Der Fluch der toxischen Beziehung

Wenn sich Hollywood-Aktrice Amber Heard und der mehrfach zum "Sexiest Man Alive" gekürte Weltstar Johnny Depp um 100 Millionen batteln, geht es auch, aber ganz und gar nicht nur ums Geld. Solch gigantische Beträge versinnbildlichen nur das namenlose Ausmaß der seelischen Verwundungen, Enttäuschungen und Kränkungen. Sie können aber die verletzte Würde nicht wiederherstellen.

von Liebes Leben - Der Fluch der toxischen Beziehung © Bild: Nathan Murrell

Opfer-und-Täter-Dualismus

Aktuell wird live aus dem Gerichtssaal gestreamt, wie die Schauspielerin und ihr Exmann ihren nicht enden wollenden tragisch-skurrilen Rosenkrieg in der nächsten Runde ausfechten. Während Amber Heard bereits nach fünfzehnmonatiger Ehe mit Vorwürfen häuslicher Gewalt Johnny Depp vom Image des vergötterten Filmpiraten im Handumdrehen zum Täter-Image befördert hatte, schießt er nun verbissen zurück. Darauf erhebt sie wiederum Klage, in einer Endlosschleife toxischer Beziehungen, aus der einfach auszusteigen nahezu unmöglich scheint.

Live verfolgen kann man, wie vergötterte Stars, die in ihren legendären Kinofilmen perfekt und überirdisch wirken, nicht nur allzu menschlich geworden sind. Sondern so peinlich, dass es allein beim Zuschauen schon fast wehtut. Die vor Gericht gebotenen Narrative könnten schwarz-weißer nicht sein. Es ist wie ein Duell im "Big Brother"-Haus der Superstars: Intimität war gestern. Es geht um Schuld, Sühne und zuvorderst: die gekränkte und enttäuschte Seele. Vor allem aber darum, zu zeigen, wer hier der oder die Böse ist. Darüber soll nun das Gericht entscheiden.

Wenn Liebe Hass wird

Psychologisch betrachtet, liegen toxischen Beziehungsmustern häufig in der Kindheit und Jugend erfahrene Reiz-Reaktions-Muster zugrunde. Und der begrifflich auf Sigmund Freud zurückgehende "Wiederholungszwang". So übernimmt sozialisationsbedingt ein kleiner Junge durch sogenanntes "Lernen am Modell" eher vom Vater ein problematisches Konfliktlösungsverhalten, wie etwa, Gefühle nicht zu zeigen, sondern Überforderung, Trauer und Angst lieber in Form von Wutausbrüchen an Gegenständen auszulassen. Dieses Verhalten zeigt der "Fluch der Karibik"-Star in Videomitschnitten seines Privatlebens. Johnny ist während der Gewaltausbrüche regressiv, das heißt, in eine frühere Entwicklungsstufe zurückgeworfen, weil Amber - womöglich auch nur mit Schweigen, einer bestimmten Mimik oder Stimmlage - offenbar genau die Tasten drückte, die ihn triggerten: Trigger sind Auslöser, welche die toxische Welt der Kindheit um einen Menschen wiedererstehen lassen, als wäre er mit einer Zeitmaschine dorthin zurückgereist.

© imago images/Xinhua Amber Heard und Johnny Depp streiten sich derzeit vor Gericht

Der große Irrtum dabei ist: Randale und Substanzmissbrauch werden von Männern wie Johnny Depp häufig noch immer mit Stärke verwechselt! Ein kleines Mädchen wird hingegen eher zu Überangepasstheit an die Wünsche und Erwartungen anderer konditioniert, worauf es später die als Kind unterdrückte Verstörung, Selbstunsicherheit und Wut am Partner auslässt oder gegen sich selbst richtet - so das toxische Beziehungsmuster im "Komm her, geh weg"-Modus von Menschen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung, welche Amber Heard attestiert wird. Und so in Kurzform ein psychologischer Hintergrund solch emotionaler Eskalationen. Beide Betroffenen leiden offenbar an einem Entwicklungstrauma, das zweifellos aus früheren Erfahrungen stammt und, in die Gegenwart verschleppt, gerade auf dem Rücken des geliebten Menschen ausgetragen und zwanghaft wiederholt wird, um die Angst und Ohnmacht als Kind heute scheinbar unter Kontrolle zu bringen. Der Irrtum dabei: Durch die Wiederholung werden seelische Verletzungen nicht geheilt, sondern alte Wunden nur aufgerissen und vertieft.

Schwankendes Selbstwertgefühl

Der US-amerikanische Paartherapeut John Gottman bezeichnet Verhaltensmuster in Beziehungen, die scheitern, als apokalyptische Reiter. Ein solcher apokalyptischer Reiter ist ein Verhalten absoluter Rücksichtslosigkeit und auch schon der Verächtlichkeit, wenn es um den Partner oder die Partnerin geht. Dass Johnny und Amber auf solchen Weltuntergangspferden über den jeweils anderen längst hinweggaloppieren, ist offenkundig. Kurzer Faktencheck: Amber Heard, die über zwanzig Jahre jünger ist als Johnny Depp, war beim Kennenlernen nicht einmal halb so berühmt. Sie sah in ihm ihren Traumpartner, zudem einen Karriere-Booster. Ihrem stark schwankenden Selbstwertgefühl mag mehr als geschmeichelt haben, dass er ihretwegen die Schauspielerin Vanessa Paradis verließ, mit der er eine langjährige eheartige Beziehung und zwei Kinder hatte. Und Menschen, die scheinbar alles haben - wie Johnny Depp an jedem paradiesischen Flecken der Erde ein Luxusdomizil mit einer Heerschar ergebener Bediensteter -, leben oft trotz vieler "guter Freundinnen und Freunde" weitgehend in sozialer Isolation. Ihr Radius begrenzt sich auf eine Handvoll Vertrauter und den einen Menschen, den man liebt. Umso höher der Erwartungsdruck auf Amber. Beide waren selbstunsicher und riskierten gefühlt alles und wurden schwer enttäuscht, denn beide provozierten ihre tiefen Verlustängste im zuvor erwähnten Modus eines Wiederholungszwangs.

Narzissmus-Symptome

Mit dem Status eines Superstars einher geht ein ausgeprägter Narzissmus. Darüber hinaus eine große Selbstunsicherheit im Privatleben - ohne den Rollenschutz als unsterblicher Movie-Star, was bei Amber und Johnny durch narzisstische Machtdemonstrationen gerade dem Menschen gegenüber, der emotional am nächsten stand, "reguliert" wurde.

Typisch für an Narzissmus leidende Personen ist die Abwertung des Partners zur eigenen psychischen Stabilisierung. Suchtkrankheiten sind als Problemlösungsverhalten bei Celebrities schon fast die Regel. In einer Videoaufzeichnung drischt Johnny Depp auf Möbel ein, im Zustand der gestörten Impulskontrolle. Und Amber? Dass sie an einer Borderline-Persönlichkeitsstörung leidet, erscheint plausibel angesichts ihrer passiv-aggressiven Vorgangsweise, Depp beim Randalieren unbemerkt aufzuzeichnen, anstatt ihn zu beruhigen, und gezielt in der Opferrolle die Kamera zu führen. Beide suchen krampfhaft nach Liebe und Bewunderung. Beide sind wenig kritikfähig, aber stark kränkbar. Sie verwechseln auch harmlose Neckereien mit ernsthaften Angriffen auf ihren Selbstwert.

Beide weisen Verhaltensmuster frühkindlicher Traumatisierung auf. Beide zeigen starke narzisstische und histrionische Persönlichkeitszüge und bekämpfen sich selbst, nennen wir es: die eigene Schwäche, im anderen. Es ist nicht wie ein Fluch der Karibik, sondern der Vergangenheit, der bei Paaren wie diesem lautet: "Du darfst nicht glücklich sein." "Du bist nichts wert." "Du hast Liebe nicht verdient." Flüche, die vielleicht nie ausgesprochen, aber gelebt und von unachtsamen Eltern übertragen wurden. Depp verglich Heards abwertendes Verhalten ihm gegenüber mit dem seiner Mutter und konnte sich deshalb nicht entziehen, weil dieses toxische Beziehungsmuster für ihn "Normalität" gewesen war. Ja, mit Zuwendung verwechselt wurde. Hier kann vielleicht kein Gott, aber Psychotherapie noch helfen, wobei im Trockentraining in der therapeutischen Beziehung eines gelernt wird: sich in Selbstakzeptanz und Selbstliebe zu üben und so das Fundament der Liebesfähigkeit zu schaffen. "Gesund" von Amber Heard war, diesen toxischen Wiederholungszwang alter Glaubenssätze durch die Scheidung zu durchbrechen. Allerdings mit wenig Erfolg, sonst würde in diesem schiefgelaufenen Liebesmärchen der Schlusssatz nicht lauten: Und wenn sie nicht gestorben sind, dann streiten sie noch heute.

Prof. Mag. Dr. Monika D. Wogrolly, Philosophin und Psychotherapeutin
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