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Salzburger Festspiele: Als der Weltkrieg Realität war

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Michael Maertens und Marie-Luise Stockinger

©Bild: Matt Observe

Inmitten drohender weltpolitischer Verwerfungen wagen sich die Salzburger Festspiele an Karl Kraus’ Textmassiv „Die letzten Tage der Menschheit“. ­ Marie-Luise Stockinger und Michael Maertens im Gespräch zur Lage.

Der bis dato letzte Versuch vor Ort scheiterte menetekelhaft. 2014 war das: Burgtheaterdirektor Matthias Hartmann hatte Karl Kraus’ Weltkriegsapokalypse „Die letzten Tage der Menschheit“ als Koproduktion mit den Salzburger Festspielen selbst in Szene setzen wollen und war schuldlos über einen Wiener Malversationsskandal gestürzt. Der einspringende Regisseur Georg Schmiedleitner verursachte, trotz des starken Ensembles mit Elisabeth Orth, das übliche Verzwergungsspektakel: Kraus’ alle Dimensi0nen sprengendes „Marstheater“ schrumpfte, wie stets zuvor, zur flauen Sketchparade aus dem Ersten Weltkrieg.

Jetzt der Zweitversuch: Der tschechische Regisseur Dušan David Pařízek geht auf der Pernerinsel ans Werk, das Ensemble repräsentieren u. a. Michael Maertens und Marie-Luise Stockinger, Partner an der Burg wie im Leben.

2014 waren Kriege noch Kontinente entfernt. Und jetzt? Der Erste Weltkrieg sei im Schulunterricht kaum vorgekommen, sagt Marie-Luise Stockinger, 32. Dabei könne man von ihm auf das drohend aufziehende Unheil hochrechnen: „Nationalistischen Töne, Gebietsansprüche, revanchistische Bestrebungen, Aufrufe zur Aufrüstung, als wäre es das Höchste, wieder militärische Stärke zeigen zu können. Diplomatie greift immer weniger und verkommt zur Farce.“

Heillos überfordert sei sie mit all den Rüstungsdebatten angesichts des Rückfalls in primitive Zustände und des Außerkrafttretens der nachkriegszeitlichen Regeln, fügt die Tochter eines historisch höchstinteressierten oberösterreichischen ÖVP-Politikers hinzu. Und Maertens, 61: „Ich als Pazifist gebe die Hoffnung nicht auf, dass vielleicht unsere Kinder oder Kindeskinder es schaffen, zur Erkenntnis zu gelangen, dass man diese Waffen gar nicht herstellen darf. Aber jetzt blickt man wieder auf die andere Seite des Atlantiks, auf die man sich nicht mehr verlassen kann, und auf unserer Seite droht ein offensichtlich sehr aggressives Land wie die Russen.“

Kraus ohne Brimborium

Der Kraus-Text werde jetzt in eine kulinarisch angerichtete Geschichtsstunde verwandelt, sagt Marie-Luise Stockinger, mit Lichtstimmungen, Musikteppichen, verschiedenen Bühnenräumen. „Es ist eine sehr theatralische Arbeit“, ergänzt Maertens, der wie alle mehrere Rollen übernimmt. „Es gibt keine unnötigen Requisiten, kein Mobiliar. Das müssen wir alles selber herstellen.“

Er selbst wurde vor zwei Sommern schuldloses Opfer eines Rettungseinsatzes: Michael Sturmingers „Jedermann“ aus dem Jahr 2017 hatte sich bis 2023 derart publikumsabweisend verkrampft, dass die Inszenierung mitsamt dem Protagonisten Maertens tumultös aus bereits paktierten Verträgen flog. „Frieden weiß ich nicht“, beantwortet Maertens die naheliegende Frage. „Aber jetzt ist das vorbei. Seltsam ist, dass wir von jemandem engagiert worden sind, der gar nicht mehr da ist.“

Womit er den nächsten schmerzempfindlichen Punkt berührt: Das diesjährige Schauspielprogramm beruht noch zur Gänze auf der Planung der Spartendirektorin Marina Davydova, deren erster, überschaubar geglückter Sommer im Amt 2024 auch ihr letzter war.

„Wir wollen die ,Letzten Tage‘ besonders schön machen, weil wir uns bei ihr für diese schöne Idee bedanken wollen“, sagt Maertens, und Marie-Luise Stockinger legt noch etwas nach: „Ich kenne die Hintergründe ihrer Entlassung nicht. Ich hätte natürlich den Austausch mit Frau Davydova über ihre Flucht aus Russland und Regimekritik hoch spannend und wichtig für unsere Arbeit gefunden.“

Medien als Teufelswerk

Die „Letzten Tage“ konzentrieren sich in der 50-seitigen Spielfassung wesentlich auch auf Kraus’ Kernmaterie, den Klumpen aus Politik, Wirtschaft und Medien. Letztgtenannte nehmen heute digital einen verheerenden Weg. „Ein gefährliches, suchtmachendes Teufelszeug“ nennt Maertens die sozialen Medien. Er hofft auf eine machtvolle Gegenbewegung. Marie-Luise Stockinger, die Kraus’sche Nörglerin in der Beziehung mit dem Optimisten Maertens, ist da rigider. Auch in ihrer vor-digitalen Schulzeit sei schon gemobbt worden, aber da wurde man nicht um ein Uhr Früh terrorisiert. Sie will den Zugang bis zum 18. Lebensjahr beschränkt wissen, dafür genaue Aufklärung in der Schule.

Und die Beziehung? Gott sei Dank sei man nicht prominent genug für Belästigungen, sagt Marie-Luise Stockinger. Und Maertens stimmt zu: Man gehe unbelästigt durch das private und berufliche Leben, behellige niemanden mit Homestorys und werde auch nicht behelligt. Einander gefunden zu haben, sei wunderschön, und mehr sei dazu nicht zu bemerken.

Wunderschön, in der Tat.

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Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 30+31/25 erschienen.

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