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Yun Wang: "Ich möchte einen Raum der Fantasie schaffen"

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©Patrick Schuster

Das Betrachten gleicht dem Eintauchen in andere Welten: Inspiriert von der Natur, finden Yun Wangs expressiv-abstrakte Arbeiten den Ursprung in ihrem Innersten – sie vereinen fernöstliche Ästhetik mit dem abstrakten Ausdruck des Westens. Ein experimentelles Abenteuer, das Grenzen auslotet und neu definiert

Atelierbesuch bei Yun Wang

© VGN | Osama Rasheed

Es ist einer dieser Tage im April, der die Hoffnung auf Frühling wachsen lässt. Obwohl die Sonne bereits tiefer steht, ist es immer noch angenehm warm. Durch die große Glasfront fällt sie geradewegs auf die an der Stirnseite des Wohnateliers lehnenden, großformatigen Leinwandarbeiten. Der Blick auf die Uhr zeigt halbsechs – dennoch begrüßt uns Yun Wang grinsend mit einem fröhlichen „Guten Morgen“. Der Tagesrhythmus der Künstlerin ist ein anderer. Aufgestanden wird nachmittags, gearbeitet bis in die frühen Morgenstunden. Für Wang die idealen Arbeitszeiten.

Und wieder fällt der Blick auf die ausgeleuchteten Arbeiten; kann sich dieser kaum entziehen: Die Sonnenstrahlen verstärken die Intensität der sonst eher sanft anmutenden Farben und erwecken Gesehenes zum Leben. Gesehenes sind Wangs neueste Werke, in denen Tusche und bis zur Lasurartigkeit verdünntes Acryl die Protagonisten sind. Sie nutzt den Effekt nicht grundierter Leinwand und die Fließeigenschaften des Wassers – die verdünnten Farben nehmen, in Schichten aufgetragen, ihren freien Lauf. Stellenweise verschmelzen sie harmonisch miteinander, während sie anderenorts geradezu kollidieren. Ein abstraktes Abbild der Natur, das sowohl Harmonie, aber eben auch Konflikte aufzeigt.

Abstraktion als Rebellion

Dass das Betrachten dabei dem wortwörtlichen Eintauchen in andere Welten gleicht, ist kein Zufall. Als Inspiration dient Wang die Natur – allem voran ihre Abenteuer im Ozean: „Beim Tauchen verwandelt sich die Welt in eine stille Oase, in der nur das Pochen meines Herzens und mein Atem zu hören sind“, so die Künstlerin. Ganz bei sich zu sein, schärfe die Sinne und führe zu einer tieferen Bewusstseinserfahrung. Gesammelte visuelle Eindrücke und persönliche Empfindungen sollen später Einzug in ihre Arbeit finden. Ihr Narrativ ist dabei längst von Abstraktion gezeichnet: „Abstrakte Kunst erzählt keine Geschichte, gibt nichts vor und öffnet Interpretationsräume“, so Wang. „Ich möchte einen Raum der Fantasie schaffen, der Menschen die Freiheit gibt, ohne thematische Grenzen zu interpretieren und sich dabei selbst zu finden.“

Ein Zugang, dessen Wurzeln ihre ganz persönlichen sind: 1982 in China geboren, erlernt Wang als Tochter zweier Musiker bereits im Alter von vier Jahren das Klavierspielen – verbringt viel Zeit übend und hat kaum Kontakt zu anderen Kindern. Ein Arbeitsethos, der sich heute für die Qualität ihrer Arbeiten verantwortlich zeichnet: „Willst du in etwas richtig gut sein, ist eine Stunde der Praxis am Tag nicht ausreichend“, begründet sie die Zurückgezogenheit in ihrem Atelier. In der Zeit, die Wang früher nicht übte, flüchtete sie sich in die väterliche Büchersammlung – noch ehe sie lesen konnte, begann sie sich anhand der Bilder, ihre eigene Welt zu visualisieren. Dass sie bereits als Kind immer und überall gerne zeichnete, kam da gerade recht. Doch unabhängiges Denken wurde in China ebenso wenig gefördert wie Innovation.

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Singulär. Wangs Arbeiten vereinen Elemente fernöstlicher Ästhetik mit westlichen Ausdrucksformen – die sich daraus ergebende Abstraktion soll Betrachtenden Interpretationsräume öffnen

 © Yun Wang

Vom Streben nach Freiheit

2002 übersiedelt Wang nach Wien – studiert in der Hauptstadt klassischer Musik zunächst Operngesang und Klavier. Trotzdem entscheidet sie sich gegen eine Karriere in der Musik und für die bildende Kunst. „Beim Operngesang interpretiere ich Welten, die von anderen geschaffen wurden. In der Malerei habe ich dagegen die Freiheit, meine eigene Welt zu gestalten.“ Eine Rebellion gegen ihre Wurzeln und für ihren persönlichen Freiheitsanspruch: „Durch die Malerei kann ich das vermeintlich Unmögliche Wirklichkeit werden lassen“, so die Künstlerin. Malen sei für sie die einzige Tätigkeit, die sie niemals ermüde. „Es ist Ausdruck meiner Existenz und Möglichkeit, mit der Welt in Kontakt zu treten. Diese Freiheit und Selbstbestimmtheit bereiten mir nicht bloß Freude, sondern sind entscheidend für meine kreative Identität.“

Ebenso wegweisend war das Studium in Daniel Richters Meisterklasse „Erweiterter malerischer Raum“ an der Akademie der bildenden Künste in Wien: „Richters einzigartiger Malstil, der abstrakte und gegenständliche Elemente kombiniert, hat meine malerischen Perspektiven ungemein erweitert – ich habe gelernt, wie wichtig es ist, Emotionen und gesellschaftliche sowie historische Kontexte in die eigene Arbeit miteinfließen zu lassen.“ So sind auch Wangs musikalische Wurzeln tief in ihrer Malerei verankert: „Für mich ist das Malen eines Bildes wie das Komponieren eines Konzerts, bei dem ich anstelle von Tönen mit Farben auf der Leinwand tanze – beide Kunstrichtungen sind Ausdrucksformen der Emotion, die rhythmisch und mit fein abgestimmten Techniken harmonisch verbunden sind.“ Anders formuliert: „Wenn ich die Schwingungen einer Melodie höre, sehe ich ein Bild vor mir. Umgekehrt spüre ich beim Betrachten eines Bildes, wie Musik in meinem Kopf entsteht.“

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Grenzgang. In ihren „gefalteten Universen“ eröffnet Wang ihrer Malerei die dritte Dimension

 © Yun Wang

Über Grenzen hinaus

Außerdem lässt sie das Figurativ ihrer künstlerischen Anfangsjahre, das etwa chinesische Geisterwesen – wie die Rückseite einer aufgespannten Leinwand belegt – thematisiert, hinter sich und ebnet ihren Weg in Richtung eigenständiger Bildsprache. Ohne sich aber der fernöstlichen Ästhetik völlig zu entziehen: Die sanften Farben, die eine geradezu entspannende Wirkung erzeugen, sind getragen von taoistischen und buddhistischen Gedanken. Auch die Reduktion im Farbauftrag, die vermeintlich leeren Bildflächen, sind Sinnbild früher künstlerischer Prägung. Ebenso finden sich von Zeit zu Zeit Pinselstriche, deren Duktus von kaligrafischem Einfluss gezeichnet ist. Vereint mit westlichen Ausdrucksformen entsteht letztlich Einzigartigkeit.

Einzigartigkeit, die keine Grenzen zu kennen vermag. So verabschiedet sich Wang im Zuge der Genese ihres Œuvres vom Zugang des klassischen Tafelbilds, malt zunächst in Epoxidharz, dessen beißender Geruch schwer in der Atelierluft hängt. Kopfschmerzen bekomme sie davon längst keine mehr. Sie sieht eher die Vorteile: „Als Trägermaterial meiner Malerei bietet Epoxidharz die Möglichkeit, die Farben wie in Wasser zu bewegen und den Moment dieser Bewegung – des Fließens – festzuhalten“, veranschaulicht Wang ihren intrinsischen Arbeitsprozess, der einem experimentellen Abenteuer gleicht. „Andererseits ermöglicht mir die Materialeigenschaft, Leinwände zu formen und flache Malerei in dynamische Skulpturen zu verwandeln – wodurch sich meiner Malerei die dritte Dimension eröffnet.“ Das Resultat dieses Prozesses, der ihr Streben nach künstlerischer Freiheit einmal mehr verdeutlicht, bezeichnet die Künstlerin als „Das gefaltete Universum“. Doch ganz gleich, ob klassische Malerei oder gefaltetes Universum: Ausgangspunkt bleibt stets die Malerei. Dabei gleicht der Beginn eines jeden neuen Bildes einem Urknall im noch leeren Universum. „Diesen Knall soll man beim Betrachten hören können und dann soll man sehen, wie allmählich Leben entsteht – zunächst die Berge, dann die Unterwasserwelt samt ihrer Pflanzen und allmählich mikroskopische Lebensformen.“ Das Endresultat ist dabei stets unvorhersehbar. Fehler im künstlerischen Prozess gehören dazu. „Sie führen zu neuen Impulsen, sind menschlich und natürlich – die Grundlage der Evolution.“

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