Schlechtes Zeugnis für unsere Regierung: Die Performance wird schwächer

Bestenfalls durchschnittlich fallen die Noten im News-Regierungszeugnis aus. Dabei fällt auf: Während der Klassenbeste, Martin Kocher, Zweier und Dreier bekommt, polarisieren andere Regierungsmitglieder, und es setzt Einser wie Fünfer. Insgesamt gilt: Die Regierungsperformance wird schwächer

von Regierung © Bild: IMAGO images/SEPA.Media

Es ist bezeichnend für die Stimmung im Land und das immer größer werdende Misstrauen gegenüber der Politik, wenn ausgerechnet das einzige dezidiert parteifreie Regierungsmitglied sich an die Spitze des alljährlichen News-Regierungszeugnisses vorarbeitet. Martin Kocher, zunächst Arbeitsminister und seit der jüngsten Regierungsumbildung "Superminister" für Wirtschaft und Arbeit, hat sich mit der Gesamtnote 2,5 an die Spitze des türkis-grünen Kabinetts gesetzt. Allerdings: Im Semesterzeugnis fiel die Beurteilung durch die Innenpolitikexpertinnen und -experten österreichischer Medien sogar noch etwas besser aus. Damals erreichte er die Gesamtnote 2,3, was für Platz zwei im Ranking reichte.

Absturz von Gewessler

Die damalige "Klassenbeste", Klimaministerin Leonore Gewessler, verlor hingegen enorm an Boden. Lag sie Anfang Februar per Gesamtnote 2 noch mit Abstand auf Platz eins, sackt sie diesmal mit der Gesamtnote 3 auf Platz vier ab. Was bei den Ergebnissen dieser beiden Regierungsmitglieder auffällt: Kocher erhält durch die Bank brave Zweier und Dreier von den Journalistinnen und Journalisten. Bei Gewessler wird die Notenskala von eins bis fünf hingegen voll ausgeschöpft. Die ehemalige Klimaaktivistin polarisiert im Gegensatz zum pausierenden Wirtschaftswissenschafter.

»[Martin Kocher] könnte als Wirtschaftswissenschaftler in der Regierung mehr liefern, wenn es politisch erlaubt wäre.«

Ulriker Weiser von der "Presse" sagt über Kocher: "Ein Parteifreier als Populärster in der ÖVP-Regierungsriege. Aber auch ein Superminister muss liefern. Wir warten u. a. schon länger auf die Reform des Arbeitslosengeldes." Ausgerechnet dieses Großvorhaben schob der Minister dieser Tage auch offiziell auf die lange Bank. Womöglich fehlt dem Quereinsteiger das nötige politische Verhandlungsrüstzeug, um seine Pläne umzusetzen. Johannes Huber von "diesubstanz.at" merkt daher kritisch an: "Könnte als Wirtschaftswissenschaftler in der Regierung mehr liefern, wenn es politisch erlaubt wäre."

An Habeck gemessen

Klimaministerin Leonore Gewessler profitierte Anfang Februar noch von Erfolgen in ihrem Metier, etwa dem Klimaticket für alle Öffis und der ökosozialen Steuerreform. Nur wenige Wochen später begann die russische Invasion in die Ukraine. Der Krieg rückte die Abhängigkeit Österreichs von russischem Gas ins Bewusstsein der Öffentlichkeit, Gewessler als Energieministerin muss nun dieses von ihren Vorgängerinnen und Vorgängern "geerbte" Problem abarbeiten. Die Gasspeicher füllen sich (zu) langsam, die Energiepreise steigen weiter, die Wirtschaftslobbyisten haben einen wirksamen Angriffspunkt gegen die ohnehin ungeliebte grüne Ministerin gefunden. Eine überzeugende Antwort auf die Frage "Geht uns im Winter das Gas aus?" hat Gewessler noch nicht gefunden. Christoph Kotanko von den "Oberösterreichischen Nachrichten" urteilt: "Ideologiegetrieben, angesehen in der Zielgruppe, in praktischen Fragen unqualifiziert, ohne großen Plan." Michael Völker von "Standard" relativiert: "Sie hat einen wirklich schwierigen Job, der Spagat zwischen Anspruch und Wirklichkeit ist derzeit kaum zu schaffen. Was ihr in der Öffentlichkeit eindeutig fehlt, ist die Überzeugungskraft."

Immer wieder wird Gewessler mit ihrem deutschen Regierungskollegen Robert Habeck verglichen. Bei der Bekämpfung des drohenden Gasnotstands mag dieser in Deutschland vielleicht nicht unbedingt weiter sein. Was er aber jedenfalls besser kann, ist, mit nachdenklichen Videobotschaften Menschen auf seine Seite zu holen. "Muss sich für die Haben-Seite nicht verstecken. Aktuelles Pech: ihr deutsches Pendant Robert Habeck", schreibt daher News-Chefredakteurin Kathrin Gulnerits. "trend"-Chefredakteur Andreas Weber weist zudem auf ein längerfristiges Problem von Gewesslers Formkrise hin: "Die Temperatur in Wohnungen und Hochöfen im Herbst entscheidet auch ihre persönliche Zukunft als Parteichefin."

»Die Temperatur in Wohnungen und Hochöfen im Herbst entscheidet auch ihre persönliche Zukunft als Parteichefin. [Andreas Weber über Leonore Gewessler]«

Angezweifelte Regierungschefs

»Von "Wen würde der Anstand wählen?"(ein grüner Wahlslogan früherer Jahre) zu schwurbeligen Verteidigungsversuchen des türkisen Koalitionspartners - das kostet Glaubwürdigkeit. [Karin Leitner über Werner Kogler]«

Hintergrund für diesen Hinweis: Die ehemalige Global-2000-Chefin, die Grünen-Chef Werner Kogler erst für die Nationalratswahl 2019 ins Team holte, ist kürzlich in der Partei zu dessen Stellvertreterin aufgestiegen. Oft wird sie als mögliche Spitzenkandidatin der Grünen genannt, sollte Kogler bei der nächsten Nationalratswahl nicht mehr antreten. Der grüne Vizekanzler kann zwar im aktuellen Zeugnis seine Halbjahresnote halten, sein Image ist allerdings deutlich angekratzt. Von "Wen würde der Anstand wählen?"(ein grüner Wahlslogan früherer Jahre) zu schwurbeligen Verteidigungsversuchen des türkisen Koalitionspartners - das kostet Glaubwürdigkeit. Karin Leitner von der "Tiroler Tageszeitung" sagt über Kogler: "Redet nach wie vor vieles des Koalitionspartners schön, das er als Oppositioneller anprangern würde." Und Christian Rainer vom "Profil" stellt schon einmal die Rute ins Fenster: "Lebt noch immer von der Wiederbelebung der Grünen. Das nützt sich langsam ab."

(Schwacher) Trost für Kogler: Sein türkises Vis-à-vis an der Regierungsspitze, Karl Nehammer, verzeichnet einen echten Absturz im Zeugnis von der Note 2,7 und Platz vier im Februar auf 3,8 und Platz elf am Ende des Schuljahres. "Masseverwalter auf der Suche nach eigener Handschrift", beschreibt Johanna Hager vom "Kurier" die Performance des Kanzlers und ÖVP-Chefs. "Bemüht sich im Rahmen seiner Möglichkeiten", changiert Claus Pándi von der "Kronen Zeitung" zwischen Mitleid und Ironie.

»Die Frage ist: Hat der Parteiobmann noch Zeit für seinen Nebenjob als Kanzler?«

Nehammer muss Krisen auf allen Ebenen meistern: Als Regierungschef wird er daran gemessen, wie das Land durch Pandemie, Inflation und Energiekrise kommt. Als ÖVP-Chef muss er die Skandale seiner Partei nicht nur rechtfertigen, sondern es schaffen, einen klaren Schnitt zu Vergangenheit zu ziehen. Schwierig, wenn man als ehemaliger Generalsekretär der Partei selbst mit Zweifeln des Rechnungshofs bezüglich des türkisen Rechenschaftsberichts für das Wahljahr 2019 konfrontiert ist. "Die Frage ist: Hat der Parteiobmann noch Zeit für seinen Nebenjob als Kanzler?", meint Ulrike Weiser. "Ehrbar und bemüht, aber mutmaßlich Übergangskanzler", sagt Andreas Weber. Verliert die ÖVP bei den anstehenden Landtagswahlen, könnte es für Nehammer an der Parteispitze ungemütlich werden. Ob die Grünen als Koalitionspartner dann einen weiteren türkisen Kanzlerwechsel aussitzen können, ist fraglich.

»Bei ihm ist man nie ganz sicher, ob seine Bestellung ein Satireprojekt ist [Michael Völker über Martin Polaschek]«

Enttäuschende Performance

Im gleichen Ausmaß abgestürzt wie der Kanzler -allerdings von schlechterer Ausgangslage -ist Bildungsminister Martin Polaschek. Im Februar gab es mit der Note 3,3 noch einen Neulingsbonus, nun liegt der ehemalige Rektor der Uni Graz mit der Note 4,4 auf dem letzten Platz. "Bei ihm ist man nie ganz sicher, ob seine Bestellung ein Satireprojekt ist", meint Michael Völker. Und Johannes Huber sagt: "Es gab kaum noch einen Bildungsminister, der so wenig wollte. Tragisch, wenn man bedenkt, wie sehr all die Krisen der Jugend zusetzen."

Queraussteiger

Ein letzter Blick auf das Semesterzeugnis: Damals landeten der Grüne Wolfgang Mückstein sowie die ÖVP-Ministerinnen Klaudia Tanner, Susanne Raab, Elisabeth Köstinger und Margarete Schramböck auf den letzten Plätzen. Drei dieser fünf sind mittlerweile Geschichte. Ginge es nach Andreas Weber, wäre Tanner damals mitgegangen. "Absalutieren, bitte, danke", meint er zur Verteidigungsministerin. Und Raab? "Hat die Regierungsumbildung überlebt. Respekt", sagt Pándi über die Frauen-und Medienministerin.

Das Regierungszeugnis im Detail:

Die Musterschüler

News-Regierungszeugnis 2022
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Das Mittelfeld

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Schlusslichter

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