Leere. Nichts, nirgendwo. Draußen scheint die Frühlingssonne. Für Menschen mit Depressionen bleibt es grau und trostlos. "Es ist eine Erkrankung, die wesentlich schwerwiegender ist als eine vorübergehende depressive Stimmung, die wir alle kennen", sagt Dan Rujescu, Abteilungsleiter der Psychiatrie an der MedUni Wien. Erkrankte leiden häufig unter Hoffnungs- und Interessenlosigkeit, reduziertem Antrieb, Appetit- und Schlaflosigkeit. "Sie sind häufig innerlich versteinert und können oft nicht mehr aus endlosen Schleifen negativer Gedanken ausbrechen."
Schätzungen zufolge sind in Österreich mehr als 700.000 Menschen an einer Depression erkrankt. Die Dunkelziffer ist deutlich höher. Laut einer aktuellen Studie in Wien hat sich die psychische Gesundheit der Menschen in der Hauptstadt im vergangenen Jahr wieder verschlechtert. Dies ist das Ergebnis einer Umfrage, die von den Psychosozialen Diensten (PSD) in Auftrag gegeben wurde. Rund 60 Prozent der Befragten gaben an, dass sie unter Depressionssymptomen leiden. Corona, Krieg und finanzielle Krisen haben die Zahl der Depressiven in den vergangenen Jahren in die Höhe schnellen lassen. Laut WHO wird die Depression spätestens in 20 Jahren zur Volkskrankheit Nummer eins in den Industrienationen werden. Schon jetzt ist Suizid der vierthäufigste Todesgrund bei den 15- bis 29-Jährigen.
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Von der Partydroge zum Heilmittel
Welche Behandlung einem depressiven Menschen hilft, sei am Anfang der Behandlung nicht immer klar, sagt Dan Rujescu. "Wir haben mehrere Dutzend Pharmaka zur Verfügung, die sich vom Wirkprinzip her teilweise ähneln." Obwohl die Depression in der Regel sehr gut behandelbar sei, sprächen einige der Patienten nur unzureichend auf eine Therapie an. Rujescu meint, dass bisher bei etwa jedem dritten Patienten eine konventionelle Therapie mit Antidepressiva nicht ausreichend wirke. Die Frage, woran das liegt und wie es sich ändern lässt, beschäftigt Psychotherapeuten und Psychiater. Aus diesem Grund gehen Forscher weltweit seit einigen Jahren einer Frage nach, die lange Zeit tabu war: Können Psychedelika schwere Depressionen lindern?
Einige Wissenschaftler in Österreich und weltweit sprechen von einem regelrechten Hype um die halluzinogenen Substanzen. Vor mehr als 50 Jahren erklärte der damalige US-Präsident Richard Nixon Drogen, wie halluzinogene Pilze, zum "Staatsfeind Nummer eins", weil sie angeblich keinen Nutzen hätten und gefährlich seien. Dadurch stagnierte auch die medizinische Forschung an Psychedelika.
Das ändert sich jetzt. Die renommiertesten Universitäten der Welt erforschen derzeit, ob psychedelische Substanzen im Kampf gegen Depressionen eingesetzt werden können. In Österreich allerdings nicht. Laut dem Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) gibt es hierzulande keine klinischen Studien dazu. Das sei aber auch nicht entscheidend, sagt Psychiater Dan Rujescu. "Man darf bei der Forschung nicht lokal denken, denn die internationalen Ergebnisse stehen am Ende allen zur Verfügung." Die bisher veröffentlichten Studien, die Rujescu kennt, seien zumindest ermutigend. Er warte jedoch ab, bis weitere Ergebnisse aus größeren Studien zur Verfügung stehen.
Das sieht auch Marlene Rupp ähnlich. Sie absolviert derzeit eine Ausbildung zur Psychotherapeutin und arbeitet als Psychologische Beraterin und Coach in Wien. Seit Jahren beschäftigt sie sich mit der Wirkung von psychedelischen Substanzen auf Menschen, schreibt darüber in ihrem Blog und hat die Psychedelic Society und PsyCare Austria mitbegründet, die sich um Menschen auf Festivals kümmern, die sogenannte Horror-Trips erleben. Klienten kämen oft zu ihr, um über ihre psychedelischen Erfahrungen zu sprechen. Viele von ihnen hätten gehofft, dass ihnen diese Erfahrungen im Leben weiterhelfen würden. "Ich sehe ein großes Potenzial, mit solchen bewusstseinsverändernden Zuständen zu arbeiten, aber nur, wenn es richtig gemacht wird", sagt Marlene Rupp.
Um das zu erlernen und um ihre Klienten besser zu verstehen, fuhr sie vor drei Jahren in die Niederlande. Dort boomt das Geschäft mit sogenannten Psychedelic Retreats. Zentren, die auf Google mit "Wellness für das Bewusstsein" werben. Dahinter verbirgt sich das Angebot, unter Anleitung von Therapeuten legal Psilocybin in Form von psychedelischen Trüffeln zu sich zu nehmen. Es gehe darum, sich selbst möglichst gut auf einen Trip vorzubereiten und sich währenddessen sicher und geborgen zu fühlen. Andernfalls bestehe die Gefahr, eine paranoide Erfahrung zu machen. Denn, so erklärt es Rupp, psychedelische Substanzen sind Verstärker. So kann das Licht einer Lampe plötzlich als viel greller wahrgenommen werden. Ähnlich sei es mit unbewussten Ängsten, auch diese könnten überhandnehmen.
Der kontrollierte Drogenrausch
Um dem vorsorglich entgegenzuwirken, sei sie gründlich auf die Erfahrung vorbereitet worden, wie etwa durch Atemtechniken oder Meditation. Zur Verarbeitung der psychedelischen Erfahrungen habe es Gespräche gegeben, es wurde gemalt und getanzt. Zwei Mal während dieser Zeit hat Rupp von den psychedelischen Trüffeln gegessen, in hochdosierter Form. "Es passieren unterschiedliche Dinge in unterschiedlichen Dosen. Die Erfahrung ist abhängig von Set, Setting und Dosis." Während dieser Sitzungen sei immer ein Team von Therapeuten in ihrer Nähe gewesen und habe ihr Beistand geleistet. Sie beschreibt ihre psychedelische Erfahrung als "ultrakurz und unendlich gleichzeitig". Sie habe ein Gefühl von tiefer Verbundenheit mit sich selbst und der ganzen Welt gespürt. "Es war ein bisschen so, als hätte ich versucht, aus einem Wasserhydranten zu trinken. So viel war alles."
Sie kennt ähnliche Beschreibungen aus wissenschaftlichen Studien. Demnach hätten viele Menschen so eine Psilocybin-Sitzung als monumentale Erfahrung dargestellt, die sie mit der Geburt eines Kindes oder dem Tod eines Elternteils verglichen. Andere hätten berichtet, dass es wie zehn Jahre Psychotherapie in einer Nacht gewesen sei. Marlene Rupp kann das Gefühl jetzt zwar nachvollziehen, sieht es aber anders. Denn bei einer Psychotherapie würde sich der Patient jeden Schritt selbst erarbeiten und sein Leben und Denken langsam ändern. Das könne man nicht in wenigen Stunden erreichen. Man könne lediglich das Ziel für einen Moment sehen. Sie hat Klienten, die nach dem Trip enttäuscht waren, weil es ihnen langfristig doch nicht geholfen hatte. "Das kann sehr schmerzhaft sein, weil sich diese Menschen selbst Vorwürfe daraus machen."
Genau aus diesem Grund hält sie die Kombination aus psychedelischer Erfahrung und Psychotherapie für wichtig. Es könne sich gegenseitig bereichern.
Forscher vermuten heilenden Effekt
Das ist der Ansatz einer der größten klinischen Studien zu Psilocybin in Deutschland. Wissenschaftler des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit in Mannheim und der Berliner Charité untersuchen aktuell, ob die Gabe einer hohen Dosis Psilocybin in Kombination mit psychotherapeutischen Gesprächen eine antidepressive Wirkung haben kann. Dafür werden 144 Patientinnen und Patienten behandelt und über einen Zeitraum von 13 Wochen beobachtet. Die Voraussetzungen, um überhaupt daran teilnehmen zu können, sind streng. Nur Menschen mit mittelschweren bis schweren Depressionen, bei denen andere Antidepressiva nicht gewirkt haben, dürfen teilnehmen. Zudem dürfen die Patienten keine Fälle von Psychosen oder bipolarer Störung in der Familie haben und nicht unter Schizophrenie und anderen psychotischen Erkrankungen leiden. "Wenn man einen Patienten mit einer bipolaren Störung Psilocybin geben würde, besteht das Risiko, dass er von der Depression in eine Manie fällt", erklärt die Psychologin Lea Mertens, die zum Forscherteam in Mannheim gehört.
Die Hoffnung der Wissenschaftler ist, dass eine psychedelikaunterstützte Psychotherapie langfristig zu einem gesünderen Menschen führt. Die Hypothese sei, dass Psilocybin durch eine Erhöhung der Neuroplastizität wirke, was im Zusammenhang mit seinem antidepressiven Effekt stehen könnte. Kleinere Studien aus den USA hätten dies bereits angezeigt. An der Johns Hopkins University wurden 24 depressive Personen mit Psilocybin behandelt. Mehr als die Hälfte von ihnen war auch ein Jahr später noch frei von Depressionen. Allerdings sind kleine Studien mit Vorsicht zu genießen, da ihre Teilnehmer viel homogener sind als in großen Untersuchungen.
Die Wissenschaftler in Deutschland haben bisher noch kein endgültiges Ergebnis, aber zumindest eine Vermutung. "Eine Einmalgabe von Psilocybin könnte tatsächlich einen kurzfristigen antidepressiven Effekt haben", sagt Lea Mertens. Die Frage sei jetzt, wie man diesen Effekt aufrechterhalten könne. Das wird weiter erforscht.
Auch ohne Rausch zur Heilung
Eine psychoaktive Substanz, die in Österreich bereits zur Behandlung von schweren Depressionen eingesetzt wird, ist das Narkosemittel Ketamin. Anders als die meisten Antidepressiva und Psilocybin wirkt es nicht auf den Serotonin-Haushalt im Gehirn, sondern hemmt die Andockstelle für den Nervenbotenstoff Glutamat. Dieser andere Wirkmechanismus sei etwas Besonderes, sagt der Psychiater Thomas Platz. Seit vier Jahren setzt er Ketamin in seiner Wiener Praxis ein. Er habe bisher mehr als 60 Menschen damit behandelt und in 80 Prozent der Fälle eine zufriedenstellende Wirkung erlebt. Für jeden Patienten sei Ketamin jedoch nicht geeignet, da insbesondere Menschen, die Angst vor Veränderungen hätten, oft überhaupt nichts spüren würden. Man brauche dafür eine "gewisse spirituelle Aufgeschlossenheit", sagt Platz. Trotzdem sieht er einen großen Vorteil in Ketamin: "Wenn es bei einem Patienten wirkt, dann sofort."
Thomas Platz verabreicht seinen Patienten Ketamin in Form einer Flüssigkeit, die für einige Minuten im Mund gehalten wird, weil der Körper das Ketamin über die Schleimhaut aufnimmt. Nach 10 bis 15 Minuten tritt die Wirkung ein. "Es kommt zu einer Erweiterung des Bewusstseins, sowohl auf emotionaler als auch auf kognitiver Ebene." Die depressiven Patienten könnten so aus ihrem "eingeengten Grübel-Tunnel" herausgerissen werden. Wie lange Depressive von einer Ketamin-Einnahme profitieren, sei individuell unterschiedlich. "Das können Wochen, Monate oder Jahre sein."
Dan Rujescu, der Leiter der Allgemeinpsychiatrie an der MedUni Wien, betont, dass die psychedelischen Rauschzustände überhaupt nicht notwendig seien für den therapeutischen Effekt. Die antidepressive Wirkung von Ketamin sei nicht ans Auftreten psychedelischer Effekte gekoppelt und die Dosierung sei wesentlich geringer als bei einer missbräuchlichen Verwendung. Auch er hat gute Erfahrungen mit dem Einsatz von Ketamin gemacht und behandelt damit Menschen, denen keine andere Therapieform geholfen hat. Bei etwa der Hälfte dieser Patienten habe es gut gewirkt.
Ob Psilocybin in Zukunft wie Ketamin in österreichischen Praxen eingesetzt wird, bleibt abzuwarten. In Europa, schätzen Fachleute, soll in fünf Jahren ein erstes Medikament mit dem Wirkstoff Psilocybin die Marktzulassung erreichen, falls große Studien die antidepressive Wirksamkeit nachweisen. Dan Rujescu wünscht sich mehr Behandlungsalternativen. Nur durch diese Forschung könne am Ende einigen Menschen mehr Leid erspart werden.
Dieser Beitrag erschien ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 13/2023.