Seit mehr als 35 Jahren logiert die italienische Mezzosopranistin Cecilia Bartoli in der Weltklasse. Seit sie 2012 die Pfingstfestspiele in Salzburg übernahm, erstrahlt das Festival wie einst zu Karajans Zeiten. Für die aktuelle Ausgabe kreierte sie das Vivaldi-Gebilde „Hotel Metamorphosis“. News gewährte sie eines ihrer raren Interviews und spricht über ihr Festival, Startheater und die Bedrohung der Kunst durch die Politik.
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Der Begriff „Phänomen“ ist für die italienische Mezzosopranistin Cecilia Bartoli eine Untertreibung. Wie ein Solitär erhellt seit mehr als 35 Jahren ihre Strahlkraft den Klassikmarkt. Wie bei König Midas wird zu Gold, was sie berührt. Seit 2012 leitet sie die zu den Salzburger Festspielen gehörigen Pfingstfestspiele, 2016 gründete sie in Monaco das Originalklangorchester Les Musiciens du Prince – Monaco, und seit 2023 leitet sie das Opernhaus in Monte-Carlo.
Jetzt steht Spektakuläres bevor: Mit dem Regisseur Barrie Kosky hat sie für ihr Salzburger Festival das Opern pasticcio „Hotel Metamorphosis“ (Premiere am 6. Juni), das Musik von Antonio Vivaldi mit Ovids „Metamorphosen“ verschneidet, einer der bedeutendsten Dichtungen der Antike. Die Interviews der Bartoli sind Raritäten, News stand sie zur Verfügung. Kommuniziert wurde in einer Art zeitverzögertem Mail-Chat über Mythen, ihr Entstehen und Kunst in bedrängenden Zeiten.
Frau Bartoli, Sie bringen in „Hotel Metamorphosis“ Ovids Mythen auf die Opernbühne. Hat Sie womöglich schon der Lateinunterricht für Ovid empfänglich gemacht?
Wissen Sie, wenn man wie ich in Rom aufwächst, ist man umgeben von der lateinischen Sprache und der Kultur der Antike … Wenige Schritte von meiner Wohnung entfernt befindet sich zum Beispiel eine der typischen Backsteinmauern, in die beim Bau zahlreiche Bruchstücke von marmornen Überresten aus der Römerzeit eingefügt wurden: Säulenkapitelle, Steinblöcke, beschriebene Tafeln. Daher stößt man überall auf lateinische Inschriften. Und die alten Mythen sind bei uns überall präsent, in der bildenden Kunst, den Malereien und in der Musik – das heißt, sie sind einfach in einem drin …
Sie verkörpern die Weberin Arachne, die die Göttin Pallas Athene herausfordert: Weil sie besser weben kann, wird sie zur Strafe in eine Spinne verwandelt. Wir lernen daraus, dass Hybris zerstört. Lässt sich diese Geschichte auch auf das Leben eines Künstlers umlegen?
Hybris in unserem Metier ist, die Intentionen der Komponisten nicht zu respektieren. Wir müssen den Schöpfern und ihren Werken dienen, ansonsten verfallen wir dem Narzissmus, und das ist die Hybris.
Wie kamen Sie darauf, Ovids „Metamorphosen“ mit der Musik von Antonio Vivaldi zu verbinden?
Ich wollte schon länger ein Vivaldi-Projekt machen, und ich wollte schon länger mit Barrie Kosky arbeiten. Wir haben uns immer wieder getroffen, um uns etwas auszudenken – schließlich schlug ich ein Vivaldi-Pasticcio vor – also ein Amalgam aus allen erhaltenen Vivaldi-Opern, und er die „Metamorphosen“ als roten Faden. Ein Pasticcio als Hommage an einen Komponisten zu machen, war in der Barockzeit üblich – es gab ja keine Tonaufnahmen, mit denen man die Erinnerung an eine bestimmte Musik aufrechterhalten konnte – daher tat man das auf diese Weise, und wir führen die Tradition fort: eine Uraufführung, die aus bestehender Musik zusammengesetzt wurde, ein Top Ten von Vivaldi-Arien.
Ovid schrieb das Werk im ersten Jahr nach Christus. Der Text hat nichts an Gültigkeit verloren. Der Künstler Pygmalion kommt mit wirklichen Frauen nicht zurecht und erschafft sich eine Gefährtin aus Elfenbein, die durch Venus zum Leben erweckt wird. Das ist doch das Beispiel für männlichen Chauvinismus schlechthin, nicht wahr?
Ja, klar, Ovid hat ja jene Geschichten dichterisch verarbeitet, die schon zu seiner Zeit Mythen waren. Und das Schöne von Mythen ist, dass sie ihre Gültigkeit kaum verlieren. Dies lässt sich auch in Barrie Koskys Inszenierung ablesen: grundiert im Heute, ist sie einerseits zeitlos, zeigt aber auch klar die Verbindung zwischen der realen und der übergeordneten Welt. Zwischen uns Darstellerinnen und Darstellern entsteht eine Art energetischer Austausch, obwohl wir uns zum Teil in separaten Räumen aufhalten, wo wir einander gar nicht sehen.
Ovid beginnt seine Metamorphosen im Goldenen Zeitalter. In welchem Zeitalter befindet sich die Klassik, die Kunst heute?
Vieles in unserer Zeit ist golden: Es gibt sehr viele tolle Künstlerinnen und Künstler, sehr gute Stimmen, auch junge Leute, die Lust haben, diese Musik zu machen. Gleichzeitig geht eine große Gefahr von der Politik aus, welche sich weniger für Kultur interessiert – das beginnt schon bei den Schulen, wo zum Beispiel in vielen Ländern der Musikunterricht gestrichen wird.
Barockoper ist doch große Show. Sie stellten Ariodante, Händels Helden, als eine Art Conchita dar …
Haha, der Vergleich mit Conchita Wurst, war kompletter Zufall, weil ich in der (männlichen) Rolle des Ritters Ariodante einen Bart angeklebt habe!! Genauso verglichen mich viele Leute mit Johnny Depp in „Pirates of the Caribbean“ … Diesmal wird so ein Gedanke schwieriger, weil ich ja nur Frauenfiguren verkörpere!
In Barockopern ist Genderfluidität eine Selbstverständlichkeit. Männer sangen Frauenrollen …
Das ist tatsächlich so. Die Rolle und die Stimme, welche sie verkörperte, war losgelöst vom Geschlecht der Person, welche sie darstellte. Daher sangen Frauen oft Männerrollen, Männer hingegen Frauenrollen. Es gab sogar Fälle, wo zum Beispiel in der Premiere einer Oper eine Männerfigur von einer Frau gesungen wurde, in der Wiederaufnahmen hingegen von einem Mann. Im Prinzip wollte ich mit meinem Bart genau das sichtbar machen, dass der Job von Bühnenkünstlerinnen und -künstlern schon immer verlangte, dass man sich ständig in andere Figuren hineinversetzt, wenn es das Stück verlangt, sogar vom anderen Geschlecht. Ursprünglich wurde dies übrigens damit erklärt, dass die Kirche es Frauen verboten hatte, auf der Bühne aufzutreten – aus sittlichen Gründen. Später entwickelte sich das Ganze aber zum überdrehten Genderplay von besonderer Erotik. Aufgrund der oft eher femininen Gestalt und ihrer hohen Stimme debütierten gerade junge Kastraten meist in Frauenrollen. Unglaublich tragisch, dass Hundertausende Knaben verstümmelt wurden zur Lust eines Publikums, welches sich von diesem „Spiel“ angezogen fühlte. Da bin ich dankbar, dass uns so viel herrliche Musik überliefert wurde, während das Kastrieren von Kindern Gott sei Dank aus der Mode gekommen ist.


Conchita Lookalike: Cecilia Bartoli als Händels Ariodante bei den Salzburger Pfingstfestspielen 2017.
© SF/Monika RittershausWie politisch, soll oder darf eine Inszenierung heute sein?
Für mich steht eine gute Inszenierung über der Tagespolitik. Kunst beschäftigt sich mit den großen Themen der Menschheit, der Reflexion über das Menschsein, den großen Werten wie Humanismus, Frieden und Toleranz. Daher interessiert und berührt Vivaldi auch noch nach 400 Jahren, Mozart nach mehr als 300 … Die in unserer Produktion gezeigte Geschichte von Orpheus und Euridice zeigt, wie weit einen die Liebe führen kann, wie die menschliche Stimme, von der ich immer sage, sie sei das der Seele am nächsten liegende Instrument, das eine unglaubliche Kraft hat, die sogar die getriebenen Seelen der Verdammten besänftigen kann. Politik ist in diesem Zusammenhang ephemer. Zu viele Bezüge oder ausschließlicher Bezug auf Tagespolitik mindert meiner Meinung nach die Bedeutung des Diskurses, den die Kunst führt.
Sprechen Sie bei der Regie mit oder lassen Sie Ihrem Regisseur freie Hand?
Barrie hat sich ausführlichst mit den Opern Vivaldis auseinandergesetzt und eine Struktur vorgeschlagen, welcher der von ihm ausgedachte Erzählstrang zugrunde gelegt werden kann. Mit un serem musikalischen Leiter Gianluca Capuano haben wir dann ein paar Vorschläge gemacht, wie der Ablauf in allen musikalischen Farben gestaltet werden könnte, indem wir zum Beispiel einige Ensembles, Chöre und Instrumentalstücke in die im Barock übliche Kette von Solo-Arien einfügten. Die Sängerinnen und Sänger durften sich bestimmte Stücke „wünschen“, insofern als sie in die Gesamtstruktur passen. Es ist also ein regelrechtes Gesamtkunstwerk geworden.
Wirken sich der langjährige Krieg in der Ukraine und die Politik der amerikanischen Regierung, der Klimawandel auf ihre Programmierung aus? Auch auf die Besucherzahlen?
Ich bin ja künstlerische Leiterin, daher darf ich in erster Linie über Kunst reden. Gerade in schwierigen Zeiten möchten die Menschen Kunst erleben, und dies auf hohem Niveau. Kunst kann trösten, stärken, Vertrauen geben, und ja!, ablenken – auch dies kann wichtig sein, um die Menschen in solchen Zeiten zu stärken. Zu den Besucherzahlen kann ich sagen, dass sie in Salzburg auf höchstem Niveau stabil bleiben und in Monte-Carlo jedes Jahr zunehmen (in beiden Fällen klopfe ich auf Holz!).
Die größten Sänger sind bei Ihnen vertreten, Sie, Piotr Beczała, Philippe Jaroussky, die Schauspielerin Angela Winkler wird in „Hotel Metamorphosis“ als Orpheus auftreten. Braucht ein Festival Stars?
Ein Festival braucht große Künstlerinnen und Künstler, die der Musik dienen. Es geht nicht um Stars oder nicht, sondern um Qualität. Dass tolle Künstler auch eine große Karriere machen, geht bisweilen damit einher.
Ihre Gastspiele mit der Oper von Monte-Carlo an der Wiener Staatsoper gerieten zum Triumph. Werden Sie diese fortsetzen?
Wir haben ein wirklich sehr schönes Verhältnis mit der Wiener Staatsoper und ihrem Direktor Bogdan Roščić! Daher hoffen wir sehr, dass wir tatsächlich irgendwann dorthin zurückkehren werden.
Könnten Sie sich eigentlich vorstellen, einmal ein Repertoirehaus zu übernehmen?
Danke für Ihr Vertrauen! ... Ich würde einmal sagen, step by step, schauen wir mal, wohin mich die bestehenden Aufgaben führen …
Sie leiten eine Oper und ein Festival, bei dem Sie auch als Künstlerin auftreten? Wie halten Sie Ihre Flamme am Lodern?
Ich bin immer noch sehr neugierig, lasse mich von den jeweiligen Projekten begeistern und arbeite sehr gerne mit den wunderbaren Kolleginnen und Kollegen sowie den tollen Teams in Salzburg, in Monte-Carlo und anderswo, wo ich auftrete.
Kommen wir noch einmal auf Ihr Festival in Salzburg zurück – im Zentrum steht die Stadt Venedig. Donna Leon sagt mir immer wieder in Interviews, wie Venedig unter Kreuzfahrtschiffen leidet. Sehen Sie das auch so?
Vor meinem Vivaldi-Album von 1999 wurde dieser Komponist ja gar nicht als ernstzunehmender Opernkomponist wahrgenommen, man kannte praktisch nur seine „Vier Jahreszeiten“ oder das „Gloria“. In der Folge meiner und auch der Arbeit anderer Künstler haben sich seine Opern aber selbst im Spielplan von Repertoirehäusern etabliert! Ich selber bin aber noch nie in einer Vivaldi Oper auf der Bühne gestanden, daher wollte ich das nachholen mit etwas ganz Speziellem. Und wenn man Vivaldi sagt, liegt Venedig natürlich auf der Hand, die beiden Dinge sind kaum zu trennen. Was die Kreuzfahrtschiffe betrifft, so ist ihnen mittlerweile die Durchfahrt durch den Canal Grande verwehrt, soweit ich weiß ...
Cecilia Bartoli
wurde am 4. Juni 1966 in Rom geboren. Herbert von Karajan, Daniel Barenboim und Nikolaus Harnoncourt waren ihre Mentoren. Bartoli ist die führende Mezzosopranistin im Belcanto und in der Barockmusik. Ihre CDs mit Raritäten von Viivaldi und Salieri wurden in Millionenhöhe verkauft. Seit 2012 leitet sie die Pfingstfestspiele in Salzburg. 2016 gründete sie in Monaco das Originalklangensemble Les Musiciens du Prince – Monaco. Seit 2023 leitet sie die Oper in Monte-Carlo. 2023 wurde ihr der Titel österreichische Kammersängerin verliehen.
Salzburger Pfingstfestspiele
„Hotel Metamorphosis“ mit Cecilia Bartoli, Lea Desadre, Nadezhda Karyazina, Philippe Jaroussky und Angela Winkler. Regie: Barrie Kosky. Gianluca Capuano dirigiert Les Musiciens du Prince – Monaco 6., und 9. 6.
Marienvesper mit Werken von Mantovani und Monteverdi, Gianluca Capuano dirigiert Il Canto Orfeo Les Musiciens du Prince – Monaco, 7. 6.
„Tod in Venedig“ von John Neumeier, Gastspiel des Hamburger Staatsballetts, 7. 6.
„La Traviata“ von Verdi. Mit Nadine Sierra, Piotr Beczała, Luca Salsi u. a. Dir. Massimo Zanetti, 8. 6.
„… sofferte onde serene …“ Markus Hinterhäuser (Klavier) und Matthias Goerne (Bariton) führen Werke von Berg, Nono, Wagner u. a. auf.
Rossini in Venedig mit Cecilia Bartoli, Mélissa Petit, Sergey Romanovsky , Giorgi Manoshvili, 9. 6.
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 22/25 erschienen.