Mit dem erst posthum arrangierten Johann-Strauß-Klassiker „Wiener Blut“ bringt Nikolaus Habjan das schon ermattende Jubiläumsjahr nochmals in Rotation. Seine sprachraumweite Präsenz an Spitzenbühnen ist kaum zu übertreffen. Im Dezember folgt die Königsaufgabe, „Fidelio“ an der Staatsoper.
Solch eine Verwandlung auf offener Szene hat man endlos nicht gesehen, seit handwerklich überforderte Feuilletondarlings das Regieführen an die Live-Kamera abgegeben haben. In bühnenhohen, schräg gestellten Spiegeln scheint sich das Schönbrunner Schlosstheater abzubilden. Aber der barocke Innenraum wurde von der Bühnenbildnerin Heike Vollmer kunstvoll auf einen riesigen Teppich appliziert. So, wie es sich hier spiegelt, wird das Geschehen aus der Vogelperspektive sichtbar – ein Atout für das Operettengenre, das Anstößiges gern in Lauben versteckt.
Da ziehen eineinhalb Dutzend Hände der Welt den Teppich unter den Füßen weg, und wie im Traum löst sich der Raum unter den Augen der Zuseher auf. „Bravo, bravo!“, akklamiert der Erfinder des minutenkurzen Kabinettstücks die Bühnentechnik. Dann wendet er sich, helles Vergnügen im sorgsam modellierten Schnitzler-Gesicht, zum Berichterstatter: „Ich habe nämlich große Freude an den erprobten Theatertricks.“ Der österreichische Regisseur, Puppenbauer und Kunstpfeifer Nikolaus Habjan probt „Wiener Blut“, den prognostizierbaren späten Höhepunkt des Strauß-Jahres.
Er hat schon zur Eröffnung conferiert und gepfiffen (und wird dies zum Jahresausklang wieder tun) und auch die halbszenische Aufführung der Operette „Karneval in Rom“ eingerichtet.
„Wiener Blut“, ein Derivat?
Jetzt nimmt er sich ein spezielles Exemplar vor. „Wiener Blut“ ist ein Derivat aus Strauß’ Todesjahr 1899, eine Collage aus Originalmelodien, unterlegt mit Fremdtexten, arrangiert von Adolf Müller junior, dessen Vater die Musik zu Nest roys „Lumpazivagabundus“ schrieb. Die Referenzverfilmung schuf 1942 Willi Forst, aber die jüdischen Librettisten wurden aus der Wahrnehmung eliminiert. Eineinhalb Jahrhunderte österreichischen Glanzes und Elends spiegeln sich in den erotischen Verwerfungen eines deutschen Bagatellgesandten beim Wiener Kongress.
In die Epoche habe er sich gleich eingelesen, sagt Habjan, dessen Regiebuch seit eineinhalb Jahren fertig ist. „Ich bin aber relativ schnell zu der Ergebnis gekommen, dass es völlig wurscht ist, zu welcher Zeit es spielt. Es geht ausschließlich um die zwischenmenschlichen Beweggründe der Figuren.“
Und die haben es in sich: Der karikaturhafte Gesandte Balduin Graf Zedlau taumelt zwischen drei Verhältnissen, aber er kann es keiner der drei starken Frauen recht machen und versucht ständig, etwas einzulösen, dessen Beschaffenheit ihm ein Rätsel ist.
Das Werk, sagt Habjan, sei entgegen seinem Ruf stringent, klar und psychologisch nachvollziehbar. Mit überarbeiteten Dialogen könne das beim Wiener Kongress ebenso wie beim G7-Gipfel spielen. Für tölpische Aktualisierungen ist Habjan, ein Exponent der Werktreue, nicht zu haben. Agierende Puppen, oft sein Markenzeichen, werden höchstens minimal zitathaft auftreten.
Wiener Blut
Die Operette nach Melodien von Johann Strauß hat im Schönbrunner Schlosstheater am 10. August 2025 Premiere. David Kerber, Anett Fritsch und Nikola Hillebrand singen, das Bühnenbild schuf Heike Vollmer. Hannah Eisendle dirigiert. Bis 31. August 2025. Die Produktion geht dann nach Essen weiter.
Im Schaffensrausch
Er selbst befindet sich mit seinen 39 Jahren in einem wahren Erfolgstaumel. Seine solistisch oder mit der Kollegin Michaela Linshalm auf die Bühne gehobenen Kreationen mit Klappmaulpuppen touren im Akkord, allein im September führt sein Terminkalender zwölf persönliche Auftritte.
„Zawrel“, die authentische Lebensgeschichte eines von den Nazis zur Entsorgung bestimmten „Unwerten“, hat mehr als 600 Reprisen hinter sich und ist dennoch ständig nachgefragt. „Böhm“ – zu den Nazi-Verstrickungen des großen Dirigenten – ist bis Wuhan in China gelangt und erreicht 2026 Peking und Shanghai.
Am Deutschen Theater in Berlin ist Habjan quasi Hausregisseur, das Puppenspiel „Schicklgruber“ über den gleichnamigen „Führer“ wurde dort soeben unter presse- und publikumsseitigem Beifall uraufgeführt. Im September übersiedelt das Mahnmal an die Josefstadt, wo Habjan unter der amtierenden wie der 2026 antretenden neuen Direktion Hausrecht genießt. Beide Häuser hat Max Reinhardt geprägt, hier die Achse herstellen zu können, mache ihn glücklich, sagt er. Schon ist als nächste Koproduktion ein Puppenspiel über Reinhardt in Planung. All das inmitten einer Karriere als Opernregisseur, die ihn schon nach München, zuletzt mit einem spektakulären Monteverdi-„Orpheus“ nach Dresden und zur Salzburger Mozart-Woche geführt hat.
Wir brauchen ein Theater, das uns darauf einstimmt, dass wir zusammenhalten müssen
Sein „Barbier von Sevilla“, 2022 in Basel akklamiert, geht nach Wiesbaden und Toulon weiter, immer von Grund auf neu einstudiert vom Regisseur. In Basel steht während der nächsten Saison ein logisches, noch nicht zu nennendes Folgeprojekt an, in München Einems „Besuch der alten Dame“. Im Theater an der Wien ist nach zwei preisgekrönten Arbeiten jetzt Pause.
Übernimmt er sich da nicht massiv? Nein, sagt er, unter der Planung seiner Eltern und seiner Schwester mache er sogar weniger als in den Jahren davor. Wichtig sei nur die Pause nach jeder Premiere, um den Kopf auszulüften.
Der Staatsopern-„Fidelio“
Sagt Habjan, ehe er auf das Königsprojekt seiner bisherigen Karriere kommt. „Fidelio“ an der Wiener Staatsoper ist das, Premiere am 16. Dezember, Probenbeginn im November.
Otto Schenk hat seine Inszenierung aus dem Jahr 1970 selbst nicht hoch veranschlagt. Aber erste Briefe, Schmerz um den Repertoire-Methusalem bekundend, haben Habjan schon erreicht. „Ich möchte allen mitgeben, dass ich keiner bin, der sein Revier markieren muss“, sagt Schenks erklärter Bewunderer, dem Werktreue das Wichtigste ist. Er hat sich für den schwerst umzusetzenden Beethoven entschieden, obwohl die ihm gleichfalls angebotenen „Perlenfischer“ von Bizet vergleichsweise eine Bootspartie gewesen wären. (Die übernimmt nun der Berliner Ersan Mondtag, von dem man an der Staatsoper danach vielleicht ein Königsprojekt monumentaler Dimension sehen wird.)
Die Prosa in „Fidelio“ wird vom Schriftsteller Paulus Hochgatterer überarbeitet, auf flache Politisierungen lässt sich Habjan nicht ein.
„Das ist ein Stück des tiefsten Idealismus, aber kein anderes wurde politisch so oft benutzt. Deswegen spielt es bei mir bewusst nicht in irgendeinem Arbeitslager und nicht in Guantanamo. Ich sehe das Ganze als große Freiheitsfabel. Wir sind in Zeiten, wo es wieder zu kriseln beginnt, wo Grundwerte, die wir durch die Französische Revolution bekommen haben, infrage gestellt werden. Nihilismus breitet sich aus. Wir sind nicht in Zeiten, wo wir ein Dystopie-Theater brauchen. Wir brauchen ein Theater, das uns darauf einstimmt, dass wir zusammenhalten müssen. Mein Wunsch“, fährt er fort, „wäre, dass man da drinsitzt und sich von dieser unglaublich starken Musik mitreißen lässt und am Ende beschwingt und ein bisschen mutiger hinausgeht.“
Grundkonzept sei die Entmenschung durch die Diktatur: Gefangene werden in den Kerker gebracht, ihrer Identität beraubt und einer Zelle im nächsten Raum zugewiesen. Aber das jubelnde, glückliche Ende infrage zu stellen, fällt ihm nicht ein.
Fidelio
Beethovens einzige Oper, dirigiert von Franz Welser-Möst, inszeniert von Nikolaus Habjan. Mit Malin Byström (Leonore), David Butt Philip (Florestan), Christopher Maltman (Pizarro), Tareq Nazmi (Rocco). Bühne: Julius Theodor Semmelmann.
Premiere: 16. Dezember, Staatsoper
Magie der Puppen und Menschen
Am Pult steht Franz Welser-Möst, mit dem er in Cleveland eine halbszenische „Zauberflöte“ gefertigt hat. Und dem hohen Paar Leonore und Florestan wird das die Wirkung nie verfehlende Habjan’sche Alleinstellungsmerkmal zugeordnet: Sie sind durch Puppen verkörpert, die aber von den körperlich hoch präsenten Sängern geführt werden.
Wie sich da die beiden Identitäten Leonores voneinander zu entfernen beginnen! Hier die als Mann verkleidete liebende Ehefrau, die ihren schuldlos eingekerkerten Gatten befreien will; dort ihr angenommenes zweites Ich, der ernste, entschlossene Bursche, in den sich das Mädchen Marzelline verliebt.
Um Momente der Rührung gehe es ihm da, sagt Habjan, für den sich in der Staatsoper nach der Premiere noch Weiterführendes anbahnt: Er inszeniert in der Folgesaison ein Spitzenwerk aus einem anderen Fach, in Koproduktion mit einem weiteren ersten Opernhaus.
Ob er je denn selbst eine große Bühne übernehmen würde, so wie seinerzeit eine winzige, das Schubert-Theater im neunten Wiener Bezirk? Von der Puppenbühne weg hat ihn damals der erfolgssichere Direktor Matthias Hartmann an die Burg entdeckt, Habjans Jelinek-Puppe wurde seither zum kultischen Requisit.


Der Puppenmeister. Mit dem Dirigenten Karl Böhm, dessen Nazi-Verstrickungen er im Puppenspiel „Böhm“ aufarbeitete.
© Lupi SpumaAus der Burg vertrieben
Und jetzt? Seine Einstellung gegenüber inszenierenden Intendanten sei negativ, lehnt Habjan vorerst ab. Er müsste deshalb im Fall einer Berufung, wohin auch immer, das Lebensglück des Inszenierens aufgeben. Wen er meint, scheint unmissverständlich: Hartmanns Nachnachfolger Martin Kusej hat den jungen Wundermann mit Unverschämtheiten aus dem Haus und an die Josefstadt getrieben.
Kusej wirkt jetzt angeblich in Shanghai. Dort gastiert Habjan im nächsten Jahr, und sollte Kusej dann eine Karte bekommen, steht dem Wiedersehen nichts im Weg.
Nikolaus Habjan
Geboren am 24. September 1987 in Graz, studierte in Wien Opernregie und dann bei Neville Tranter den Umgang mit Klappmaulpuppen. Am winzigen Wiener Schubert-Theater entdeckte ihn Matthias Hartmann für die Burg.
Seine Jelinek-Puppe wurde zum Kultrequisit, später wählte die New York Times seine St. Pöltner Erstaufführungsregie von Jelineks „Auf dem Königsweg“ unter die europäischen Aufführungen des Jahres. Heute ist er als Opern- und Theaterregisseur international gesucht. Habjan lebt in Wien.
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 32/25 erschienen.