast.“ Den verliert man hierzulande bekanntlich auch. Nur ohne Vorwarnung.
Die Theatersaison
Das Beste
Von Mäusen und Menschen. Kammerspiele, Regie: Torsten Fischer. John Steinbecks amerikanischer Albtraum, nah am genialen Text inszeniert, großartig gespielt.
Schachnovelle/Holzfällen. Zwei eng verwandte Publikumstriumphe am Burgtheater: Nils Strunk (Stefan Zweig) bzw. Nicholas Ofczarek (Bernhard) bringen Weltliteratur solistisch zum Glühen.
Azur oder Die Farbe von Wasser. Josefstadt, Regie: David Bösch (Uraufführung). Lisa Wentz’ Außenseitertragödie in der Dorfhölle, ein dichtes, beklemmendes, zärtliches Gebilde.
Liliom. Burgtheater, Regie: Philip Stölzl. Stefanie Reinsperger als darstellerisches Elementarereignis: vollkommene Verwandlung jenseits dümmlicher Diversitätsdiktate.
Content. Schauspielhaus, Regie: Asli Kislal. Elias Hirschls umwerfende Dystopie einer untergehenden digitalen Schwachsinnswelt mit aktionistischem Witz auf die kleine Bühne gehoben.
Das Schwächste
Hamlet. Burgtheater, Regie: Karin Henkel. Stefan Bachmann wollte seine Direktion mit einem Coup beginnen. Es wurde ein Zitatensalat mit Wikipedia-Einlagen und fünf Titelhelden.
Onkel Wanja. Josefstadt, Regie: Amélie Niermeyer. Tschechow in lähmendem deutschen Dauerklamauk versenkt. Tolle Schauspieler gehen im ohrenfolternden Krawall unter.
Alles ist erleuchtet. Akademietheater, Regie: Mina Salehpour. Jonathan Safran Foers KZ-Groteske hätte Tabori-Format. Erzeugt wird geschmack- und instinktloser Betriebsausflugsfrohsinn.
Die Musiktheatersaison
Das Beste
Palestrina. Staatsoper, Dirigent: Christian Thielemann. Die Wiederaufnahme von Pfitzners Werk mit fabulösem Michael Spyres. Thielemann begeisterte auch mit „Arabella“ und „Lohengrin“.</p>
Norma. Theater an der Wien, Regie: Vasily Barkhatov. Noch aus Roland Geyers Planung: Bellinis Hauptwerk gerät dank Asmik Grigorian zum aufwühlenden Höllentanz.
Alma von Ella Milch-Sheriff, Volksoper. Das Porträt der exzessiven Muse wurde dank der israelischen Komponistin, der Regisseurin Ruth Brauer und guter Sänger zur Sehenswürdigkeit.
Tannhäuser. Staatsoper, Regie: Lydia Steier. Ein gelungener Wagner, witzig und intensiv inszeniert, fein dirigiert von Philippe Jordan, mit starkem Protagonisten Clay Hilley.
Modus Vivendi. Serapionstheater, Regie: Max Piplits. Ein vielschichtiges, vielstimmiges Gebilde aus Musik, Pantomime und Tanz, ganz aus der großen Ästhetik des Hauses.
Das Schwächste
Le nozze di Figaro. Volksoper, Regie: Lotte de Beer. Die Direktorin und Dirigent Meir Wellber bearbeiteten Mozart mit dem Vorschlaghammer. Alle Logen sind gesperrt, weil die Übernahme aus Aix-en-Provence anders nicht ins Haus passt.
Don Carlo. Staatsoper, Regie: Kirill Serebrennikov. Der bedeutende russische Regisseur griff in der insgesamt schwachen, uninteressant besetzten Produktion arg daneben. Verdi, in ein Kostümmuseum verlegt: Dort ist er nicht gut aufgehoben.
Die Csárdásfürstin. Volksoper, Regie: Johannes Erath. Weil Emmerich Kálmán die Komposition im Kriegsjahr 1914 begann, wird die atmosphärenstarke Operette in grauschwarze Depression versenkt. Als wären die Zeiten nicht trüb genug.
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 23/2025 erschienen.