Sepp Schellhorn, der Jamie Oliver von Traiskirchen

In Traiskirchen hat der Gastronom und Neos-Politiker Sepp Schellhorn das Schulessen auf Vordermann gebracht: viel Gemüse, wenig Fleisch, frische Kräuter. Wie schmeckt ihm das Großküchenessen, das zigtausend Kindern in Wiener Schulen serviert wird?

von Politik - Sepp Schellhorn, der Jamie Oliver von Traiskirchen © Bild: Matt Observe/News

Sepp Schellhorn stürmt herein. "Was kann ich für euch tun?" Etwas verlegen schieben wir ihm drei Teller hinüber. Essen, wie es Schulkinder in Wien jeden Tag vorgesetzt bekommen. Tortelloni, Paprikahendl, Gemüsebällchen. Gekocht in Großküchen, gekühlt oder eingefroren und in Plastikwannen an die Schulen geliefert. Dort wieder aufgewärmt, mal mehr, mal weniger gründlich, hört man, und serviert. Wahnsinnig appetitlich sieht das in der Regel nicht aus, so viel steht schon fest. Und es riecht auch nicht besonders gut, wenn man zur Mittagszeit eine Schule betritt.

Aber wir wollen es genau wissen: Wie findet Gastronom und Spitzenkoch Schellhorn diese Gerichte? Sind sie wirklich so schlecht, wie viele Kinder behaupten, wenn sie nachmittags heimkommen und umfangreiche Jausenversorgung fordern? Kann man für zigtausend Kinder in Großküchen überhaupt ansprechend kochen? Und wie macht er es selbst in Traiskirchen, wo er im Auftrag von SPÖ-Chef und Bürgermeister Andreas Babler ein Konzept für gesundes Schulessen entwickelt und umgesetzt hat - wie einst Starkoch Jamie Oliver in Großbritannien, der so vor fast 20 Jahren zum berühmt-berüchtigten Vorkämpfer für gesundes Schulessen wurde?

Lernen, vielfältig zu essen

Schellhorn stochert ein wenig in den Gerichten herum. Verschiebt ein Gemüsebällchen auf dem Teller, drückt mit der Gabel darauf, rührt im Salat, der zu dem Paprikahendl serviert wird. Aber bevor er das Besteck zückt und verkostet, klärt er ein paar Grundsätzlichkeiten. Warum gutes Essen für Kinder wichtig ist, zum Beispiel. Ein weites Feld, fast philosophisch, wenn man ihm so zuhört. "Wer den Gaumen schult, schult auch den Geist", glaubt Schellhorn. Kinder, die nicht schon früh lernen, vielfältig zu essen, werden Erwachsene, die sich von Fast Food ernähren.

Mit negativen Folgen für die eigene Gesundheit -und für die kulinarische Tradition des Landes. In Italien oder Frankreich, sagt Schellhorn, gebe es überall noch kleine Bäcker, Metzger, lokale Käsereien. In Österreich orientiere man sich eher am American und deutschen Way of Eating. Supermärkte dominieren das Warenangebot. Eine politische Entscheidung, "die uns jetzt auf den Kopf fällt und in paar Jahren noch mehr, weil die Kinder immer dicker werden und ungesünder und kränker. Wenn den Eltern ihre Kinder etwas wert sind, dann fangen sie in der Kuchl an. Und nicht mit einer PlayStation."

»Wer den Gaumen schult, schult auch den Geist«

Den Eltern, meint Schellhorn, komme die Aufgabe zu, ihre Kinder kulinarisch zu bilden. Sie zum Beispiel mit verbundenen Augen grünen, roten und gelben Paprika verkosten zu lassen. Ihnen absichtlich etwas Versalzenes zu reichen, damit sie lernen, kritisch zu hinterfragen. "Fangen Sie an, mit Ihren Kinder zu kochen. Nehmen Sie sich Zeit. Kommunizieren Sie. Lassen Sie die Kinder etwas Haptisches machen. Komischerweise machen wir das immer nur vor Weihnachten beim Keksebacken. Dabei fängt es bei so einfachen Dingen wie einem Schnittlauchbrot an: Drehe ich das Butterbrot um und drücke es in den Schnittlauch? Oder streue ich den Schnittlauch darüber? Diese Erfahrungen sind wertvoll."

Tatsache ist aber auch, dass viele - und immer mehr - Kinder den größeren Teil des Tages im Kindergarten, der Schule oder im Hort verbringen. Es ist also nicht nur Aufgabe der Eltern, sondern auch der öffentlichen Hand, auf die gesunde Ernährung und die kulinarische Erziehung der nächsten Generation zu achten. Traiskirchens SPÖ-Bürgermeister Andreas Babler, seit Sommer auch Vorsitzender seiner Partei, nimmt diesen Auftrag ernst. Seit Anfang des Jahres entsteht in der dortigen "Volxküche" gesundes, frisches Essen für über 800 Traiskirchner Kinder.

Das Essen ist gesund, frisch und regional, erklärt Sepp Schellhorn das Konzept. Jeden Tag gibt es eine Vorspeise, zwei Hauptgerichte zur Auswahl, ein Dessert. Fleisch kommt nur einmal in der Woche auf die Teller, Schweinefleisch nie. Dafür jeden Tag Salat und frische Kräuter. Für Wohlhabendere kostet das Menü vier Euro, für sozial Benachteiligte 3,40 Euro. Gekocht wird frisch: "Wir bereiten zum Beispiel um halb elf die Suppe zu, die wird abgefüllt, in Thermoboxen geliefert und ist um elf dort."

"Sehr zufrieden"

In Wien, wo wöchentlich über 40.000 Kinder an öffentlichen Schulen verköstigt werden, ist das anders. Nur zwei Anbieter erfüllen die umfangreichen Ausschreibungs-und Qualitätskriterien der Stadt. Mit dem Ergebnis, dass das Essen zwar zuverlässig verfügbar, kostengünstig, sattmachend, zu 50 Prozent bio und nicht ungesund ist - aber als interessant oder besonders wohlschmeckend empfinden es viele Kinder eben auch nicht. Das legt zumindest (breite) anekdotische Evidenz nahe.

Eine Umfrage, die unter Schülerinnen und Schülern durchgeführt wurde, sei zu dem Ergebnis gekommen, dass die Kinder durchaus zufrieden sind, heißt es von der zuständigen Magistratsabteilung 56. Gefragt wurde dabei nach Geschmack und Aussehen, ob das Essen abwechslungsreich und sättigend sei. In keiner dieser Kategorien sei eine schlechtere Note als ein "Gut" herausgekommen. "Wir können als zuständige Abteilung anhand der Auswertungen schlussfolgern, dass Kinder und Jugendliche in Wien mit der schulischen Mittagsverpflegung sehr zufrieden sind, satt werden und die - auch gesunde - Abwechslung nicht zu kurz kommt."

Zu hart, zu dick, zu grau

Wie schmeckt nun aber Spitzenkoch Sepp Schellhorn das Essen, das Kindern an einer Wiener Volksschule serviert wurde?

Das Paprikahendl "ist definitiv nicht mein Gericht", sagt Schellhorn. Die Spätzle zu hart, die Sauce zu sehr verdickt. "Ich bezweifle auch, dass das Fleisch aus Österreich kommt. Es ist schon ganz grau. Das Billigste kann halt auch nicht gut sein." Die Gemüsebällchen seien "unfallfrei: Du kannst sie an die Wand schießen und sie kommen wieder zurück." Am besten fände er noch die Tortelloni, meint Schellhorn. "Aber mir geht die Frische ab." Und die Tomatensauce würde er ganz anders machen. Zusammenfassend: "Es ist halt Sättigung, es ist nichts Interessantes. Ungesund ist es aber auch nicht, glaube ich. Glutamate, die hier natürlich verwendet werden, sind ja nicht per se schlecht. Es kommt immer auf die Menge an. Aber man könnte auch mit Kartoffeln eindicken, das ist viel gesünder."

Und die Schulnote? "Sehen wir uns im Herbst wieder. Ich habe immer Entscheidungsprüfungen gehabt, in Maschinschreiben, Stenografie und so weiter. Ich glaube, das muss eine Entscheidungsprüfung zwischen vier und fünf sein."

Tortelloni mit Tomatensauce

© Matt Observe/News

"Da geht mir die Frische ab. Und die Gewürze, Basilikum zum Beispiel. Es könnte Parmesan dazu geben. So etwas haben Kinder gerne. Ich würde zu den Tortelloni eine ganz andere Tomatensauce machen oder, besser, eine Zucchinisauce. Essen muss auch interessant sein."

Paprikahendl mit Spätzle

© Matt Observe/News

"Das ist definitiv nicht mein Gericht. Die Spätzle sind extrem hart. Das ist, wie wenn ich auf eine zu wenig gekochte Nudel beiße. Das Hendl ist nichts. Die Paprikasauce ist zu sehr verdickt. Ich würde stattdessen zum Beispiel ein Hendlfrikassee mit Gemüse machen."

Gemüsebällchen mit Ratatouille

© Matt Observe/News

"Die Bällchen sind unfallfrei. Du kannst sie an die Wand schießen, sie kommen wieder zurück. Ich würde die Bällchen anders zubereiten, sie sind ja in irgendeiner Weise frittiert. Man könnte stattdessen Polentalaibchen oder Räuberdatschi servieren."

Mut und positive Ziele

Eine harsche Beurteilung also, für die Schellhorn aber nicht die zuständigen Firmen verantwortlich machen möchte. "Ich muss die Lieferanten in Schutz nehmen", sagte er. "Die gehen natürlich den Weg des geringsten Widerstands. Das Entscheidende sind die Entscheider - also die Schulbehörden und die Politik -, die sich für ein anderes System einsetzen müssen. Es braucht Mut und positive Ziele: Wie wollen wir es in zehn Jahren machen? Das geht natürlich nicht von heute auf morgen. Du kannst nicht in jede Schule eine Küche einbauen. Aber bei jedem Neubau sollte es eine geben."

Er sei derzeit, erzählt Schellhorn, mit einigen deutschen Schulen im Gespräch, die Interesse hätten, sein Traiskirchner Konzept für gesundes Schulessen zu übernehmen. "Da geht es um Gemüse und Frische. Je mehr Gemüse, desto weniger Unverträglichkeiten. Das ist ja auch ein nicht zu unterschätzender Aspekt."

In Wien, wo Schellhorns Neos-Parteikollege Christoph Wiederkehr ressortverantwortlich ist, hält man die Qualität des Schulessens derzeit für ausreichend. Eine Systemänderung - hin zu kleineren Küchen etwa - sei nicht geplant, heißt es. Eine Verbesserungsmaßnahme wurde infolge der Schulessensumfrage allerdings umgesetzt: Es gibt seit Beginn des Schuljahres 2023/24 einen Veggie-Day. Einmal pro Woche wird in allen Menülinien auf Fleisch verzichtet.

© Matt Observe/News Sepp Schellhorn verkostet für News Wiener Schulessen

Sepp Schellhorn
Der Gastronom und Politiker ist eine der schillerndsten Figuren in Österreichs Politiklandschaft: Er saß von 2014 bis 2021 für Neos im Nationalrat, zog sich dann zurück, um 2023 sein Comeback zu verkünden. Ebenfalls im Vorjahr arbeitete er mit Andreas Babler an einem Konzept für besseres Schul-, Hort- und Kindergartenessen in Traiskirchen. Ähnlich wie der britische Starkoch Jamie Oliver, der sich schon vor 20 Jahren für besseres Schulessen in Großbritannien eingesetzt hatte. Demnächst erscheint ein gemeinsames Kinderkochbuch von Oliver und Schellhorn.

Dieser Beitrag erschien ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 8/2024.