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Billie Eilish: Pop aus dem Schlafzimmer

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Aktualisiert
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10 min

©Arturo Holmes/Getty Images for ABA

Billie Eilish kommt nach Wien. Klar, dass innerhalb kürzester Zeit die Tickets ausverkauft sind, zählt sie doch zu den erfolgreichsten Künstlerinnen weltweit. Nun sitzen zahlreiche Teenager schmollend zuhause und ihre Eltern fragen sich: Wer ist die 23-Jährige mit der sanften Stimme, den blitzblauen Augen und den neun Grammys?

Billie Eilish wurde über Nacht berühmt – der amerikanische Traum schlechthin. Gemeinsam mit ihrem Bruder Finneas hat sie drei Alben in seinem Schlafzimmer aufgenommen. Nun tritt sie am 6. Juni in der ausverkauften Wiener Stadthalle auf. Wie wird eine 13-jährige Kalifornierin plötzlich zum Star? Und was bringt der Erfolg mit sich?

Ein Rezept für Erfolg

Zweifellos ist Billie Eilishs Talent einzigartig – das bestätigen unter anderem die zahlreichen Musikpreise. Doch auch das Umfeld, in dem sie aufwuchs, war ein fruchtbarer Nährboden für Erfolg. Als Schauspieler kannten ihre Eltern die Unterhaltungsbranche bereits. Deshalb war es ihrer Mutter besonders wichtig, ihr von Anfang an zur Seite zu stehen: Bei Touren oder Interviewterminen war sie immer dabei. Weitere Weichen stellte ihr die Karriere des um vier Jahre älteren Bruders Finneas. Er war Leadsänger einer Band, deren Manager später auch der des Geschwisterduos werden sollte.

Billie Eilish besuchte nicht die Schule, sondern wurde zuhause unterrichtet, wo besonderer Fokus auf Kreativität und Musikalität lag. So durfte sie unter keinen Umständen ins Bett geschickt werden, wenn sie sich gerade kreativ betätigte. Schon im Alter von sechs Jahren begann sie, Ukulele zu spielen. Und mit elf schrieb sie ihren ersten Song, der von Zombies handelte.

Die Anfänge

Eigentlich wollte Eilish Tänzerin werden, doch eine Verletzung an der Wachstumsfuge führte dazu, dass sie mit 15 Jahren ihre Leidenschaft vorzeitig beenden musste. Zu dem Zeitpunkt war sie in der Musikindustrie allerdings schon keine Unbekannte mehr.

Im November 2015 – sie war 13 Jahre alt – hatte sie mit ihrem Bruder für eine Choreografie den Song „Ocean Eyes“ aufgenommen. Finneas hatte ihn ursprünglich für seine Band geschrieben, befand aber, dass er stimmlich besser zu seiner Schwester passe. Sie luden das Lied auf der Musikplattform Soundcloud hoch, wo es innerhalb von nur wenigen Stunden 10.000 Mal gehört wurde. Das war der Auftakt der Karriere von Billie Eilish.

Kein Blatt vor dem Mund

Internationalen Erfolg erlangte sie im März 2016 mit der Veröffentlichung des Musikvideos zu „Ocean Eyes“. Es weckte die Aufmerksamkeit mehrerer bekannter Radiosender. Das „Atwood Magazine“ bezeichnete das Lied als „verletzlich und atmosphärisch“ und NPR als „ein missmutiges Stück Synth-Pop“.

Noch im August desselben Jahres wurde Billie Eilish von der Plattenfirma Darkroom and Interscope Records unter Vertrag genommen. Ihre ersten neun Lieder erschienen 2017 auf der EP „Don‘t Smile at Me“, die es auf Platz 14 der US Billboard 200 schaffte. Damit wurde sie zur jüngsten Künstlerin, deren Projekt eine Milliarde Mal gehört wurde. Die Lieder darauf sind frech, tanzbar, aber auch düster. Identitätskrisen werden in einer melancholischen Ballade besungen und einschlägige Beats untermalen Kritik an Nachmachern.

Eilishs erstes Album, „When We All Fall Asleep, Where Do We Go?“, zementierte schließlich ihren kommerziellen Erfolg und den Platz in der Musikindustrie. In einem Interview mit „Vanity Fair“ sagt sie: „bad guy“ – eines der Lieder auf dem Album – „hat mein Leben komplett verändert“. Mit 2,7 Milliarden Streams ist er ihr meistgehörter Song auf Spotify.

Im Rampenlicht aufgewachsen

Kein Thema ist ihr zu tabu, sie singt über alles, von ihrer Depression bis zu toxischen Beziehungen. In einem Interview, das auch in der Dokumentation „Billie Eilish: The World’s a Little Blurry“ zu sehen ist, sagt sie: „Ich fühle die düsteren Dinge. Ich fühle sie sehr stark. Warum sollte ich nicht über sie sprechen?“

Diese Stimmung zieht sich durch ihr gesamtes künstlerisches Schaffen. Besonders spürbar ist sie im ersten Album. Die meisten Jugendlichen leben die schmerzlichen Veränderungen des Erwachsenwerdens im Stillen aus und fühlen sich missverstanden. Billie Eilishs Pubertät hingegen ist in ihrer Musik festgeschrieben und für die ganze Welt nach Belieben abspielbar – und vielleicht genau deshalb so beliebt. Sie selbst sagt: „Ein Lied zu hören, das genau beschreibt, wie man sich fühlt, ist das beste Gefühl der Welt. Weil es dich tröstet und dir das Gefühl gibt, dass du nicht allein bist.“

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Oscars: Für den Bond-Titelsong „No Time to Die“ und „What Was I Made For?“ für Barbie gewannen Billie Eilish und ihr Bruder Finneas jeweils den Oscar für „Best Song“

 © Avalon.red / Action Press / picturedesk.com

Bond, Barbie und Billie

Billie Eilish ist nicht nur bei Jugendlichen beliebt, die sich in ihrer Musik wiederfinden. Für ihr künstlerisches Schaffen hat sie zahlreiche Preise gewonnen und Rekorde gebrochen. 2018 – sie war 16 Jahre alt – wurde sie von Forbes unter die 30 unter 30 gereiht. 2019 war sie Billboards Frau des Jahres. Und bei den 62. Grammy Awards gewann sie für ihr erstes Album fünf Preise – vier davon in den großen Kategorien: Best New Artist, Record of the Year, Song of the Year, Album of the Year. Auch bei den Oscars räumte sie ab: Für den Titelsong des James Bond Films „No Time to Die“ und für „What Was I Made For“, der in „Barbie“ vorkam, gewann sie jeweils einen Academy Award. 2020 schaffte sie es auf die Forbes 100 Celebrity List, als jüngste Person jemals.

Kleider machen Stimmung

Nicht nur ihre Musik macht Billie Eilishs Gefühlswelt spürbar, auch ihr Style gibt Aufschluss darüber. Zu Beginn ihrer Karriere trat sie düster auf, in übergroßen, dunklen Outfits, die Haare melancholisch blau gefärbt. Ihre Kleidung schien ein Schutzschild vor dem wachsamen Auge der Öffentlichkeit zu sein. Das bestätigte sie auch in einer Calvin-Klein-Werbung aus dem Jahr 2019: Sie wollte nicht aufgrund ihres Körpers sexualisiert werden. Im Gegenzug wurde sie als nicht feminin genug bezeichnet.

Mit dem ersten Erfolg schien sie sich dann der glamourösen Branche anpassen zu wollen. Die neongrünen Haare wichen blonden, die weite Kleidung engen Korsetten oder eleganten Kleidern. Das sieht man unter anderem auf dem Cover ihres zweiten Albums „Happier than Ever“, das 2021 erschien. Auch ihre Musik wurde sanfter, poppiger, balladenhaft. Doch der Versuch, sich dem femininen Stereotyp anzupassen, wurde mit erneuter Kritik aufgenommen.

Daraufhin veröffentlichte sie das Kurzvideo „Not my Responsibility“, in dem sie klarmacht, dass das Aussehen einer Person nicht ihren Wert definieren sollte. Während sie sich auszieht und in einer schwarzen, zähen Flüssigkeit versinkt, spricht sie die Kritik an, die ihr und vielen Frauen widerfährt:

Wenn ich anziehe, was bequem ist, bin ich keine Frau. Wenn ich die Schichten ablege, bin ich eine Schlampe

Bild

 © Samir Hussein/WireImage for Live Nation

Eine neue (alte) Ära

Nun sind ihre Haare wieder dunkel und auch die weiten Hosen und T-Shirts feiern das Comeback – aber anders als zuvor, beinahe raffiniert. Eilish ließ sich nicht durch Kritik verbiegen, sondern fand stattdessen mehr als zuvor zu sich.

Das merkt man auch in ihrem dritten Album „Hit Me Hard and Soft“, das im Mai 2024 erschien. Es geht nicht mehr um Identitätskrisen, wenngleich die ernsten Themen nicht fehlen. Doch die Melodien wirken leichter, fast befreit. Die Pop-Ballade „Birds Of A Feather“ bespricht zwar textlich die ungesunde Besessenheit von einem Liebhaber, doch die fröhliche Melodie verleiht ihr den romantischen Glanz eines Liebeslieds. Ihre Fans feiern sie nach wie vor dafür. Laut dem Guardian ist dieses Album eine Mischung aus „When We All Fall Asleep, Where Do We Go?“ und „Happier than Ever“, das „die geisterhaften Ohrwürmer des ersten Albums, das berauschende Schwelgen des zweiten Albums“ enthält. Bei den kürzlich abgehaltenen American Music Awards gewann sie dafür „Album of the Year“ sowie „Artist of the Year“. Die alte Billie ist zurück, aber neu interpretiert.

Heutzutage scheint es ihr auch besser zu gehen. Das Strahlen in den Augen ist zurückgekehrt und in einem kürzlich veröffentlichten Interview mit der britischen Ausgabe der „Vogue“ sagt sie: „Ich muss sagen, dass ich mich inzwischen wirklich sehr gut leiden kann.“

Das Lied "Birds of a Feather" ist von Billie Eilishs neuestem Album "Hit Me Hard and Soft", mit dem sie gerade durch Europa tourt.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 23/25 erschienen.

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